Ich bin ein schlechter Mensch. Zugegeben: Vermutlich ist das nicht das ideale Intro für einen Kolumne, in der man über das Gute, Wahre und Richtige plaudern soll. Schließlich geht es in Textsorten wie dieser – auch und vor allem – um Handlungsanleitungen. Um Vorbildwirkung. Um Beispielhaftes. Googeln Sie sich ruhig quer durch die einschlägige Blogosphäre: Vor lauter Vorbildern, Auskennern und Menschen, die wissen, wie es geht und das nicht nur sagen, sondern auch vorleben, wird einem da ganz schwindlig. Mir zumindest.

Die Kolleginnen und Kollegen leben nämlich nicht nur in der Wahrheit: Sie erzeugen keinen Müll, verbrennen keine fossilen Ressourcen, hinterlassen und verwenden kein Plastik und sind zu Tieren wie Menschen gleichermaßen nett. Außerdem sehen sie, während sie all das (nicht) tun, verdammt gut aus. Und verdienen mit Kurztexten und Bildchen, in denen sie lediglich sich selbst und ihr gutes Leben mit guten Produkten zeigen, auch noch Geld. Gutes Geld – in jeder Hinsicht.

Ich dagegen bin ein schlechter Mensch. Ich tue nämlich sogar dann das Falsche, wenn ich das Richtige tue. Unlängst, bei einer Podiumsdebatte, wurde mir das anhand meiner innerstädtischen Mobilität wieder mal vor Augen geführt:

Ich besitze kein Auto. Das, hieß es, sei gut.
Allerdings ist mein Nicht-Auto-Besitz weniger ideologisch denn praktisch-finanziell begründet: In der Stadt brauche ich es einfach nicht. Das, erklärte man mir, sei zwar nicht böse, aber bedenklich. Weil gute Menschen Gutes um des Guten Willen tun und Gutes mehr zählt, wenn es ein Opfer ist. Sonst zählt es halb: Das, hieß es, sei zwar ein bisserl katholisch, aber wir leben ja auch in einem katholischen Land.

Ich hatte noch etwas im Talon:
Ich fahre Rad. Gut.
Ich war Fahrradbote. Sehr gut.
Einer der ersten Wiens. Das machte mich beinahe zum Heiligen. Obwohl es über 25 Jahre her ist.

Dann machte ich einen Fehler:
Ich gestand, mit dem Radbotensein aufgehört zu haben, als ich mehr mit dem Geschichten-über-Fahrradboten-erzählen verdiente als durchs Fahren. Böse!
Außerdem fahre ich nicht bei jedem Wetter Rad. Dickes Minus!
Starkregen oder Glatteis, wurde ich belehrt, seien kein Grund, das Rad stehen zu lassen. Gerade dann müsse man fahren: Es gehe da ums Prinzip.

Wo es ums Prinzip geht, kackt ab, wer pragmatisch denkt – und das zugibt.
Mein Heute-weniger-Stadtradeln liegt an einem Wiener Paradoxon: Es ist gar nicht so sehr die Feigheit der Politik davor, Raum neu und zukunftsträchtig – also zuungunsten des Autos – zu verteilen, was meine Radkilometer verringert. Schuld sind die Wiener Linien. Denn Qualität und Dichte der Wiener Öffis und der Preis der Jahreskarte stehen einer weit höheren Radverkehrsquote, als Wien sie hat, nicht nur bei mir im Weg: 365 Euro und ein funktionierendes System sind eben eine Ansage.

Nicht genug damit: Seit vergangenem Herbst decken drei E-Scooter-Verleiher in Wien die „letzte Meile“, etwa den Weg von der U-Bahn in die Redaktion, ab. Flink, smart, praktisch – und flexibler als die gratis Citybikes.

Als ich genau das ziemlich genau so sagte, fielen sie über mich her: Derlei sei mega-böse. Ich quasi eine Ausgeburt Satans.

Gleichzeitig wurde eine Dame im Publikum gefeiert und „Vorbild“ genannt. Sie hatte erklärt, dass genau der von mir genutzte Mix ihr den Verzicht aufs Auto in der Stadt schmackhaft mache.

Ich verstand nicht. Fragte nach. Und lernte:
Es geht nicht um das, was man tut, sondern um das, was man nicht tut. Die Ex-Autofahrerin habe mit urbanem Benzinverbrennen gesündigt – und tue das jetzt dank U-Bahn und E-Roller kaum mehr. Sie sei gut.
Ich hingegen hätte nie sinnlos Benzin in der Stadt verheizt, sei aber von der reinen Rad-Lehre hin zum E-Scooter-Mixverkehr abgefallen. Obwohl mein städtischer Öko-Verkehrsfußabdruck immer noch besser als der der Bekehrten sei, führe mein Weg hinab, ihrer aber ans Licht.

Und deshalb steht eines fest: Ich bin ein schlechter Mensch.