In keinem anderen Land der Welt sind die Menschen so titelsüchtig wie in Österreich. Sie lassen und ließen sich ihre Titel sogar einiges kosten und bestehen auch heute noch oft darauf, mit Titeln – die nach der Verleihung rechtlich oft sogar „Namensbestandteil“ sind – angesprochen zu werden. Deshalb schlägt Tom Rottenberg vor, Österreich durch ein paar knackige Öko-Titel Klimaschutzmaßnahmen schmackhafter zu machen.   

Mich fragt halt keiner. Angeblich aus gutem Grund. Obwohl ich persönlich sicher bin, auf eine der brennenden Fragen unserer Gesellschaft eine einfache, billige und effiziente Antwort zu haben. Nicht weil ich mich für so schlau halte, sondern weil ich Kreisky gelesen habe: „Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur“, sagte der Altkanzler einmal zu einem Journalisten. Was der Kollege damals nicht wusste? Keine Ahnung.

Es ist auch nicht wichtig. Wichtiger ist, dass Bruno Kreisky da zum einen seiner Oberlehrer-Rüffel erteilte, gleichzeitig aber auch ein Stück echtes, einmaliges Österreich hochleben ließ: „Herr Redakteur“ – ich bezweifle, dass man Journalisten anderswo so ansprechen könnte, ohne dass der (oder die) Angesprochene sich leicht verhöhnt fühlen würde.

Aber Titel sind österreichische DNA: Für sie geht man weit. Sehr weit. Manchmal zu weit. Aber: keine Angst, das wird nicht die 7.536 Geschichte über die heute schon vergessene Ex-Ministerin, die ihren Master in Bratis… Stop!

Wie wär’s mit nachhaltigen Titeln?

Stattdessen halte ich mich an Kreisky – um in die Zukunft zu schauen: Wenn Unternehmen, Medien und Öffentlichkeit klagen, dass die Bereitschaft breiter Bevölkerungsschichten, sich an Klimaschutzmaßnahmen zu beteiligen rapide sinkt, sobald die Maßnahme sich der eigenen Komfortzone nähert, empfehle ich, was in Österreich immer funktioniert: Einen Titel. „Klimarat“ etwa. Oder „Umweltmeisterin“.

Der Titel müsste aber „amtlich“ sein. Also rechtlich abgesichert zum „Namensbestandteil“ werden, sobald man ihn hat. Solche Titel können sogar in Pass und Führerschein stehen. Man hat den rechtlich verbrieften Anspruch, damit angesprochen und angeschrieben zu werden. Und falls sie glauben, dass das wurscht ist: Mitnichten. Neuerdings kann man sich in Österreich einen „Meister“ (oder eine „Meisterin“) im Reisepass eintragen lassen. Dafür haben Handwerks-Standesvertreter lange und hart gekämpft. In diesem, dem 21. Jahrhundert.

Ich erinnere mich auch noch an jene Podiumsdiskussion, in der ein Diskutant mich, den Moderator, vor laufender Live-Kamera darauf hinwies, dass es nicht ausreiche, ihn als „Hofrat“ anzureden. Er sei „wirklicher Hofrat“. Weil es in Österreich ja erniedrigenderweise auch den „Hofrat h c“, also „honoris causae“ gibt. Den Ehren-Hofrat. Nein, der Mann war nicht betrunken. Ja, er meinte das ernst.

Stellen wir uns also vor, es gäbe „Ökologiesektionschef“ und „Decarb-Rätin“ als Belohnung für eine nachweisliche Reduktion des individuellen ökologischen Fußabdruckes und man könne darauf bestehen, bei Arzt und Amt so aufgerufen zu werden. Vor all den titellosen Proleten ringsum: Hui, würden die privaten CO2-Emissionen purzeln.

Die Titel-Kosten

Falls Sie sich gerade an die Stirn tippen: Kreisky. „Lernen Sie Geschichte“. Als sich 1918 die Habsburgermonarchie ihrem Ende zuneigte, soll Kaiser Karl, der letzte Kaiser, mangels anderer Gratifikationsmöglichkeiten als Dank für Dienstleistungen jedweder Art mit (niedrigen) Adelstiteln um sich geworfen haben. Historiker scherzen bis heute vom „Bahnsteig-„ oder „Perron-Adel“. Und 2012 (!) ließ ein Habsburg-Nachfahre (Ulrich) kurz mit der Idee aufhorchen, die Republik (!) könne mit Titeln das Staatssäckel auffüllen. Sogar eine Preisliste kursierte: Von 5000 Euro für ein schlichtes „von“ ging sie bis zum Fürsten – für wohlfeil-fürstliche 100.000 Euro. Grotesk? Nein. Also: Ja. Österreichisch halt.

Denn Titel ließen „wir“ uns etwas kosten. Fragten Sie sich als Kind, wieso Gymnasiallehrer*innen „Professor*Innen“ sind, auch wenn sie mitunter den gleichen Lehrstoff verbreiteten wie ordinäres Hauptschul- (nun MNS-)Personal während Universitäts-Lehrenden oft nur „Dozent*Innen“ sind? Des Rätsels Lösung liegt in der Monarchie: Mit dem „Prof.“ kaufte sich der Staat dereinst von Gehaltsforderungen frei. Als Alterstitel kamen dann „Studien-„ und „Oberstudienräte“ hinzu. In meiner Familie (einer Volks- und Hauptschullehrer*innendynastie) höhnte man darüber. Aber als eine Verwandte zur „Oberschulrätin“ wurde, stand das dann doch in ihrem E-Mail-Footer.

Wobei man Titel ja auch erheiraten kann. „Promoviert am Standesamt“ heißt das, funktioniert aber nur in eine Richtung: Mein Vater war Hauptschuldirektor. Folglich wurde meine Mutter – „nur“ Lehrerin – mit „Frau Direktor“ angesprochen. Als mein Vater in Pension ging, tat das auch der Titel meiner Mutter: Von Supermarkt bis Bezirksamt war sie plötzlich wieder „Frau Rottenberg“ – obwohl sie längst Volksschuldirektorin war.

Wie ich dem Titelwahn ein Bein stellte

Wie wichtig den Österreicher*innen Titel sind und was es da alles gibt, konnte man lange Zeit (leider jetzt nicht mehr) leicht nachprüfen. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube es war das Burgtheater, auf dessen Online-Abo-Bestellseite man beim Eingeben des Namens lange in Form eines Pull-Down-Menü alle in Österreich „amtlichen“ dem Namen vorgestellten aber auch die nachgestellten Titel ansehen und gustieren konnte. Rechnerisch waren da rund 200 namensrechtlich „anerkannte“ Titelkombinationen möglich. Zusammen mit den Nicht-Amtlichen, schrieb der Kurier 2016 unter Berufung auf das Wissenschaftsministerium, gäbe es fast 900.

Wobei da meine eigenen Titel noch nicht mitgezählt sind: Irgendwann in den Nuller-Jahren bat mich eine PR- und Eventagentur, meine Daten in ihrer Kartei zu vervollständigen. Im Onlineformular sah ich Felder für vor- und nachgestellte Titel. Im Gegensatz zur „Burg“ aber ohne vordefinierte Optionen: die Felder waren leer. Ich nutzt meine Chance und bekomme seither immer noch Post, die an einen „Großwesir, Bewahrer des Lichtes, Hüter der Schwerkraft“ Thomas Rottenberg „samt Hofstaat und Gesinde“ adressiert ist.

Freilich: Außer meinem Briefträger weiß das niemand. Als ich unlängst den Agenturchef traf und ihn fragte, wieso er mich mit, „Servas Tom“ statt „p.t.“, also „pleno titulo“ – „mit vollem Titel“, begrüße, staunte der gute Mann, sah dann in seine Datenbank und bekam einen Lachkrampf: „das hat sich noch nie wer angeschaut. Uns ist wurscht, was da steht – aber manchen Leuten ist es wichtig. Die regen sich auf, wenn was fehlt. Also haben wir beschlossen, dass jeder selbst eintragen soll, wer und was er angeblich ist.“

Er sah mich fragend an. Ich wusste, was er dachte: „Untersteh dich, meine Titel zu löschen! So wie ich dieses Land kenne, habe ich mittlerweile sogar einen Rechtsanspruch auf sie.“