Beim ersten Mal dachte ich noch, das sei Zufall. Oder dass da ein besonders Schlauer sich über etwas, was für alle gilt, allen gleich lästig ist, mittelfristig wohl unvermeidlich ist und nur etwas bringt, wenn sich alle dran halten, hinwegsetzen will. Extrawurst-Typen gibt es immer und überall. Beim Maskentragen erkennt man sie aber auf den ersten Blick. Auch im Flieger.

Die Sache war Folgende: Ich musste nach anderswo. Dringend und schnell. Also flog ich. Der Zug hätte 14 Stunden gebraucht und das Vierfache gekostet. Wien – Frankfurt, dann Frankfurt – Anderswo. Wenige Leute im Flieger, entspannter Check-In, kein Kampf ums Overheadfach: Fliegen war schon schlimmer.

Beim Boarden und beim Start war natürlich auf die Maskenpflicht hingewiesen worden. Bis auf die allem Anschein nach unvermeidlichen drei „Nasenbären“ (mit denen zu diskutieren sich die Flugbegleiterinnen nicht antun wollten), hielten sich alle dran.

Kurz nach dem Start begann das „Catering“. Das, was man heute halt so nennt: Für Wien – Frankfurt war das eine Kleinstflasche Wasser und ein Schoko-Riegel im Giveaway-Nanoformat. Für die zweite Teilstrecke gab es Wasser und einen Keks: Mund auf – und fertig. Sollte man meinen.

Denn in der Sitzbank neben mir wurde das Gegenteil bewiesen: Der Mann ebendort breitet ein Taschentuch auf dem Klapptischchen aus – und drapierte dann die Flasche und das Riegelchen vor sich. Dann nahm er die Maske ab – und legte sie daneben. Klar: Wie soll man sonst essen und trinken? Dann nahm er den Riegel aus dem Päckchen, brach ein Viertel ab, steckte es in den Mund und legte den Rest aufs Taschentuch.

Er griff zur Flasche und schraubte sie auf. Mehr nicht. Dann las er etwas auf seinem Handy. Die Maske lag neben dem angebissenen Snack.

Anfangs fiel mir das gar nicht auf. Aber als ich nach einer Viertelstunde wieder rübersah, war das Bild unverändert. Der Riegel war vielleicht ein paar Millimeter kürzer geworden.

Ich ging zur Toilette – und staunte. Rund ein Drittel der Fluggäste hatte das gleiche Setup vor sich: Offene Flasche und angebrochener Snack am Tisch, die Maske daneben – oder am Ohr baumelnd.
Der Mann neben mir „dinierte“ bis zur Landung. Erst als er aufgefordert wurde, sein Tischchen hochzuklappen, verschwand der letzte Riegelrest in seinem Mund.

Am zweiten Flug passte ich auf. Andere Airline, gleiches Prozedere: Offene Nano-Wasserflaschen, angebissene Schokokekse am Tisch – Masken daneben. Ich gebe zu: Mein Keks hielt zehn Minuten – mehr schaffe ich nicht. Noch nicht.

Wobei es unfair wäre, das am Fliegen festzumachen: In der Woche darauf pendelte ich mit dem Zug. Wien – Innsbruck – Wien. Die Hinfahrt verschlief ich. Auf der Rückfahrt, im knackevollen Railjet, mahnte Chris Lohner in Dauerschleife zum Maskentragen. Wer sie eh trug, wirkte genervt. Nasenbären und Goderträger fühlten sich nicht angesprochen. Den schnarchenden Schläfer, der die Maske über die Augen gezogen hatte, hätten auch AC/DC nicht wachbekommen.

Kurz nach Linz kam eine andere Stimme dazu. Der Zugchef. Er klang verzweifelt. „Liebe Fahrgäste! Natürlich ist es erlaubt, am Platz zu essen und zu trinken. Dafür dürfen Sie Ihre Maske ablegen. Aber bitte seien Sie fair: Halten Sie die Jausenzeiten in einem realistischen Zeitrahmen und setzen Sie danach die Maske wieder auf.

Schräg gegenüber hob ein Fahrgast den Kopf. Dann murmelte er „gute Idee“ und kramte ein Packerl Schnitten aus der Tasche. Er aß zwei, biss eine dritte an – und legt das Packerl auf den Tisch. Die Maske daneben. Als der Zug in Meidling einfuhr, aß er den Rest der dritten Schnitte, setzte die Maske auf und stieg aus.

Ich sah ihm nach, als er über den offenen, zugigen, praktisch menschenleeren Bahnsteig spazierte. Die Maske behielt er auf. Das ist schließlich Vorschrift – und an die haben sich in dieser Geschichte alle gehalten.