ANMERKUNG: Bei diesem Blogbeitrag handelt es sich um die persönliche Meinung des Autors. Diese spiegelt nicht den Zugang der oekostrom AG zu nachhaltigem Reisen wider. Aus dem Blickwinkel einer klima- und umweltverträglichen Lebensweise muss Reisen nicht nur einen stärkeren sozialen Aspekt bekommen, sondern es müssen die Faktoren Erholung und Fliegen klar voneinander getrennt werden. Mit einer neuen Sichtweise auf das Reisen können wir die negativen Einflüsse auf Umwelt und Menschen so gering wie möglich halten. In diesem Zusammenhang finden Sie hier unsere Podcast-Folge über nachhaltiges Reisen mit Maria Kapeller.

Waldbrände und Hitzewellen im Mittelmeerraum lassen Tourist:innen wie Touristiker:innen den Sommerurlaub am Mittelmeer neu denken. Offiziell redet aber (noch) niemand laut darüber, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte. Vermutlich wohl auch weiter südlich – also unter den Äquator. Und zwar ungeachtet von Nachhaltigkeits- und Klimaüberlegungen.

Früher, sagt die Frau aus der Gegend von Mailand, habe sie Sommerurlaub daheim gemacht. Sizilien. Sardinien. Oder an der Amalfiküste: Italien, sagt die Italienerin, sei ja wunderschön und vielfältig. Dann nippt sie am Cocktail, den ein dienstbarer Geist neben ihre Strandliege gestellt hat, und korrigiert sich selbst: Das heiße natürlich nicht, dass es anderswo nicht auch schöne Strände gebe. Mallorca etwa, und ihr Freund – eine Liege weiter – nickt bestätigend, sei traumhaft schön. Aber „zu deutsch oder britisch“. Ibiza auch – aber dort sei sie früher eher wegen des Clublebens hingeflogen. Und wenn sie an griechische Inseln im Sommer denke, werde sie fast melancholisch.

Aber nun, sagt die 28-jährige Werbetexterin, sei das wohl „over“. Im Sommer jedenfalls: „Viel zu heiß. Das hält kein Mensch aus.“ Deshalb, sagt sie, hätten ihr Freund und sie heuer umdisponiert. Kurzfristig. Ende Juli sei das gewesen: Man sei nicht wie ursprünglich geplant auf Sardinien, sondern ein Stückerl weiter südlich gelandet. Hier nämlich. Die Entscheidung, prosten die beiden einander zu, sei „goldrichtig gewesen“.

„Hier“, war in diesem Fall Mauritius. Weiter südlich? Auch in Geographie weniger bewanderte Menschen wissen, dass Mauritius nicht im Mittelmeer liegt. Wo genau? Weiter südlich eben. Wie weit? Die beiden Italiener lachten: „Weit genug!“.

Mauritius ist ein Inselstaat im indischen Ozean. Rund 870 km östlich von Madagaskar – aus europäischer Sicht also richtig weit südlich. Der Flug dauert von Wien aus mindestens 11 Stunden. 2040 Quadratkilometer groß ist Mauritius, hat 1,4 Millionen Einwohner, die offiziell Englisch, aber tatsächlich lieber Französisch sprechen. Touristisch berühmt und beliebt ist der seit 1968 unabhängige Inselstaat für seine Strände, Lagunen und Riffe.

Ja eh: Dass Menschen aus Mitteleuropa dorthin flüchten, ist an sich nichts Neues. Allerdings eher im Herbst und im Winter – um dem Nasskaltgrauelend zu entkommen. Nicht ohne Grund scheinen Direktflüge nach Mauritius erst im Winterflugplan (also ab Oktober) der Austrian Airlines auf.

Weil – und das ist der Kern dieser Geschichte – Mauritius eben südlich des Äquators liegt. In unserem Winter ist dort Sommer. Während des europäischen Sommers Winter. Genau genommen Regenzeit. Das klingt nach einem „Abturner“: Wer will schon elf Stunden in den Regen fliegen?

Nur: Das ist altes Denken. Denken aus der Zeit, bevor die Sommer auch am Mittelmeer so heiß wurden, dass viele Tourist:innen beginnen, langjährige Urlaubstraditionen zu überdenken: Hitze, Waldbrände, Wassermangel – all das macht auch vor All-Inclusive-Bettenburgen nicht halt.

Das Argument „Winter“? Sagen wir so: 23-24 Grad unter den Palmen bedeuten am Sandstrand dann 30-und-mehr-Grad. Das genügt den meisten. Kindern sowieso. Schwimmen, Plantschen, Jet- und Wasserski sind wie die frische Kokosnuss an der Liege inklusive. Und Pools sind so wie überall auf der Welt auf Badewanne temperiert.

 Ach ja: „Regenzeit“? Wenn es von drei Nächten in zweien zwei Stunden regnet, wenn tagsüber hin und wieder eine kurze Guss-Wolke vorbeizieht, wenn es einmal kurz „platsch“ macht und dann gleich wieder warm ist, stört das kaum. Oder doch weniger als Rauchschwaden, Trinkwassermangel oder die Option auf eine Waldbrand-Evakuierung. Oder (Schatten)-Temperaturen von über 40 Grad: „Ja“, sagt die Frau aus Mailand, „wir sind vor der Hitze in den Süden geflüchtet.“

 Freilich: Da deshalb schon von einem Trend zu sprechen, wäre überzogen. Also falsch. Neben dem italienischen Paar waren Anfang August auch nicht wirklich viele Europäerinnen oder Europäer im „Shandrani“-Resorts auf Mauritius zu finden. So wie in den anderen sieben All-Inclusive-Clubs der das Shandrani betreibenden „Beachcomber“-Hotelgruppe. So wie – dem Vernehmen nach – auch in den meisten anderen Hotels auf der Insel im indischen Ozean: die Zahl der EU-Sommergäste hielt sich in überschaubaren Zahlen.

 Noch. Denn dass da „etwas im Kommen ist“, erzählen Hotel- und Airline-Mitarbeiter:innen dennoch im Plaudermodus sehr klar und offen. Im „On“ oder managementseitig gibt es dazu aber nichts: Man streckt erst mal die Fühler aus, sondiert, beobachtet – und tüftelt an Packages für die Masse aus Europa. Diese Angebote kommen wohl für die Sommersaison 2024. Aber vorher will niemand mit vorschnellen Aussagen Kund:innen oder Märkte irritieren. Oder den eventuell ja doch noch schlafenden Mitbewerb auf die vermutlich lohnende Fährte locken.

 Denn die marktrelevante Masse – Familien, Pensionist:innen, Pauschalreisende und die All-Inclusive-Schnäppchenjäger – sind noch nicht auf die Option „Flucht in den Süden“ aufmerksam geworden. Dennoch: Wer mit offenen Augen am Sir Seewoosagur Ramgoolam International Airport (dem internationalen Flughafen der Insel) die Warte- und Boardingbereiche der – im Sommer im Vergleich zum Winter deutlich reduzierten – Direktflüge nach Frankfurt, Paris, München, London oder zum für diese Region zentralen Hub Dubai betrachtet, wird stutzig: Da ist mehr los als früher im Sommer. Da ist „etwas im Kommen“. Und das Airline-Personal, das weiß, wie viele Sommergäste in früheren Jahren (also: vor Corona) im Sommer aus den Fliegern purzelten, bestätigt: da bewegt, da tut sich etwas.

Das Argument „Klima“ bleibt da außen vor. Alters- und reisepreisklassenunabhängig. Darüber, woran es liegt, dass sie sich an den traditionellen Urlaubsstränden des Mittelmeeres nicht mehr wirklich wohl fühlen, machen sich auf Mauritius aber weder die jungen „Traveller“ mit Rucksack und Yogamatte, noch die Familien mit kleinen und mittelgroßen Kindern noch die älteren Reisenden mit exklusiven Markenkoffern Illusionen. Diese Flucht in den Süden, weiß auch das italienische Paar unter den Shandrani-Palmen sei – global gesehen – „so intelligent, wie in einer heißen Sommernacht daheim die Kühlschranktür aufzumachen – und den Kopf in den Kühlschrank zu legen: Der Kopf bleibt kurz kühl, aber der Energieverbrauch explodiert – und rundherum wird es noch heißer.“

 Individuell und für den Augenblick hilft es aber halt doch. „Und wir brauchen Urlaub. Brauchen dieses Nichtstun. Das Meer – und die Entspannung. Und solange es möglich ist, solange wir es uns leisten können, werden wir uns das ein- oder zweimal im Jahr leisten.“ Schlechtes Gewissen hin oder her. „Wir flüchten vor der Hitze in den Süden. Ja klar: damit sind wir nicht Teil der Lösung, sondern des Problems.“

  

Nachtrag: Wieso ich das weiß? Weil ich auch dort war. Für „Läuft“, ein großes deutsches Laufsportmagazin, war ich Teilnehmer einer Pressereise zu einem Traillauf auf Mauritius. (Der „Beachcomber Trail“.) Ein toller Lauf, den die Hoteliers vor 10 Jahren „erfanden“, um in der Nebensaison mit supergünstigen Lauf-Urlaubs-Kombiangeboten Betten zu füllen. Die Zielgruppe kam bisher aus dem Inland, der benachbarten (zu Frankreich gehörenden) Insel La Reunion – und Südafrika.

Die Idee, nun gezielt Europa anzusprechen, ist aber neu. Auf den ersten Blick hat das wohl wirklich nichts mit der „Flucht in den Süden“ zu tun. Auf den zweiten wohl doch: Dass da – insgesamt – „etwas im Kommen“ ist, spüren schlaue Touristiker nämlich oft lange, bevor es ihnen ihre Zahlen verraten.