Diesmal melde ich mich aus dem Familienurlaub. Nachdem wir in den vergangenen Jahren Montenegro und Rumänien bereist haben, musste es diesmal noch einen Tick abenteuerlicher sein: Urlaub in Georgien!

Als wir in der Vorbereitungsphase davon erzählten, dass wir unseren Familienurlaub in Georgien planen, hat das meistens zwei Reaktionen hervorgerufen: „Spannend!“ und „Ist grad hipp.“ Jede/r kannte jemanden, der/die neulich dort war. Angeblich ist Tblisi das neue Berlin der 90er Jahre und die Techno-Hochburg und Partystadt schlechthin. Vielleicht standen damals in Berlin ja auch so viele Kühe auf den Straßen herum wie hier.

Das „Hippe“ konnten wir (noch) nicht ausfindig machen, aber spannend ist es hier sehr! Vor allem, wenn man europäische Stadtplanung gewohnt ist, lokale Lebensmittelproduktion schätzt und man gewohnt ist, dass das Auto in den letzten Jahren zunehmend aus den Innenstädten verdrängt wird.
Gleich zu Beginn hatten wir eine georgische Großmutter als Gastgeberin, die mit ihrer Tochter eine Art „Mini-Guesthouse“ betreibt. Ein großer Gemüsegarten und zwei Kühe inklusive. Auf die Frage meiner Tochter, wann am Abend denn gemolken wird, schaute sie vor die Tür, ob die Kuh schon gekommen wäre. Die Kühe spazieren nämlich den ganzen Tag auf der (sehr stark befahrenen) Straße auf und ab und kehren erst am Abend zum Melken wieder heim. Sie bereiteten uns „local food“ zu. Es schmeckte fantastisch: Es gab allerlei typisch georgisches Essen aus Eigenproduktion wie Khachapuri (Käsefladen), in Salz eingelegter Käse und Gemüsesoße. Ich wollte wissen, ob sie ihre eigenen Produkte auch selber gerne essen und bekam zur Antwort, dass sie die Lebensmittel aus dem Supermarkt bevorzugen. Ich musste daran denken, dass wir in Wien einmal bei einer Veranstaltung die (lokalen) Gäste auch mit „lokaler Lebensmittelproduktion“ verköstigt hatten: Es gab Kraut- und Gemüsestrudel. Ich kann mich daran erinnern, dass das gar nicht so gut ankam … „local“ ist wohl eher etwas für die Nicht-Lokalen.

Einen richtigen, großen Supermarkt gibt es am Land kaum, eher viele kleine Läden, die alle das gleiche Angebot haben und nebeneinander liegen. Wenn wir nicht bekocht werden, gehen wir dort einkaufen. Dort gibt es Wurst aus Österreich, Käse aus Frankreich und Eier aus der Ukraine. Ich hoffe zumindest, dass das Gemüse aus Georgien stammt! Doch vieles, das wir wieder mühsam einführen, gibt es hier (noch), wie zum Beispiel das verpackungsfreie Einkaufen: In vielen Geschäften stehen große Behälter mit Nudeln, Reis, Bohnen oder Mehl zum Selberabfüllen. Eine Grundregel fiel mir in Rumänien und Montenegro schon auf: Je „natürlicher“ sich das Land „anfühlt“, desto chemischer wirkten die Lebensmittel im Supermarkt auf mich.

In Tblisi selbst regiert das Auto. Wenn die vorhandenen Spuren nicht ausreichen, wird kurzerhand eine neue eröffnet. Ich bin mir sicher, der Verkehr folgt gewissen Regeln – auch wenn wir sie nicht erkennen. Mein Mann steuert mit seiner jahrelangen Erfahrung als Einsatzfahrzeuglenker souverän durch den Verkehr. Als Fußgänger hat man eher ein schweres Leben. Da die Stadt sehr autofreundlich angelegt ist, darf man durch dunkle Unterführungen auf die andere Seite kriechen. Es gibt zwar Zebrastreifen – doch die muss man im Galoppschritt überqueren, will man nicht auf der nächsten Kühlerhaube landen. Ein Weg durch einen Park endete vor einem Zaun – also alles wieder zurück und entlang der Hauptverkehrsroute marschiert. Gebremst wird nur für Kühe. Wer für Menschen bremst, die am Zebrastreifen warten, riskiert einen Auffahrunfall. Muss man doch einmal bremsen oder langsamer fahren (z.B. wenn das Auto einen Defekt hat), zeigt man das mit der Warnblinkanlage an. Ich habe auch noch nie so viele Autos ohne Stoßstange gesehen wie hier. Die Knautschzone ist bei einigen Autos, die noch unterwegs sind, schon ausgereizt.

Und ich bin auch einem anderen Mythos nachgegangen, nämlich, dass dieses Chaos „wunderbar funktioniert“. In den letzten drei Wochen sind wir bei mindestens fünf (teils schweren) Unfällen vorbeigefahren – mit Menschen und Tieren: Neulich sahen wir, dass eine Kuh gleich am Straßenrand in ihre Einzelteile zerlegt wurde – was naheliegend ist: Die Kühe hier sind zwar viel kleiner als bei uns (da nicht so überzüchtet) – wegtragen lassen sie sich trotzdem besser portionsweise.

Überhaupt beleben sehr viele Tiere die teils stark befahrenen Straßen: Wir haben schon Gänse, Kühe, Hunde, Katzen, Schweine und Pferde auf der Straße gesichtet. Ich habe den Verdacht, dass diese absichtlich in der Mitte der Fahrbahn platziert werden bzw. gemeinsame Sache mit den Fußgängern machen, um den Verkehr zu verlangsamen.

Das Leben findet hier – so wie in den meisten südlichen Ländern – oft auf der Straße statt. Da es natürlich bequemer ist zu sitzen, als zu stehen, gibt es am Straßenrand eine Vielzahl selbstgebauter Sitzgelegenheiten. Oft wird dazu ein Stück öffentlicher Raum (auch temporär) angeeignet oder man baut einfach einen vorhandenen Bauteil kurzerhand selbst in eine bequeme Sitzmöglichkeit um. Sehr häufig werden einfach alte Autositze auf die Straße gestellt.

Besonders faszinieren mich hier die Gebäude aus einem regelrechten Material-Mix. Gebaut wird mit allem, was offensichtlich an anderer Stelle übrig bleibt. Dabei entstehen mitunter gewagte und bizarre Formen – gewachsene Strukturen, kleinteilig und lebendig. Sie sehen zwar manchmal etwas wackelig oder windschief aus, aber für den Fall, dass etwas verloren geht, findet sich sicher schnell wieder ein passendes Stück, das dazu gebastelt werden kann.

Was mich jedoch überrascht hat war, dass sich viele Georgier als „Europäer“ fühlen. Im österreichischen Schulsystem lernt man, dass in der Türkei Asien beginnt. Und auf der russischen Seite der Ural die natürliche Grenze ist. Wie ist das nun also mit Georgien? Diese Frage ist anscheinend – aus Sicht der Georgier zumindest – nicht ganz geklärt. Ich persönlich würde die Georgier sehr gerne in Europa willkommen heißen – es wäre erfrischend voneinander zu lernen!