Die „Luftburg“ der Wiener Gastro-Dynastie Kolarik kennt wohl jeder und jede, der oder die je im Wiener Prater war. Dass das Lokal mit seinen 1200 Sitzplätzen aber das größte Bio-Lokal der Welt ist, wissen dann doch nicht alle. Das gilt auch für den jüngsten Preis der vielfach ausgezeichneten „Luftburg“: Im Vorjahr wurde sie zum besten Bio-Lokal der EU gekürt. Im oekostrom AG-Talk erzählen die Betreiber Bianca und Paul Kolarik, was es damit auf sich hat – und dass das „Bio“-Thema bei ihnen eine kleine Nachhaltigkeitslawine in Gang setzte.

Frau Kolarik, Herr Kolarik meine erste Frage dreht sich nicht um die „Luftburg“, sondern darum, was ich durchs Fenster sehe: Den Prater. Stimmte es, Herr Kolarik, dass Sie tatsächlich im Prater geboren wurden?

Paul Kolarik: Ja, das ist korrekt. Ich bin ja das dritte von fünf Kindern meiner Mutter. Und da sie bei meinen älteren Geschwistern nicht so gute Erfahrungen im Krankenhaus gemacht hat, hat sie sich dafür entschieden, mich zu Hause zu bekommen. Und da unser Zuhause das Restaurant Luftburg – damals ein Einfamilienhaus – war, bin ich tatsächlich in einem Zimmer hier im ersten Stock auf die Welt gekommen.

Das heißt, Sie haben nie woanders als im Prater gelebt?

Paul Kolarik: Nein. Der Prater war immer mein Bezugspunkt, aber wir haben auch im 20. und im 2. Bezirk gewohnt. Mit meiner Frau gemeinsam dann eine Zeit lang auch im 9. Bezirk.

Frau Kolarik, wie ist es aus „der Stadt“ hierher, in den Prater, zu ziehen?

Bianca Kolarik: Toll. Wir haben drei Kinder – da ist der Prater ein idealer Ort: Städtisch und doch mitten im Grünen – wenn man die Chance hat, da zu leben, ist das was ganz Besonderes. Wien ist eine tolle Stadt – mit einer unglaublichen Lebensqualität. Und der Prater spielt da eine ganz große Rolle.

Wie definieren Sie denn diese Wiener Lebensqualität?

Bianca Kolarik: Das ist eine große Frage. Verknappt gesagt: Wir selbst neigen deshalb zum Stubenhocken – weil wir in kurzer Distanz alles haben, was wir brauchen. Die Kinder gehen hier in den Kindergarten und die Schule. Wir machen hier Sport, wir arbeiten hier: Wir leben hier! Wir können alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen, das ist eine Qualität – und wir haben die U-Bahn vor der Tür.

Wir sind mittlerweile leidenschaftliche Öffi-Fahrer – und das ist in Summe alles extrem wichtig: Dass die Stadt eine solche Infrastruktur hat, gleichzeitig trotzdem Grün- und Erholungsflächen in kürzester Distanz bietet – und man ein Leben führen kann, in dem man auf Nichts verzichtet und sogar nachhaltig mobil unterwegs ist / sein kann.

Es geht darum, zu zeigen, dass es nicht wurscht ist. Wir verzichten auf eine bessere Marge, weil wir etwas Besseres erreichen können.

Paul Kolarik

Womit das Schlüsselwort gefallen wäre: Nachhaltigkeit als Alltagsoption. Schlägt die Möglichkeit, nachhaltig zu leben dann irgendwann aufs Businessdenken durch – oder war das immer schon Teil des Konzeptes und des Denkens der Gastro-Dynastie Kolarik?

Bianca Kolarik: Zum Einen ist das sicher in den letzten Jahren durch unsere Kinder immer wichtiger geworden. Da denkt man automatisch nach, welche Welt man ihnen übergibt. Aber generell ist das Thema in den letzten Jahren sehr populär, sehr wichtig geworden. Gott sei Dank. In unserer Kindheit, zumindest in meiner, war das ja noch kein Thema.

Ihre Mutter Elisabeth, Herr Kolarik, hat in einem Interview hier nicht nur erzählt, dass und wie sie die „Hüpfburgen“ erfunden hat, sondern auch, dass sie Nachhaltigkeit schon gelebt hat, bevor sie den Begriff kannte: „Lebensmittel wurden nie weggeschmissen“, sagte sie etwa.

Paul Kolarik: Ich glaube, wir sind eine Zwischengeneration: Die Großelterngeneration hat nicht einmal Brot, das schon zwei Wochen rumgelegen ist, weggeschmissen. Die haben auf alles geschaut. Meine Mutter hat das übernommen. Aber ich glaube, dass wir als Generation eine enorm ressourcenverschwenderische Jugend hatten. Wir wuchsen auf, als alles in Plastik verpackt wurde und alles so komfortabel wie möglich gemacht wurde – ohne an Konsequenzen zu denken.

Und jetzt merken wir, auch weil wir Kinder haben, dass es fünf vor 12 ist. Wenn nicht eins nach 12. Das war auch der Grund, wieso wir beschlossen haben, alles auf Bio umzustellen. Und Nachhaltigkeit in den Fokus zu rücken.

Aber meine Mutter hat uns da schon sehr viel in die Wiege gelegt – wir haben dann geschaut, was wir tun können, welche Hebel, welche Rädchen wir als Gastronomieunternehmen anders einstellen können.

Ihre „Luftburg“ ist mit 1.200 Plätzen heute das größte Bio-Restaurant der Welt. Ist das nicht ein bisserl schwer, in dieser Größe wirklich biologisch und nachhaltig erfolgreich zu wirtschaften?

Paul Kolarik: Ich sehe das genau anders: Durch die Größe haben wir die Chance, eine breite Masse anzusprechen und den Leuten ein bisschen in diese Richtung mitzugeben – und zwar auf eine schöne Art: Genussvoll und ohne belehrend aufzutreten. Gäste, Lieferanten und Mitbewerb sehen, dass das funktioniert. Das löst etwas aus. Hoffentlich. „Bio“ ist unser Dreh- und Angelpunkt. Bio ist in der Lebensmittelherstellung der Goldstandard.

Unser Zugang: Wenn wir das kompromisslos leben und zeigen, können wir am meisten erreichen und bewirken – und bei einem großen Betrieb hat das eine wirkliche Strahlkraft.

Geht das ohne Kompromisse?

Paul Kolarik: Ja. Wir sind mittlerweile im vierten Jahr zu 100 % Bio – und zwar auch für den Endkunden kontrollierbar. Mit dem Begriff „nachhaltig“ ist es komplizierter. Das ist so wie „regional“ auch eine Definitionsfrage: Für manche reicht regional 50 km weit, für manche mehr, oder auch weniger.

Aber bei „Bio“ weiß auch der Endkunde, dass es Biozertifizierungen gibt – und die müssen die Unternehmer einhalten.

Genau das war der Grund, uns dafür zu entscheiden: Wir haben 2018 mit der Biozertifizierung begonnen und sind in Windeseile in Richtung 100 % gegangen, weil wir uns gefragt haben, was Bio eigentlich bedeutet – und was nicht? Was kann da entstehen oder passieren? Wie geht man mit Lebensmitteln, wie mit Tieren um? Im Endeffekt führte das dazu, dass wir es uns gar nicht mehr vorstellen können, NICHT mehr Bio zu sein.

Ich glaube auch, dass – sollten die Gäste das nicht mehr goutieren oder bezahlen – ich nicht weiter Gastronom sein könnte oder wollte.

Biolokale und -restaurants gibt es viele. Meist sind sie klein, manchmal mittelgroß — angeblich, weil das anders von den Lieferanten nicht gestemmt werden kann. Sind Sie der lebende Gegenbeweis?

Paul Kolarik: Das war am Anfang eine Herausforderung. Weil unsere Lieferanten und Zulieferer mit Wunschmengen konfrontiert waren, bei denen sie am Anfang nicht gewusst haben, woher sie das nehmen sollen. Die haben sich auch erst informieren, sich teils selbst neue Zulieferer suchen müssen. Da gab’s dann Bauern, die unseretwegen auf Bio umgestiegen sind.

Mit der Zeit ist das zum Selbstläufer geworden: Es war für die Zulieferer eine Herausforderung – aber man hat gemerkt, dass sie überlegen: Okay, wenn DAS geht, geht ja vielleicht auch DAS… Die sind dann auch auf uns zugekommen und haben Vorschläge und Ideen präsentiert.

Es war hochinteressant, wie sich das umgedreht hat. Aber es stimmt: Am Anfang haben wir gesucht und mussten Überzeugungsarbeit leisten.

Umso toller ist es, zu sehen, dass sich auch bei den Zulieferern das Denken verändert hat.

Ein laufendes System in Frage zu stellen, ist unbequem. In Wien kommt dann rasch das Qualtinger-Zitat „zu was, Travnicek, brauch ma des…“?

Paul Kolarik: (Lacht) Ja, wir sind eben alle Wiener und Wienerinnen. Aber das heißt auch: Wir wissen, dass es trotz aller Raunzer dann doch geht.

So einfach?

Paul Kolarik: (Lacht) Naja, es war schon auch ein Argument, dass wir gesagt haben, für uns sind nur noch 100 % Bio möglich. Natürlich gab es in Folge das Thema, dass man uns anders nicht mehr beliefern kann. Da fand dann auch ein Umdenken statt. Auch weil man in Österreich mitunter betonen muss, dass 100 % wirklich 100 % sind. Das ist ein Thema, bei dem wir immer merken, dass für viele 100 % noch immer nicht „ganz“ bedeuten.

Bianca Kolarik: Erst unlängst im Zug habe ich das wieder erlebt: Da habe ich mit wem geredet, der sagte „100 % Bio? Jo eh.“ Und dann kamen Details, Ingredienzien, Zutaten. „Weil: das ist doch sicher nicht Bio…“

Es ist gar nicht so leicht, das in den Köpfen zu verankern. Und dann sind die Leute wirklich überrascht, wenn wir sagen, dass auch das Pfefferkorn, die Kräuter, egal was, Bio ist: Wir verzichten nirgendwo auf diesen Anspruch.

Diese Kompromisslosigkeit und Konsequenz beeindruckt und überrascht – aber wir stoßen auch auf ungläubige Blicke, wenn wir sagen, dass wir wirklich kontrolliert werden.

Gut, Publikum und Zulieferer sind das Eine, der Mitbewerb das Andere: Wie reagieren die Kolleg:innen? Hat das Vorbildwirkung? Wurden Sie als „doomed“, also dem Untergang geweiht, geframed?

Paul Kolarik: Das ist spannend: Die, mit denen ich rede, sind meist angetan. Die finden das spannend und hinterfragen: „Wie geht das, wie kalkulierst du …“.

Auf der anderen Seite, über mehrere Ecken – direkt hat das noch keiner gesagt – zeigen manche mit dem Finger auf uns. Sagen, dass wir den Markt kaputt machen, weil wir auf beste Qualität und Transparenz setzen.

Aber ich denke mir, dass jemand, der so denkt oder spricht, ein falsches Qualitätsbewusstsein hat: Wir sind lieber Vorreiter und machen das aus unserer Sicht Richtige. Und wir lassen uns das nicht schlecht reden.

Im Großen und Ganzen und in der direkten Kommunikation wird das aber durchwegs positiv aufgenommen.

Also schon auch Vorbildwirkung?

Paul Kolarik: Absolut. Es sagen immer wieder Kollegen und Kolleginnen, „Okay, dann probiere ich das auch mal aus.“ Bei vielen ist die Hürde im Kopf halt noch sehr hoch – das merken wir. Was wir aber auch bemerken ist, dass sich das gerade dreht.

Anfangs hieß es oft: „Wow, wie wollt ihr das bei eurer Größe schaffen?“ Mittlerweile gibt es aber schon viele die sagen, „Na ja, bei eurer Größe ist das ja viel einfacher – als Kleiner könnte ich das nicht!“

Also man merkt, dass es im Kopf für viele toll ist, aber eigentlich noch ganz weit weg. Die sind noch nicht so weit.

Und das muss man auch sagen: Es braucht die unternehmerische Überzeugung, den festen Willen, das durchziehen zu wollen. Siehst du nur das Rechenmodell und interessiert dich Bio nicht, kannst du Bio auch nicht authentisch verkaufen.