Der Zeitpunkt für Veränderung ist immer der Richtige. Lisa Kögler im Interview über das dynamische Selbstbild und Selbstbetrug.

Lisa Kögler ist ausgebildete Seelsorgerin, Lebensberaterin und Coach und begleitet Menschen auf dem Weg der Potentialentfaltung. Seit 2019 ist sie außerdem „Head of Mentoring“ bei WoMentor, einem Mentoringprogramm für Frauen. Mit ihrem Blog, ihren Podcasts und Seminaren unterstützt sie im Einzel- und Gruppencoaching alle, die an Persönlichkeitsentwicklung und Networking interessiert sind.

Frau Kögler, was beschäftigt Sie gerade?
Ich beschäftige mich gerade mit der „Donut-Ökonomie“ – ein alternatives Wirtschaftsmodell, das von der Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth entwickelt wurde. Ihr Modell ist nicht auf Wachstum aufgebaut, sondern auf Nachhaltigkeit. Es sieht aus wie ein Donut, daher der Name. Sobald man sich aus dem Donut hinaus bewegt, nutzen wir zu viele oder zu wenige Ressourcen. Der Ring bildet also eine gesunde, wirtschaftliche Balance ab.

Suchen Menschen, die zu Ihnen kommen, Balance?
Die Menschen, die zu mir kommen, sind aus irgendeinem Grund unzufrieden. Meistens hängt das mit ihrer Jobsituation zusammen. Sie spüren eine tiefe Unzufriedenheit – ohne genau zu wissen, was sie wollen. Manchmal drücken sie es aus, indem sie sagen, sie suchen mehr Sinn in ihrem Leben, können es aber nicht näher definieren.

Verstärkt die Corona-Krise solche Empfindungen?
Vielleicht insofern, dass der Faktor Zeit für Veränderungen eine große Rolle spielt. Der erste Schritt etwas Neues zu wagen, ist, sich selbst Zeit zu verschaffen, in dem man andere Dinge streicht oder loslässt. In der Corona-Krise hatten viele plötzlich ungewollt einen leeren Kalender. Das macht Angst, schafft aber auch Chancen. Viele innovative Start-Ups sind während oder unmittelbar nach der Finanzkrise 2008 entstanden. Es ist eine gute Zeit, um Dinge loszulassen oder neu anzufangen. Krampfhaft an etwas festhalten ist sicher der falsche Weg.

Angst ist kontraproduktiv, wenn sie lähmt.

Vermutlich haben viele zurecht Existenzängste …
Existenz- oder Zukunftsängste machen es natürlich schwieriger sich auf etwas Neues einzulassen. Allerdings ist Angst immer dann kontraproduktiv, wenn sie lähmt, genauso wie in seinen eigenen negativen Gedankenschleifen hängen oder das berühmte Grübeln.
Die Herausforderung ist es, optimistisch zu bleiben. Auf manche Dinge kann man vertrauen. Auch auf die Wirtschaft. Die wird es weiterhin geben und wir werden auf irgendeine Weise ein Teil davon sein.

Welche Dinge mussten Sie im Leben loslassen?
Ich habe meinen Job gekündigt, ohne genau zu wissen, was mich erwartet. Ich habe in einem technischen Büro gearbeitet, da ich ursprünglich Bio- und Umweltressourcenmanagement studiert habe. Im Grunde war alles ok, nette Kollegen, Bezahlung ganz gut, trotzdem war ich unzufrieden, wusste aber keine Alternative. Es hat gedauert, bis ich den Mut hatte, mich von der Technik abzuwenden und mich sozialen Themen zu widmen.

Bei einem dynamischen Selbstbild ist der Fokus darauf, dass man Dinge, die man nicht beherrscht, lernen kann.

Welchen Tipp können Sie Menschen geben, die sich neu orientieren wollen?
Es hilft, sich das eigene Selbstbild anzusehen. Mensch mit einem statischen Selbstbild denken, dass sie gewisse Dinge können und manche Dinge eben nicht. Sie glauben, daran können sie nichts ändern, da sie mit diesem Talent nicht geboren sind. Bei einem dynamischen Selbstbild ist der Fokus darauf, dass man Dinge, die man nicht beherrscht, lernen kann. Bei einer Herausforderung nimmt das Selbstvertrauen bei statischen Menschen ab. Wenn sie beim ersten Versuch scheitern, sehen sie das als Bestätigung, dass sie es eben doch nicht können. Ganz anders bei dynamischen Menschen: Sie wachsen an der Herausforderung und werden immer besser.

Wie wird man ein dynamischer Mensch?
Zuerst muss ich mir bewusst werden: Wann bin ich in welchem Modus? Das ist eine Trainingssache, die im Austausch mit anderen oder mit einem Coach leichter gelingt. Nicht umsonst haben Spitzensportler Trainer*innen an ihrer Seite, die mit ihnen an ihrer mentalen Stärke arbeiten. Man nimmt aktiv eine dynamische Haltung ein – je öfter man das macht, desto einfacher gelingt es.

Hat Potentialentfaltung auch etwas mit Inspiration zu tun?
Da muss man zuerst die Frage stellen was Inspiration überhaupt ist. Die meisten von uns würden Inspiration als plötzliche Eingebung beschreiben. Aber woher kommt die? Meistens ist diesem Prozess etwas vorausgegangen. Ein Prozess, in dem man Augen und Ohren offenhält, Informationen einholt, sich austauscht. Das ist auch der Grund, warum ich Gruppencoachings anbiete. Man inspiriert sich gegenseitig, schafft Verbindungen. Eine Gruppe kann sehr unterstützend wirken. In meinem letzten Durchgang von Expedition Y, das ist ein 8-wöchiges Intensiv-Gruppencoaching, haben sich zwei gefunden, die jetzt gemeinsam ein Projekt machen. Ein anderes Beispiel ist eine Teilnehmerin, die nicht gewusst hat, was sie möchte. Aber alle anderen in der Gruppe haben es erkannt. Das Ich entsteht am Du, wie es so schön heißt.

Wie ist das mit Menschen, die im Beruf „ausharren“ – betrügen die sich selbst?
Wenn es tatsächlich ein „Ausharren“ ist, ja, dann kann das Selbstbetrug sein und auf lange Sicht krank machen. Manchmal harrt man aus, weil es ein „höheres“ Ziel gibt, man z.B. Kinder zu ernähren hat. Das kann durchaus seine Berechtigung haben. In jedem Fall würde ich empfehlen, dass man sich auf die Suche nach Alternativen macht und ein Umfeld sucht, dass einen im Veränderungsprozess unterstützt.

Sie sind bei WoMentor, einem Mentoringprogramm für Frauen, tätig. Brauchen Frauen mehr Unterstützung als Männer?
Von Mädchen erwartet man immer noch, dass sie brav und lieb sind. Sie lernen früh, sich angepasst zu verhalten. Jungen wird ein rüpelhaftes Verhalten leichter nachgesehen. Sie sagen sich oft harte Dinge ins Gesicht und messen dem auch nicht so viel Bedeutung bei. Ich denke, es geht darum, wie man mit Feedback umgeht – was finde ich konstruktiv und nehme an und was eben nicht. Männer lernen das meist früher im Leben. Wir unterstützen Frauen darin, sie selbst zu sein. Oft braucht es das Feedback anderer, um Dinge zu erkennen.

Das Ich entsteht am Du, wie es so schön heißt.

Wird die Zukunft eine andere sein?
Ich wünsche mir eine Zukunft voller Möglichkeiten. Alle sollen in unserer Gesellschaft ihre Potentiale entfalten können. Daran möchte ich gerne mitwirken. Wer auch gerne mitwirken möchte: Wir sind immer auf der Suche nach engagierten Mentoren – weiblich und männlich.

Buchtipps:

  • Die Donut-Ökonomie | Kate Raworth
  • Selbstbild | Carol Dweck
  • Mindfuck | Petra Bock
  • Würde | Gerald Hüther

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