Barbara Bauer ist Bauökologin und beschäftigt sich schon lange mit der Reparaturmöglichkeit und Alterungsprozessen von Materialien. Im Interview erklärt sie, warum wir mit den Dingen, die uns umgeben, eine tiefere, wertschätzende Verbindung eingehen sollten.

Frau Bauer, mögen wir unsere Dinge nicht?

Wir mögen sie meistens am liebsten, wenn sie neu und glänzend sind. Sobald sich Gebrauchsspuren zeigen, denken wir schon ans Wegwerfen – und das tun wir oft sehr schnell und leichtfertig. Wenige Menschen machen sich die Mühe ihre Dinge zu reparieren. Dabei wäre das ein wichtiger Schritt in Richtung Ressourcenschonung – und auch in Richtung Wertschätzung.

Sie meinen, dass wir in Beziehung treten mit den Dingen, die wir reparieren?

Prinzipiell ist es so, dass wenn man Dinge, die einen umgeben, etwas Aufmerksamkeit schenkt und sie auch pflegt, dann halten sie viel länger. Wenn ich zum Beispiel Holzfenster regelmäßig warte, sie streiche und darauf achte, dass sie instand bleiben, dann können sie 200 Jahre alt werden. Wenn ich mich nie darum kümmere, können sie auch nach zehn oder sogar fünf Jahren kaputt sein. Das ist übrigens bei unseren menschlichen Beziehungen auch nicht viel anders.

Sollte man Dinge wie Partner betrachten?

Es gibt ein gutes Buch „Die Kunst der Reparatur“ von Wolfgang Schmidbauer, er ist Paartherapeut, in dem er zwischen Reparaturen und Beziehungsarbeit eine Analogie zieht. Bei Beziehungen spricht man schließlich auch von zerbrechen, eine Beziehung „geht zu Bruch“, Beziehungen kann man auch kitten – in unserer Sprache gibt es diese Gleichsetzung also schon.

Durch dieses Reparieren, Kitten oder Flicken können Beziehungen zu Menschen, aber auch zu Dingen sehr profitieren.

Bleiben die Bruchstellen nicht immer irgendwie sichtbar?

Ja, aber sie erzählen auch eine Geschichte, sie machen vielleicht sogar stärker. Wir denken automatisch, dass reparierte Dinge oder Beziehungen nicht mehr so schön oder belastbar sind. Aber das stimmt nicht. Im Grunde ist das eine kulturelle Einstellung, die wir ändern können.

In Japan zum Beispiel gibt es eine alte Tradition der Geschirrreparatur, Kintsugi. Dabei werden die Bruchstellen sogar mit Gold bestäubt, weil man sie hervorheben möchte.

Das hat einen geistigen Hintergrund: Die Wertschätzung des Unperfekten, der Realität.

Wir wollen immer alles sicher und sauber und perfekt haben, aber so ist die Welt nicht. Besser wir finden ein Weg, damit zu leben und Reparieren lehrt uns das.

Früher wurde fast alles repariert, sollten wir dahin wieder zurückfinden?

Früher wurde alles repariert, weil es von allem zu wenig gab. Das hat nichts der Wertschätzung zu tun, wie ich es eben beschrieben habe. Wir sind noch immer vom Mangel geprägt. Es war immer alles zu wenig. Daher ist der Mensch darauf gepolt möglichst viel zu nehmen. Nun ist es aber genau umgekehrt, und das erst seit sehr kurzer Zeit. Wir haben viel zu viel. Mit diesem Überfluss haben wir noch nicht gelernt umzugehen. Momentan schmeißen wir alles weg und kaufen neu ein, einfach weil soviel da ist.

Ich habe den Eindruck, die Dinge halten nicht mehr so lange…

Sie sollen ja auch gar nicht so lange halten, es kommen ja laufend neue Dinge auf den Markt. Es ist auch alles unfassbar billig geworden. Ich habe neulich auf einem Pfarrflohmarkt eine originalverpackte Eismaschine gekauft, die laut Preisschild 1.400 Schilling gekostet hat. Das wären jetzt ungefähr 100 Euro – Inflation nicht mit eingerechnet. Das käme mir jetzt teuer vor. Heute bekommst du Eismaschinen um 35 Euro. Dadurch, dass alles überall und immer so billig verfügbar ist, und wir auch in der U-Bahn mit dem Handy nebenbei einkaufen können, haben wir überhaupt kein Gefühl mehr dafür, ob wir etwas wirklich brauchen.

Was sind denn reparaturfähige und langlebige Materialien?

Im Grunde gilt: je einfacher und je natürlicher, desto besser geht es zu reparieren. Holz, Stein, Lehm, Metall – all das kann man leicht selber reparieren. Je komplizierter ein Teil, vor allem auch elektronisch, desto aufwändiger oder unmöglicher. Mittlerweile sind leider viele Dinge so gestaltet, dass man sie nicht mehr selbst reparieren kann – ich empfinde das als Entmündigung der Menschen. Wir sollten eine Reparaturmöglichkeit von der Wirtschaft einfordern, sodass echte Kreislaufwirtschaft möglich wird. Schon 1992 hat Dirk Althaus sein Buch „Müll ist Mangel an Fantasie: An der Schwelle zur Kreislaufgesellschaft“ herausgebracht. Rückwirkend muss man leider sagen, dass wir eher an der Schwelle zur globalen Vermüllung gestanden sind.

Könnte reparieren als neue Lust der Gestaltung verstanden werden?

Ich persönlich finde es zutiefst befriedigend, wenn ich etwas repariere. Ja, es hat etwas Lustvolles. Man muss auch über den Prozess nachdenken, sich damit beschäftigen und ich kann etwas schöner oder brauchbarer machen, als es vorher war. Es ist aber auch möglich, dass ich es irgendwie wieder hinkriege, dann muss ich die Unperfektheit akzeptieren, wenn ich nur ein Gaffaband irgendwo herumwickle. In jedem Fall aber werde ich danach eine größere Vertrautheit zu diesem Gegenstand haben und ihn besser handhaben können.

In den letzten Jahren war die Marie-Kondo-Methode sehr populär: Ausmisten, ausmisten, ausmisten. Steht das nicht im Widerspruch zur Reparatur?

Nicht unbedingt. Ich bin auch der Meinung, dass man sich in letzter Konsequenz trennen können muss. Und die Dinge dorthin bringen, wo sie gebraucht werden. Aber wenn ich nur noch wenige Dinge besitze – und das wurde in den letzten Jahren fast als Religion angepriesen – dann kann ich auf diese Dinge auch aufpassen, weil ich weniger abgelenkt bin. Und werde auch besser drauf achten, weil ich ja mit weniger auskommen möchte. Marie Kondo thematisiert diese Beziehung zu Dingen ebenfalls – sie drückt es nur anders aus: Man soll die Dinge behalten, mit denen man „sparkling joy“ hat.

Sollen wir in Zukunft nichts mehr kaufen?

Ich denke, man muss nicht so streng mit sich sein. Es geht um einen bewussten Umgang damit, wie sich Sachen wieder in eine Kreislauffähigkeit eingliedern. Bevor ich etwas kaufe, denke ich darüber nach, wer das für mich hergestellt hat und in welcher Fabrik das hergestellt wurde. Wenn ich mir dann überlege, ob ich diese Fabrik in meiner Nähe haben möchte oder nicht, dann hilft das sehr im Entscheidungsprozess, ob ich diesen Gegenstand kaufe. Und ich denke daran, wie das Ding aussieht, wenn es alt ist und wie es gepflegt wird.

Was mache ich, wenn ich zwei linke Hände habe?

Man kann mit kleinen Dingen anfangen, vielleicht mit Kleidung oder mit Holzteilen, die man leimt. Dinge zerlegen, um sie zu verstehen, hilft auch. Mit der Zeit und den Erfolgen wächst auch das Selbstvertrauen, das zu schaffen und auch die Begeisterung. Es ist auch wichtig, dass man das richtige Werkzeug hat, dann fällt das Arbeiten gleich viel leichter. Auch das sind Erfahrungswerte. Es gibt Foren und Reparaturführer im Internet und auch Reparaturcafés in den meisten Städten , irgendwo da draußen gibt es immer Unterstützung.

Macht Reparieren glücklich?

Zum einen ist es nicht unbedingt eine Frage des persönlichen Glücks, wir erkennen langsam, aber deutlich, dass sich die Rohstoffvorräte und auch der Deponieplatz erschöpfen und wir mehr wiederverwenden und verwerten müssen. Zum anderen macht Reparieren glücklich, weil ich dadurch unabhängiger und selbstbestimmter leben kann.

Weiterführende Links:

Schmidbauer, Wolfgang; Die Kunst der Reparatur, oekom Verlag 2020 

Althaus, Dirk; Müll ist Mangel an Phantasie: an der Schwelle zur Kreislaufgesellschaft, Verlag Rasch und Röhrig 1992

Plattform für Literatur und Hintergrundinformationen über Re-Use

Mehr zum Thema Upcycling gibt es in unserem Blogbeitrag: 5 schnell Upcycling-Ideen für Zuhause