Anna Leitner ist Global 2000-Campaignerin für ein EU-weites Lieferkettengesetz. Um der Politik Mut zu machen, hier einen starken und effizienten Schritt zu setzen, werden derzeit europaweit Unterschriften gesammelt. Die oekostrom AG unterstützt dieses Vorhaben. Warum ein Lieferkettengesetz wichtig ist und was es bewirken kann, erklärt Anna hier im Interview.

Du bist bei Global 2000 als Campaignerin für die Petition für ein EU-weites Lieferkettengesetz verantwortlich: Warum brauchen wir so ein Gesetz eigentlich?

Die kurze Antwort: Weil es momentan keine Gesetze gibt, die besagen, dass international agierende Konzerne nicht nur in Österreich und Europa Menschenrechte, Arbeitnehmer:innenrechte oder Klima- und Umweltschutzauflagen einhalten müssen. Sie müssen auch nicht darauf schauen, dass bei ihren Standorten außerhalb von Europa und bei ihren Zulieferern diese Standards eingehalten werden. Das Lieferkettengesetz, das die EU-Kommission nach jahrzehntelangem Druck der Zivilgesellschaft nun vorgeschlagen hat, soll diese Lücke schließen. Was Global 2000 mit hunderten zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in Österreich, europaweit und weltweit fordert, ist, dass dieses Lieferkettengesetz gut definiert wird. Dass es stark wird und dass es tatsächlich Menschen, die von Schäden, die Unternehmen verursachen, betoffen sind, auch Zugang zu Gerichten ermöglicht. Auch, dass die Emissionen von Unternehmen in Lieferketten beinhaltet sind. Das würde jenen Paradigmenwechsel herbeiführen, den wir so dringend brauchen.

Machen wir es konkret: Das würde bedeuten, dass ich beim Entwurf einer – zum Beispiel – Kaffeemühle dran denken muss, woher der Bleistift, mit dem ich skizziere, kommt und unter welchen Bedingungen er hergestellt wurde?

Beinahe: Ich muss bei allen Aspekten, die zu meinem Produkt führen, schauen, dass sie korrekt, gerecht und klimaneutral hergestellt wurden.

Aber wo fängt das an?

Wichtig ist in diesem Kontext die Verhältnismäßigkeit. Bleiben wir bei der Kaffeemühle: Da ist der Bleistift wohl nicht mein Kerngeschäft. Aber ich werde schauen müssen, aus welchen Materialien das Gerät ist, ob Metalle verbaut sind, bei deren Abbau es nicht mit rechten Dingen zugeht. Es muss auch die Wertschöpfungskette definiert werden: Ist das Gerät reparaturfähig, können Teile ausgetauscht werden? Kann es zerlegt und einem sachgerechten Recycling zugeführt werden?

Solche Überlegungen werden bisher meist hinter den Profit gestellt. Aber das soll Standard werden – damit nicht nur einige Wenige auf Umwelt, Klima und Menschenrechte schauen. Wenn das der Standard ist, sorgt das auch für einen fairen Wettbewerb.

Deutschland hat so ein Gesetz schon beschlossen. In der EU wird es sicher kommen: Es ist doch eh schon im Laufen!

Ja, das hören wir immer wieder. Weil ja auch auf EU-Ebene oft und gerne gesagt wird, wie toll das Gesetz wird. Aber der Teufel liegt im Detail: Die Kommission hat einen guten Vorschlag gemacht, aber es gibt viele Lücken. Etliche Mitgliedstaaten haben den Entwurf massiv verwässert: Sie haben beispielsweise den Finanzmarkt rausgenommen – was absolut unverständlich ist. Sie haben Schwellen, ab wann Unternehmen erfasst sein sollen, massiv erhöht. Und wir erleben ein Lobbying dafür, den Status Quo zu erhalten und die Lücken größer zu machen, wie wir es noch bei keinem anderen Vorhaben gehabt haben.

Deswegen müssen die Stimmen der Zivilgesellschaft und die Stimmen von Unternehmen, die einen fairen Wettbewerb wollen, laut und hörbar sein: Deshalb gibt es derzeit ja auch eine europaweite Kampagne namens „Justice ist everybodys business“.

Aber wie umsetzbar ist das? Schon in Österreich ist es schwer, Baufirmen in die Verantwortung für das zu nehmen, was von ihnen beauftragte Subunternehmer verbocken. Wie soll das dann global funktionieren, wenn es um Kinderarbeit oder Umweltagenden geht?

Es funktioniert nicht, weil es im Konzerndeliktsrecht Lücken gibt. In der Gesetzgebung muss genau definiert werden, wer wofür zuständig ist. Genau das soll mit dem Lieferkettengesetz geregelt werden: Eine Konzernholding, ein Mutterkonzern ist dann für 100 Prozent der in ihrem Eigentum stehenden Tochtergesellschaften, für das was sie tun und für direkte Zulieferer, verantwortlich.

Erst recht, wenn es um Aufträge geht, bei denen Zulieferer oft großteils für dieses Unternehmen arbeiten. Genau um diese Verantwortung geht es.

Gibt es ein Beispiel?

Ja – auch wenn es ein Tragisches ist. Darum erinnert man sich noch: In Pakistan gab es 2012 einen Brand in einer Textilfabrik bei dem fast 300 Menschen umkamen. Den berühmten „KiK-Fall“: Fast drei Viertel der Aufträge der Fabrik kamen von KiK. Dort gibt es bis heute keine Gerechtigkeit für die Betroffenen. Auch weil angeblich nur pakistanisches Recht anwendbar sei – mit Verjährungsfristen von einem Jahr. Praktisch, oder? Solche Fälle zeigen klar, dass es Lücken im Rechtssystem gibt:

Es geht nicht darum, dass man nicht weiß, wer verantwortlich ist - sondern darum, dass Gesetze nicht existieren oder nicht greifen.

Anna Leitner

Global 2000-Campaignerin

In jedem Fall verlangt so ein Gesetz aufwändiges Controlling – samt Dokumentation. Das ist teuer – und bringt den Unternehmen nichts.

Da gibt es längst sehr gute Lösungen. Man weiß aus der Praxis und Studien, dass es auch für die Unternehmen von ökonomischem Vorteil ist, wenn sie ihre Lieferketten entschlüsseln. In Wirklichkeit tun das viele längst: Jeder Tech- oder Autohersteller will und muss wissen, woher seine Bauteile kommen, woraus sie sind und wie sie hergestellt werden – alleine wegen der Qualitätskontrolle. Diese Abläufe auch auf Menschenrechte und Umweltauflagen anzuwenden, wäre eine Aufgabe, die das Lieferkettengesetz vorgibt – und die machbar ist.

Ja, wenn man es will. Aber kostet und geht zulasten des Profits. Dass das für Konzerne nicht unbedingt attraktiv ist, ist nachvollziehbar.

Die Lieferkettenthematik ist durch Lieferkettenprobleme der letzten Jahre ja erstmals in die Medien gekommen: Es gab massive Lieferschwierigkeiten. Wir haben gesehen, dass Lieferketten anfällig sind: Schiffe bleiben stecken, Kriege, Pandemien, Zulieferer fallen aus.

Unternehmen, die wissen, wie sie da reagieren können, weil sie einen Überblick haben, haben klare Vorteile. Auch aus diesen Gründen beschäftigen sich viele längst intensiv mit Lieferketten. Sie wissen nämlich sehr genau, dass das die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, deutlich erhöht.

Wenn es um Menschenrechte und Umweltschutz geht, ist das durchaus ein Faktor: Unternehmen, die sich an derzeit freiwilligen Leitsätzen von OECD und Vereinten Nationen orientieren, machen das nicht von ungefähr: Der Reputationsschaden, wenn es in der Lieferkette zu Unfällen kommt oder Schäden angerichtet werden, ist enorm – und das sieht man dann auch in der Bilanz.

Drehen wir es um: Was bringt es Unternehmen konkret?

Es führt zu einer Steigerung der Widerstandsfähigkeit. Man kann Risiken frühzeitig entgegenwirken, wenn man mit Zulieferern Programme entwickelt, wie und welche Arbeitnehmer:innenrechte einzuhalten sind. Etwa weil der Zulieferer verpflichtend Daten schicken muss – auch zu Umweltfaktoren. Bei Unternehmen, die sich schon jetzt damit beschäftigen, hat sich das in der Praxis als positiv erwiesen.

Österreichs Regierungskommunikation stellt uns stets als Best-Practice-Land mit Vorreiterrolle hin. Sind wir also ganz vorne mit dabei?

Schön wäre es – aber das Gegenteil trifft zu: Österreich ist überhaupt kein Vorreiter. Österreich hat sich im Rat, als es um die sogenannte „allgemeine Ausrichtung“ gegangen ist, um die Position der Mitgliedstaaten für Verhandlungen, der Stimme enthalten. Österreich ist ein kleines Land, aber es hat hohe Strahlkraft: Es würde eine große Rolle spielen, wenn wir sagen „ja, das ist möglich“ und „ja, das ist notwendig – darum wir unterstützen es“.

Ziel der Petition sind 20.000 Unterschriften. Die oekostrom AG ist bei dieser Kampagne dabei. Aber welche Rolle spielen nachhaltige Energieversorger in der Lieferkettenthematik generell?

Zuerst Mal: Wir freuen uns über eure Unterstützung. Und zur Frage: Natürlich ist das Thema auch bei den Produzenten der erneuerbaren Energiebranche relevant. Auch hier verwendet man Rohstoffe, auch hier gibt es Lieferketten. Auch dem Energiesektor, ganz generell, schaden Transparenz und genaue Risikoanalysen nicht. Plus: Es geht ums Klima. Obwohl EU-Kommission und -Rat das in diesem Fall als ein Nebenthema sehen, sagt das EU-Parlament klar: Die Klimakrise braucht Antworten, die dem Ausmaß der Krise angemessen sind – und Unternehmen müssen verpflichtet werden, auch ihre Treibhausgasemission und andere globale Schäden zu reduzieren. Das bedeutet auch, dass Treibhausgasemissionen in der Liefer- und der Wertschöpfungskette auszuweisen und zu reduzieren sind.

Hier kommen die Erneuerbaren ins Spiel.

Genau.

Denn wie reduzieren wir Emissionen in den Wertschöpfungsketten? Indem wir Produktion und Transport umstellen – auf Erneuerbare! Und das gibt auch der ganzen Transformation, dem Green Deal, Rückenwind!

Anna Leitner

Global 2000-Campaignerin

Alles fein. Aber: Es ist zumindest bei der Implementierung mit Mehrkosten verbunden. Und höhere Kosten werden immer auf die Konsument:innen abgewälzt: Können wir uns das leisten – ohne beim Lebensstandard Abstriche zu machen?

Das Argument kommt immer. Vor allem von Playern, die Produkte verkaufen, die zwar teuer sind, aber unter schlechten Bedingungen hergestellt werden. Auf Deutsch: Von jenen, die schon bisher nicht auf Menschenrechte und Umwelt achten, aber satte Preise verlangen und enorme Gewinne machen. Wir kennen das aus 1000 Beispielen: Nicht die Produkte mit Öko- und anderen Gütesiegeln sind die teuersten, sondern die ohne, aber dafür mit klingenden Markennamen. Dahinter stehen dann Weltkonzerne. Konzerne, bei denen es leicht möglich wäre, Mittel ressourceneffizient anders zu verwenden – ohne das an die oder den Endkonsument:in weiterzugeben.

Wie geht es weiter?

Wir sammeln nicht nur Unterschriften, sondern reden auf allen Ebenen mit Ministerien und diversen Stakeholdern. Wir versuchen, die Debatte auch in Österreich zu entwickeln. Wenn wir 20.000 Unterschriften zusammenhaben, zeigt das, wieviel Druck aus der Bevölkerung da ist.

Ziel dieser Bewegung ist aber auch, dass darüber gesprochen wird, was wir wollen. Was für Produkte, was für ein Wirtschaftssystem: Wer soll dafür zahlen, wenn dieses Wirtschaftssystem die Umwelt zerstört? Daraus soll jener politische Druck entstehen, dass 2025 EU-weit ein starkes, bissiges Lieferkettengesetz in Kraft tritt. Ein Gesetz, das daher im Idealfall noch 2024, vor den EU-Parlamentswahlen, verabschiedet sollte.

Wenn sich Kommission, Parlament und Rat einigen, haben die Mitgliedstaaten noch zwei Jahre Zeit, das in nationale Gesetzestexte zu gießen – und das bedeutet wiederum, dass es dann auch in Österreich ein nationales Lieferkettengesetz geben wird.

Und dann ist alles gut?

Nein, es wäre naiv, das zu glauben. Aber zu wissen, dass etwas kommt, hat starke Präventiv-Wirkung: Viele Unternehmen werden jetzt schon beginnen, sich stärker Gedanken zu machen. Und allein dadurch wird sich vieles ändern.

Hier geht es zur Lieferketten-Petition von Global 2000: https://www.global2000.at/petition/zukunft-leben