Balkongärtnern liegt schon länger voll im Trend. Wieso aber Dachsalat, Terrassen-Tomaten und Etagen-Erdbeeren auch ein Beitrag zum Klimaschutz sind und wieso Würmer am Balkon wesentliche Faktoren bei Müllreduktion und Kreislaufwirtschaft sind, erklären der Vertikalgarten-Pionier Jürgen Herler von Herbios und Wurmkiste.at-Gründer David Witzeneder.
Früher ging es um bunte Balkonblumen im Gemeindebau, heute aber sind Gemüse und Kräuter von der Dachterrasse ein immer größer werdendes Thema. Herbios baut vertikal, also übereinander, angeordnete Beete auch für kleine Balkone. Aber: ist Terrassengemüse nur ein netter urbaner Trend – oder hat das auch einen Impact?
Jürgen Herler: Balkongärtnerei wächst seit Jahren. Nicht nur bei mir und den Herbios-Vertikalgärten, sondern ganz generell. Einer der Faktoren war Corona: Da sind die Leute zu Hause geblieben und haben – wenn sie Glück hatten – entdeckt, dass sie Balkone und Terrassen als erweiterten Wohnraum tatsächlich nutzen können. Das wurde bis dahin unterschätzt: Jaja, die älteren Damen haben Blumen am Balkon – und wir stellen die Wäsche raus … Und am Abend sitzt man draußen. Aber der Balkon als Garten? … Auch Debatten um Freiräume in der Stadt spielen mit: Wir reden über Verkehr, über die Begrünung des öffentlichen Raumes, über Boden und Versiegelung – …
… und skaliert das dann, in den privaten Raum hinein?
Jürgen Herler: Ja, weil damit der Innenraum nach draußen erweitert wird, in einen Raum, in dem wir uns viel zu wenig aufhalten: 95 Prozent der Lebenszeit halten wir uns ja in Innenräumen auf. Ein bisschen zurück zur Natur, ein bisschen Hinausgehen, ohne wirklich hinauszugehen, in diesen geschützten Außenraum: das hat sich angeboten. Und mit Vertikalgärten lässt sich das optimieren.
Vertikal heißt, der Garten wird im rechten Winkel aufgestellt. In eine vertikale Anbaufläche verwandelt. Als Laie sage ich: Schlau, mehr Fläche – mehr Ertrag. Ist das wirklich so simpel?
Jürgen Herler: Ja, aber da steckt noch mehr dahinter. Sowohl was das Beet als auch was die Idee angeht: Wir haben den Wunsch, uns mit Grünem zu umgeben. Wir wollen ein kleines Fleckerl Natur gestalten. Gleichzeitig gibt es aber oft das Problem, dass bei vielen Leuten auf diesem kleinen Fleckerl dann nichts wächst. Gerade am Balkon oder auf der Terrasse: Weil es dort zu heiß ist. Wenn ich da zwei, drei Pflanzen im Topf hinstelle, verbrennen die im Hochsommer sehr rasch.
Ich muss meinen Außenraum also mikroklimatisch gestalten. Das bedeutet: Intensiv begrünen – sonst kriege ich kein Mikroklima zustande, das mir und den Pflanzen recht ist. Deshalb schauen wir, hier möglichst viel Platz für möglichst viel Grün zu schaffen – dann geht das. Das Spannende an diesem Prozess ist, dass immer mehr Leute merken, dass Pflanzen und wir selbst sehr ähnliche Bedürfnisse haben: Hell und warm – aber nicht brütend heiß.
Die Hauptmission von wurmkiste.at ist es, den Biomüll aus dem Restmüll rauszubekommen. Das ist in Österreich ein Riesenproblem, weil immer noch 30 Prozent vom Restmüll Biomüll ist: Jede dritte Mülltonne ist eigentlich Biomüll!
David Witzeneder
wurmkiste-CEOZu so einem Mikroklima gehören nicht nur Mensch und Blumentopf, sondern auch andere Lebewesen. Würmer etwa. David, was tragen deine Würmer zum Mikroklimaraum „Balkonien“ bei?
David Witzeneder: Wir arbeiten mit Kompostwürmern. Die gehören zur Familie der Regenwürmer, sind aber ein bisschen kleiner und rötlicher. Diese Würmer fressen bis zu ihrem halben Körpergewicht täglich – und zwar an Biomüll. Das heißt, dass man so einen Kreislauf schließt: Da stehen Pflanzen am Balkon und dadurch, dass ich pflanzliche Abfälle aus der Küche verfüttere, entsteht Wurmhumus. Also Dünger. Den kann ich ins Vertikalbeet oder in Topfpflanzen einbringen – und es wachsen Pflanzen, die essbar sind. Das ist ein wichtiger Baustein, diesen Kreislauf zu schließen. Es macht auch Spaß und ist sinnstiftend: man schmeißt den Biomüll nicht mehr weg, sondern füttert damit die Würmer. Das ändert auch Perspektiven.
Das bringt mich zurück zu Jürgen und dem Beet auf kleinstem Raum: Ein Mikroklima mit Mikrokreisläufen, die aber dadurch optimiert werden, dass mehrere Etagen übereinander liegen.
Jürgen Herler: Ohne auf unser Produkt spezifisch einzugehen gilt: In kleinen Außenräumen entstehen immer Nutzungskonflikte. Ich will hier viele Lebensprozesse abwickeln: Essen, Kinder spielen, zwei Sonnenliegen. Ich muss den Raum also aufteilen.
Das vertikale Gärtnern unterstützt diese Mehrfach-Funktionen sehr gut: Ich kann viel anbauen, schaffe über die Vertikale aber eventuell auch noch einen Sicht- oder Windschutz. Ich kann den Außenraum so sogar beschatten und damit noch lebensfreundlicher machen: Wir ziehen unsere Vertikalbeete mittlerweile immer öfter zu Klimaterrassen hoch, schaffen also Gründächer, wie in einer Weinlaube – und verbrauchen dennoch kaum Bodenfläche.
Ich kann das Grün in die Vertikale bringen – und das sehr effizient: Auf ungefähr 0,4 Quadratmeter kriegen wir an die 50 Pflanzen unter. Das hat ja bis zu sechsmal so viel Anbaufläche wie Standfläche.
Wir wollen aber nicht nur eine grüne Wand herzeigen, sondern tatsächlich produzieren – und ernten. Und, so wie David sagt, Kreisläufe schließen: Es geht um Produktivität, um Erhaltung des Substrats und Nachdüngung. Biomüll soll in den Häusern nicht nach unten, zur Entsorgung, getragen werden, sondern als Wertstoff direkt eingebracht werden: das System soll geschlossen werden – mit essbaren Pflanzen. Pflanzen, die im Sommer groß sind und auch Schatten geben – aber im Winter gibt die Laube das Licht frei.
Aber beim Wort „Wurm“ springen dann doch etliche Leute ab, oder?
David Witzeneder: Ja, das ist ein Thema. Man weiß, der Kreislauf wäre sinnvoll, aber irgendwo graust manchen dann anfangs doch. Aber das ist nicht unlösbar. Es gibt z. B. Tontöpfe mit Löchern, die man direkt in die Beete einsetzt – da füttert man oben den Biomüll rein und sieht die Würmer gar nicht mehr.
Aber brauche ich so einen Behälter, eine Kiste oder eine eingebuddelte Vase überhaupt?
David Witzeneder: Ein guter Kompostierprozess ist wichtig. Und das sind Prozesse die räumlich auch getrennt ablaufen sollten. Wir raten davon ab, Biomüll oder Essensreste übers Beet zu verteilen.
Geht es bei alledem mehr darum, ein Signal zu setzen – oder hat das auch ökonomischen Wert? Schließlich kosten Vertikalbeete und Wurmkisten doch auch Geld – rechnet sich das für mich?
Jürgen Herler: Wir sind gerade dabei, auch ökonomische Komponenten zu berechnen. In einer Versuchsanlage im Waldviertel haben wir in fünf Wochen Kräuter zum Verkaufswert von 300€ geerntet. Hätten wir auf der gleichen Fläche per PV-Modul Strom erzeugt, hätten wir 15€ erwirtschaftet.
Aber man muss dazu sagen: das gilt nur bei bestimmten Pflanzen. Vor allem bei Kräutern. Kräuter haben einen ökonomisch sehr hohen Stellenwert. Die bekommt man im Supermarkt nur in kleinen Mengen oder in Plastiksackerln. Nicht, weil der Bauer oder der Supermarkt böse sind, sondern weil das logistisch nicht anders geht: Blattgemüse und frische Kräuter zwingen Versorger, Produkte bereitzustellen, die komplex zu produzieren, zu verpacken und zu transportieren sind. Genau dafür eignet sich der eigene Garten aber sehr gut. Karotten oder Erdäpfel würden so ökonomisch keine große Rolle spielen.
Kräuter, saisonale Salate, Beerensträucher, mehrfach tragenden Erdbeeren, Raritäten – damit tut man sich aber selber was Gutes. Nicht nur wegen der Geldbörse, sondern auch wegen der individuellen Ernährung.
Man soll zwar nicht alles in Geld umrechnen, aber wir sind drauf und dran, auch den ökonomischen Aspekt zu zeigen. Da sind Umweltfolgekosten noch gar nicht eingerechnet.
Wenn wir Kreisläufe schließen wollen, müssen wir anfangen, uns selbst als biologische Komponenten zu sehen. Da dürfen wir vor einer Pflanze und vor einem Wurm keine Angst mehr haben, sondern müssen das ganze System sehen.
David Witzeneder: Ein durchschnittlicher Haushalt produziert ungefähr 100 Kilo Biomüll im Jahr. Das reduziert sich auf zehn Kilo, wenn die Würmer ihn fressen – auch das ist ein Aspekt. Wenn du stattdessen Dünger kaufen würdest, wäre das ökonomisch wieder etwas Anderes: Die Wurmkiste rechnet sich – obwohl man am Anfang natürlich investieren muss und Arbeit hat.
Was auch dazu kommt: Die Wertigkeit, die das Thema „Kompost“ so bekommt.
95 Prozent der Lebenszeit halten wir uns ja in Innenräumen auf.
Ein bisschen zurück zur Natur, ein bisschen Hinausgehen, ohne wirklich hinauszugehen, in diesen geschützten Außenraum: das hat sich angeboten. Und mit Vertikalgärten lässt sich das optimieren.
Jürgen Herler
Bleiben wir bei den Kosten: So eine Wurmkiste kann ich doch auch selbst basteln, oder? Brauche ich euch, um meinen Balkon effizient und nachhaltig zu einem Gemüsegarten zu machen?
David Witzeneder: Die Hauptmission von wurmkiste.at ist es, den Biomüll aus dem Restmüll rauszubekommen. Das ist in Österreich ein Riesenproblem, weil immer noch 30 Prozent vom Restmüll Biomüll ist: Jede dritte Mülltonne ist eigentlich Biomüll! Wir wissen, dass sehr viele Leute sich unser System anschauen, die Betriebsanleitung lesen – und dann nur Würmer bestellen. Wir sind happy damit, weil es darum geht, dass das Thema weiterkommt. Es gibt Sparer und Bastler. Darum gibt es auch Selbstbausets von uns: Alles, was in diese Richtung geht, ist wichtig.
Selbstbausätze gibt es ja auch für Herbios-Beete, oder Jürgen?
Jürgen Herler: Es gibt Selbstbausets, ja. Viele Leute fangen mit dem Balkongärtnern ja ganz einfach mit Palettenhochbeeten an. Bei uns geht es dann aber auch um die Materialien und handwerkliche Qualität: Wir arbeiten mit hochwertigem Holz und hochwertigem Edelstahl – und das ist nicht billig. Unsere Beete sind keine Baumarktware. Nicht aus Gründen des Kopierschutzes, sondern weil das, was wir tun, für die Pflanzen optimiert wurde. Wir gehen aber schon auf Kund:innen zu, die selbst etwas tun wollen und haben Selbstbausätze im Programm: Wir können nicht alle Leute mit unseren Produkten versorgen – da gibt es eine Preishürde – weil es auch um den durchgehenden Erdkörper zwischen den Etagen geht, das ist ja das, was unsere Vertikalbeete ausmacht: Blumenkisten aus Plastik kaufen und übereinander stapeln und zu glauben, dass man im tiefsten Winter und im Hochsommer damit gut gärtnern kann, funktioniert nicht. Das ist ein Fehler, da machen die Pflanzen nicht mit.
Aber es gibt Selbstbausätze, wir arbeiten auch in diese Richtung – auch mit der Wurmkiste zusammen. Wir wollen in diese Richtung weiter gehen, weil „do it yourself“ gerade für junge Menschen natürlich sehr interessant ist. Andererseits haben wir in die Entwicklung eines Qualitätsproduktes viel investiert. Wir müssen unsere Waren und Mitarbeiter:innen bezahlen – und heimische Qualitätsarbeit wird man nicht auf Baumarktqualität herunterbrechen können. Das wollen wir nicht. Es geht uns aber sehr wohl auch um das große Thema: Wir wollen, dass das vertikale Gärtnern am Balkon als Stadtbegrünungsmaßnahme gesehen wird. Dafür brauchen wir viele Menschen, die das möglichst intensiv betreiben.
David Witzeneder: Es gibt natürlich Leute, die bauen sich so etwas selbst. Aber wenn ich das Beet bei Euch oder die Kiste bei uns besorge, kaufe ich etwas, wo ich weiß, dass es funktioniert. Das tropft nicht, die Würmer kommen nicht raus – darauf kommt es schon auch an.
Jürgen Herler: Wir haben es ja meistens mit Einsteiger:innen zu tun. Die wollen schnell Erfolgserlebnisse. Wenn du im Hochsommer dann aber 90 Prozent Ausfallsquote hast, weil die Bewässerung nicht passt, die Erde nicht passt und das Gesamtpaket nicht funktioniert, dann wird das abgehakt und nie wieder angegriffen: Wer eine Negativerfahrung hat, lässt es.
Wir sehen uns als Bottom-Up-Bewegung. Wir wollen eine gesellschaftliche Transformation. Wir wollen, dass die Leute Spaß daran haben. Dass sie das in einem Umfang betreiben, dass diese Grünräume auch sichtbar werden und Effekte haben, die messbar sind. Sonst reden wir wieder nur davon, irgendwo ein grünes Tupferl hinzustellen.
Genau darauf möchte ich zum Schluss noch einmal kommen. Auf die „Grünen Tupfer“: Sind das Baby-Steps, die nur mein subjektives Öko-Bewusstsein boosten – oder hat das auch einen nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Klimaeffekt?
David Witzeneder: Wenn wir alle Wurmkisten zusammennehmen, die heute in Verwendung sind, entspricht das ungefähr drei Prozent vom Biomüll, der in Wien immer noch Restmüll landet. Das sind 20.000 Tonnen, die jährlich durch die kleinen Wurmkisten vermieden oder eben genutzt werden. Auch mit kleinen Firmen, wie wir es sind, kommt man da in eine Sphäre, in der das signifikant und messbar ist. Es macht also durchaus einen Unterschied. Wenn wir auf einer Dachterrasse in einem Wiener Innenbezirk eine Kiste aufstellen, schauen wir uns ja um – und da sind ringsum schon viele, immer mehr, begrünte Terrassen. Der Trend ist da – und sichtbar.
Jürgen Herler: Und der mikroklimatische Effekt ist auch wichtig. Wenn der für die Bewohner gut ist, ist er auch für die Umgebung gut. Dass man im Hochsommer draußen sitzen kann etwa: Da kann ich mein individuelles Bedürfnis, einen Raum zu schaffen, in dem ich mich wohl fühle, ausleben – und das wirkt sich für alle so aus. Obwohl manche sich gar nicht als Community sehen, sondern nur für sich selbst etwas Gutes wollen.
Aber es gibt dann auch noch große Themen, wie etwa den EU-Gebäude-Taxonomie. Da geht es ja immer mehr in Richtung gesetzlich vorgeschriebener Begrünung. In Frankfurt ist man schon so weit – dort muss jeder Neubau begrünt werden. Viele Dachterrassenbesitzer können im Sommer ihren Außenraum ja schon jetzt nicht mehr nutzen. In Deutschland gibt es Städte, in denen man jetzt schon weiß, dass Penthäuser und Dachterrassenwohnungen in 10 Jahren ohne Maßnahmen nicht mehr verkäuflich sein werden.
Das muss man sich einmal vorstellen: Das waren immer die Wohnungen, die die Sanierung des ganzen Haues finanziert haben. So wertvoll waren die. Aber der Klimawandel macht daraus etwas, das nicht verkäuflich oder nutzbar ist.
Wir werden also zwangsweise Grünlösungen brauchen. Und wenn das Grünlösungen sind, die nicht auf der Gebäude- sondern der Bewohnerebene gedacht werden, weil Bewohner den Grünraum nutzen und bewirtschaften und das auch ökonomische Aspekte für sie beinhaltet, ist das zu begrüßen: Fassadenbegrünung muss ja auch jemand betreuen und bezahlen – aber der Bewohner macht das selber, auch für seinen eigenen Zweck. Da haben dann alle etwas davon – und das ist unser Ziel.
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