In Neuseeland wurde 2017 ein Fluss zur juristischen Person – aus Naturschutzgründen laut weltweiter Medienberichte. Warum das so nicht ganz stimmt, erklärt uns Thomas Buocz im aktuellen Interview.

Thomas Buocz forscht nach seinem Jus-Studium am Wiener Juridicum als Dissertant und Projektmitarbeiter bei Univ.-Prof. Dr. Iris Eisenberger am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz u.a. zu Recht und Innovation.
Vor kurzem war er als Marietta Blau-Stipendiat in Neuseeland, um die Rechtslage eines Flusses näher zu beleuchten: 2017 war der Whanganui River auch bei uns in den Medien, da er zu einer juristischen Person wurde – die Natur als Rechtsperson aus Umweltschutzgründen? Würde das auch in Österreich gehen und vor allem: Würde das Sinn machen?

Was beschäftigt Sie gerade?
Eine ganze Menge: Ich schreibe gerade an meiner Dissertation im Innovationsrecht und in unserem Horizon 2020 Forschungsprojekt „Scalings“ beschäftigen wir uns mit rechtlichen Fragestellungen zu „Living Labs“. Dabei werden Innovationen im öffentlichen Raum ausprobiert, obwohl der rechtliche Rahmen nicht gänzlich geklärt ist. Die Forschungen, die ich in Neuseeland begonnen habe, beschäftigen mich natürlich nach wie vor. Da geht es um das Thema „Rechtspersönlichkeit und Innovation“.

Der Whanganui River in Neuseeland ist bekannt geworden, weil er als juristische Person anerkannt wurde – wie war das möglich?
Zunächst einmal muss man sagen, dass sowohl im neuseeländischen als auch im österreichischen Recht zwischen Personen und Sachen unterschieden wird. Auf der einen Seite sind natürliche Personen, also wir Menschen, und juristische Personen, wie etwa GmbHs, auf der anderen Seite sind Sachen, also Objekte. Personen und Sachen schließen einander aus.
Und zur Frage wie das möglich war, dass ein Fluss zu einer juristischen Person wurde: Man muss das ganz klar vor dem kulturellen Hintergrund der Aufarbeitung der Kolonialisierung Neuseelands sehen. Der Fluss ist im Weltbild der Māori ihr Vorfahre und ein unteilbares Wesen, an dem eigentlich kein Eigentum gehalten werden kann. Die Krone war umgekehrt nicht bereit, den am Fluss lebenden Māori alleine die Entscheidungen über die Nutzung des Flusses zu überlassen. Dass der Fluss zu einer juristischen Person gemacht wurde, war letzten Endes ein praktikabler Kompromiss, dessen Verhandlungen sich über Jahre gezogen haben.

Man muss das ganz klar vor dem kulturellen Hintergrund der Aufarbeitung der Kolonialisierung Neuseelands sehen.

Das klingt jetzt nicht nach der Naturschutzdebatte, als die es in den Medien verkauft wurde.
Die Debatte zur Rechtspersönlichkeit der Natur ist vor allem durch Christopher Stone und seinen Aufsatz „Sollen Bäume Rechte haben?“ (im englischen Original: „Should trees have standing?“) bekanntgeworden. In Neuseeland war das aber anders. Es ging nicht so sehr darum, den Fluss besser zu schützen, sondern vielmehr wollte man eine rechtliche Basis schaffen, um Wiedergutmachung zu leisten und den Ureinwohner*innen zu ermöglichen, dass sie bei Entscheidungen über den Fluss mitreden können.

Der Fluss ist jetzt seit 2017 eine juristische Person – ist seitdem in Neuseeland etwas eingetreten, wo diese neue Rechtsform aktiv angewendet wurde?
Das ist eine Frage, die ich mir selbst gestellt habe. Meistens erfährt man im Recht erst ob etwas funktioniert, wenn etwas knirscht, ein Konflikt eintritt. Das ist seitdem noch nicht der Fall gewesen. In Wahrheit hat sich durch diesen rechtlichen Schritt nämlich wenig geändert. Natürlich ist es ein neuer, juristischer Rahmen, aber das Schutzniveau – und darum geht es in den internationalen Diskussionen meistens – ist sehr ähnlich geblieben. Auch die Behörden, die das regeln, sind weitgehend die gleichen geblieben. Der wesentliche Unterschied ist, dass nun ein Repräsentant der Māori mitentscheidet. Aber im Großen und Ganzen ist der Alltag, also wie der Fluss genutzt wird, unverändert. Der Fluss war übrigens nicht der erste Fall in Neuseeland, wo Natur zu einer juristischen Person wurde. Auf der Nordinsel Neuseelands gibt es einen ehemaligen Nationalpark, dem schon davor dieser Status verliehen wurde. Er wird auch nicht der letzte sein, gerade wird über ein ähnliches Regime für den Vulkan Taranaki Maunga verhandelt.

Hat dieser Fall international etwas ausgelöst?
Es gab viel Medienaufmerksamkeit. In Indien wollte ein Gericht nach dem Vorbild Neuseelands den Ganges mit Rechten ausstatten. Die Entscheidung wurde vom indischen Supreme Court aber wieder aufgehoben. Der Weg Neuseelands war generell eine maßgeschneiderte Lösung für ein maßgeschneidertes Problem und lässt sich nicht ohne Weiteres auf andere Länder und andere Probleme übertragen.

Wäre das auch ein Ansatz für Österreich?
Im Zusammenhang mit Naturschutz ist es zwar nicht undenkbar – das Manko bei den Berichterstattungen war aber oft, dass man automatisch davon ausging, dass mit dem geänderten rechtlichen Status auch ein besserer Naturschutz einhergeht. Naturschutz kann gut funktionieren, indem man menschliche Akteure in die Pflicht nimmt. Es ist auch nicht so, dass es aktuell keine Mechanismen gibt, um Umweltinteressen besser sichtbar zu machen. In Österreich gibt es zum Beispiel das System der Umweltanwälte, die in bestimmten Verfahren die Interessen der Umwelt vertreten. Ich persönlich bin daher skeptisch, ob es das Konzept der Rechtspersönlichkeit für den Naturschutz bei uns braucht.

Das Manko bei den Berichterstattungen war oft, dass man automatisch davon ausging, dass mit dem geänderten rechtlichen Status auch ein besserer Naturschutz einhergeht.

Ist das Konzept, Natur als juristische Person anzuerkennen, also nicht mehrheitsfähig?
In Neuseeland war es ein guter Kompromiss und man kann das zurecht als Erfolg bezeichnen. Es hat aber auch für Verwirrung gesorgt. Teilweise ist der Eindruck entstanden, dass die Verleihung der Rechtspersönlichkeit weitreichende rechtliche Konsequenzen hätte, der Fluss in seinen Rechten nun einem Menschen gleichgestellt sei. Das ist aber nicht der Fall.
Spannend wäre natürlich, sich das interdisziplinär anzusehen – welche Auswirkungen es auf die Bevölkerung hat, wie es psychologisch wirkt etc., aber wenn man es rein rechtswissenschaftlich betrachtet, muss man sagen, es war eine bedeutende semantische Änderung – aber mehr auch nicht.

Beschäftigen Sie sich in Ihrer Dissertation auch mit dem neuseeländischen Fluss?
Meine Forschung hat als Ausgangspunkt den Whanganui River, geht aber darüber hinaus. Ich sehe mir zum Beispiel auch die Diskussion zu Rechtspersönlichkeit für Roboter an. Man hat sich auf europäischer Ebene Gedanken gemacht, ob Roboter nun rechtlich Sachen oder juristische Personen sein sollten, da sie sich nicht immer dem Willen des Eigentümers unterordnen lassen.

Hätten dann am Ende Menschen, Bäume und Roboter die gleichen Rechte?
Nein. Rechtspersönlichkeit an sich heißt nicht auch gleichzeitig, dass alle Rechtspersonen die gleichen Rechte und Pflichten haben. Die Debatte hinterlässt auch ein wenig den Eindruck, dass durch die Verleihung von Rechtspersönlichkeit an Flüsse, Roboter oder auch an eine künstliche Intelligenz automatisch Probleme gelöst werden. Zum Beispiel bei der Frage, wer den Schaden trägt, den ein Roboter verursacht: die Eigentümerin, die Nutzerin, die Herstellerin, die Allgemeinheit oder die geschädigte Person? Zu sagen, der Roboter hat Rechtspersönlichkeit und trägt ihn selbst, verlagert nur die Frage darauf, wer dem Roboter den Haftungsfonds zur Verfügung stellt. Die Entscheidung, wer das Haftungsrisiko tragen soll, löst sich trotz Rechtspersönlichkeit für den Roboter also nicht in Luft auf. Die allgemeinen Debatten um Rechtspersönlichkeit für Naturobjekte oder Roboter können Diskussionen zwar bereichern und ihnen eine neue Struktur geben. Doch ob das Verleihen der Rechtspersönlichkeit am Ende nicht mehr Probleme schafft als es löst, hängt auch vom spezifischen rechtlichen und kulturellen Kontext ab.

Links:
Eine Auswahl an Instituten, an denen u.a. zum Thema Innovation und Recht geforscht wird:

Besonders schön geschriebene und illustrierte Artikel zum Whanganui River:

Das Gesetz, um das es beim Whanganui River geht, findet man hier.

Eine sehr lesenswerte Debatte um „digitale Rechtssubjekte“ gibt es auf dem Verfassungsblog.