„Nahgenuss“ nennt sich die Biofleisch-Direktvermarktungs-Plattform der steirischen Brüder Micha Brandtner und Lukas Beiglböck. So wie früher holt man sich da beispielsweise ein Viertel Schwein direkt vom Bauern, wenn der gerade schlachtet. Die Plattform der Brüder sorgt dafür, dass Landwirt:innen und Kund:innen zueinander finden.

Habt ihr mit „Nahgenuss“ etwas Neues erfunden – oder nur etwas Altbekanntes auf modernere Beine gestellt? Micha, erklär doch mal, was ihr eigentlich tut.

Wir sind eine Online-Plattform für bäuerliche Direktvermarktung von Biofleisch. Die Idee ist daraus entstanden, dass noch unsere Eltern lieber ein halbes Schwein beim Bauern gekauft haben als einzelne Fleischstücke im Supermarkt. Mein Bruder und ich haben uns gedacht: Das war doch klasse, da hat man gewusst, woher das Fleisch kommt, hat es in den Tiefkühler gelegt und immer auf Vorrat Fleisch gehabt. Nicht nur besondere Teile, sondern auch Teile die man im Supermarkt heute oft gar nicht mehr bekommt.

Wir haben uns also gedacht: das war nicht nur für uns, sondern auch die Bauern gut, weil die das Fleisch direkt verkauft und somit am meisten verdient haben. Und für uns passt es, weil wir super Qualität zu einem guten Preis bekamen. Mein Bruder Lukas und ich haben dann vor sechs Jahren versucht, das ins Internet zum Übersetzen – und daraus wurde dann „Nahgenuss“.

Das Schwein aus dem Internet, sozusagen?

Ja, damit haben wir angefangen. Dann haben wir es optimiert: Keine ganzen oder halben, sondern Viertelschweine. Das Fleisch wird auch schon zerlegt, man muss es nur mehr abholen und in den Tiefkühler geben.

Ernst Ranftl – einer von 200 Biobauern auf nahgenuss.at (c) Mathias Schalk

Als geborener Städter frage ich jetzt: Wozu das alles? Im Supermarkt liegt das Fleisch auch abgepackt und filetiert im Kühlregal – und ich kriege genau das was ich heute möchte. Portioniert und auch nur meine Lieblingsteile.

Das ist eine legitime Meinung. Aber es gibt immer mehr Menschen, die mit diesem System nicht mehr einverstanden sind. Die Bauern werden ausgebeutet, sie bekommen keinen fairen Preis mehr für ihre Produkte, denn es ist aufwändig gutes Fleisch zu produzieren. Man weiß oft nicht, woher das Fleisch kommt – und  die Tiere werden unter fragwürdigen Bedingungen gehalten: Der billige Preis setzt immer voraus, dass irgendjemand anderer die Kosten trägt. Das sind die Tiere, die Umwelt und die Bauern.

Wir haben rasch gemerkt, dass immer mehr Menschen höhere Qualität kaufen wollen. Am liebsten direkt bei den Bauern – das ist die Zielgruppe.

Apropos Zielgruppe: Wer und wie groß ist die? Euer letzter Eintrag dazu stammt aus 2020, da war die Rede von hundert Höfe und 1.000 Kund:innen.

Mittlerweile halten wir bei über 200 Biobetrieben in ganz Österreich und einer Handvoll in Deutschland. Wir haben rund 10.000 Kund:innen, die zumindest einmal bei uns bestellt haben, vier- bis fünftausend bestellen regelmäßig.

Hättet ihr auch etwas für mich? Ich bin ein Einpersonen-Haushalt – für mich würde ein Viertelschwein ein halbes Leben ausreichen.

Du wärest überrascht, wie viel Fleisch man isst. Selbst wenn man sehr bewusst Fleisch ist, nur ein- oder zweimal pro Woche summiert sich das schnell. Aber es gibt nicht nur Viertelschweine. Wir haben rasch gemerkt, dass das für den normalen Haushalt oft zu viel ist. Darum gibt es auch Pakete. Die fangen bei zwei oder drei Kilogramm an – das ist auch für einen Single-Haushalt interessant: Ein Fünf-Kilo Paket füllt eine halbe Schublade im Gefrierschrank, sogar wenn man nur ein Gefrierschrankfach im Kühlschrank hat, kann man zwei, drei Kilo Fleisch lagern. Die typischen Kund:innen sind aber Familien. Leute, die sehr gerne kochen und die zu Hause das Essen zelebrieren. Das sind meist nicht die ganz Jungen, sondern 30- bis 40-Jährige bis hinauf zu Pensionist:innen, die das von früher noch gekannt haben, dass man beim Bauern ein halbes Schwein kauft.

„Beim Bauern kaufen“ heißt, dass ich den Lieferanten selbst aussuche. Wie finde ich als Kund:in den „richtigen“ Bauern, also den, der genau mein Schwein, mein Rind meine Ziege hat?

Ganz einfach: Auf unserer Plattform kann man über die Postleitzahl nach Landwirten in der Nähe suchen. Da bekommt man auch eine Übersicht, wer gerade Angebote hat: Manche Landwirte schlachten jede Woche ein Schwein oder ein Rind, manche schlachten nur einmal im Jahr. Da wird über die Homepage ein bisschen vorgefiltert. Dann kann man durchschauen, was einem passt, welcher Termin am besten ist.

Fleischkauf ist ein Termingeschäft? Im Supermarkt habe ich zu jeder Zeit alles, da muss ich nicht planen oder denken.

Ja. Aber das wird eigentlich von niemandem als Negativ empfunden – es ist auch eine Frage der Nachhaltigkeit und des Bewusstseins dafür, dass hinter Lebensmitteln auch Logistik steckt.

Der Biohof Freiler – auch auf nahgenuss – aus Krumbach in Niederösterreich (Foto: Sophie Glatz)

Apropos Logistik: Ist es schlau, wenn jeder für ein Zwei Kilo-Fleischpaket ins Auto steigt und zu seinem Bauern fährt?

Natürlich nicht. Deshalb bieten die meisten Landwirte auch eine Zustellung an. Landwirtschaft ist naturgemäß dort, wo die Menschen nicht sind, Landwirtschaft braucht viel Fläche. Damit nicht jeder stundenlang mit seinem Auto Fleischabholen fährt, macht Zustellung Sinn.

„Nahgenuss“ bezieht sich da nicht nur auf geographische Nähe, sondern auch auf kurze Versorgungs- und Lieferketten: Man kennt den Landwirt zwar, aber viele Kund:innen lassen sich das Fleisch schicken. Es wäre sinnlos und ökologisch absurd, eine Stunde aus und wieder nach Wien zu fahren, um fünf Kilo Fleisch zu holen: Es gibt sehr ausgeklügelte Kühlversandsysteme, die lückenlos und effizient funktionieren.

Aber es geht doch auch darum, den Bauern zu kennen!

Ja, klar. Viele fahren zumindest einmal hin, verbinden das mit einem Ausflug: man will wissen, wie es dort ausschaut, wer ist das, bei dem ich mein Fleisch kaufe. Da fahre ich einmal hin mit den Kindern. Unsere Bäuerinnen und Bauern sind da sehr offen, sie zeigen gern, wie sie arbeiten – das ist auch eine Form der Transparenz.

Auf nahgenuss kauft man Fleisch direkt bei Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern (c) Biohof Zodlhofer

Was sind für den Bauern denn – abgesehen davon, dass er weiß, wer sein Fleisch bekommt und kaum Transferkosten anfallen – die größten Vorteile dieses Systems?

Natürlich ist der finanzielle Anreiz groß. Wenn er an den Handel verkauft, bleiben dem Landwirt gerade 20 Prozent dessen, was man im Supermarkt bezahlt. Bei uns sind es annähernd 90 Prozent: Man kann viel mehr Wertschöpfung am Hof halten und mit weniger Tieren auch erfolgreich wirtschaften.

Der zweite Punkt, den wir am Anfang massiv unterschätzt haben, ist die direkte Wertschätzung, die von den Kund:innen kommt. Die Kund:innen schreiben Bewertungen oder rufen an und sagen ‚hey, das war tolle Qualität! Danke für deine Arbeit!’ Das ist etwas was man im Handel nicht bekommt. Da kriegt man höchstens gesagt, was nicht passt – aber ‚gut gearbeitet, weiter so!‘ ist selten. Das ist in der Direktvermarktung ein toller Lohn, eine tolle Wertschätzung.

Nach welchen Kriterien sucht ihr die Bauern aus? Wie streng seid ihr? Wie wird ausgesucht, überprüft  und kontrolliert?

Der höchste Standard in der Lebensmittelerzeugung ist das Bio-Label. Das ist für uns der Mindeststandard. Die Betriebe sind alle Bio-Betriebe und werden regelmäßig von einer Kontrollstelle überprüft. Das ist ein sehr sehr hoher Standard, aber es gibt viele, die den noch weiter überbieten wollen.

Auch unsere Kund:innen sind Kontrolleure: Sie kommen auf die Höfe, geben Feedback – nicht nur Lob, sondern auch, wenn etwas nicht stimmt. Und natürlich besuchen wir – wenn es die Zeit erlaubt – die Höfe selbst. Die Vorgaben sind streng. Wenn man Bio produziert, ist auch vorgeschrieben, dass die Tiere ins Freie können.

Ich komme wieder zur Ware: Als Konsument bin ich gewohnt, aussuchen zu können. Ich will nur Lungenbraten und Beiried.

Ja, das ist für manche ein Lernprozess, dass Fleisch als Ganzes ein wertvolles Gut ist. Darum gibt es nur Mischpakete: Das Filet ist nur zwei Prozent des ganzen Tieres. Wenn jeder nur das kauft, dann bleibt der Bauer auf sehr viel guter Ware sitzen. Wir sagen: Alle Teile sind wertvoll. Man findet im Internet tausend Rezepte zu jedem Teil – und man muss kein Profi-Koch sein, um ein Mischpaket zu verkochen. Mittlerweile schätzen das viele Kund:innen sogar. Weil es den eigenen Speise-Horizont erweitert. Viele sind überrascht, dass die Teile, die im Supermarkt angeboten werden, nicht alles oder immer die besten Teile sind.

Patrick und Theresa Krautgartner sind auch auf nahgenuss zu finden (c) Magret Bernschütz

Patrick-und-Theresa-Krautgartner-sind-auch-auf-nahgenuss-zu-finden-c-c-Magret-Bernschutz

Ihr habt nicht nur Fleisch sondern auch Wein im Sortiment. Wieso?

Wein ist im Zuge der Corona-Pandemie dazugekommen. Da haben uns Weinbauern gesagt, dass sie nichts mehr verkaufen in der Gastronomie, in der Buschenschank – da haben wir sie auch reingeholt. Aber Wein ist ein Nebengeschäft, das ist ein ganz anderes Business und da gibt es auch tausende Anbieter. Aber er ist eine nette Sache – auch wenn er nur drei oder vier Prozent vom Gesamtumsatz ausmacht.

Reden wir über Zahlen.

Wir haben derzeit circa 10.000 Bestellungen im Jahr und das bedeutet rund eine Million Euro Umsatz für die Landwirte. Wir sind mit 12 Prozent am Umsatz beteiligt und machen dafür die Werbung und die Plattform. Wir bekommen auch von den Landwirten die Rückmeldung, dass das gut passt: Wir können davon leben, das ist mittlerweile nicht mehr nur ein Hobby, sondern ein richtiges Business.

Und wohin soll die Reise gehen?

Grundsätzlich sehen wir noch Potenzial in Österreich. Vor allem auf Kundenseite. Wir haben mittlerweile sehr sehr viele Landwirte. Es ist ein Nischenmarkt, aber auch in dem kann man sich steigern. Wir haben auch ein paar Landwirte in Deutschland, aber es ist schwieriger dort einen Markt zu erschließen, weil das ein riesengroßes Land ist.

Unser Kernziel ist es, die Marke in Österreichs bekannter zu machen – und noch viele Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, dass der direkte Weg der beste Weg ist, Fleisch zu kaufen. Für alle Beteiligten.