Mit seinen „energieautarken Stelen“ will ein steirisches Start-Up die Windkraftwelt revolutionieren. Die vertikalen Helix-Turbinen der EC4P sehen aus wie überdimensionierte Mixer-Quirle. Sie könnten zum einen kritische Infrastruktur dezentral und autark mit Strom versorgen, lokal Straßen beleuchten oder Almen elektrifizieren. Die Mikro-Windkraftwerke sind allerdings nicht darauf ausgelegt, große Windräder zu ersetzen.

Ewald Bergler, Sie kommen ursprünglich aus der Halbleiter- und Mikrochipentwicklung und sind heute Lehrender an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Weiz. Was bringt Sie unter die Windstromerzeuger?

Das Thema Energie hat mich immer interessiert. Auch bei der Mikrochipentwicklung geht es um Energie. Darum, möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Ich bin jetzt schon eine Zeit lang „nur“ Lehrer. Und bei Gesprächen mit Bekannten haben wir uns überlegt, wie man die Kleinwindkraft besser aufstellen könnte. Da gibt es viel do-it-yourself und Eigeninitiative – aber wenig, was durchindustrialisiert ist. In der Großwindkraft gibt es Normen – für Windkrafträder, Errichtung von Bauelementen und Bauteilen.

Das kostet aber Geld, das braucht Industrie und Industrialisierungsaufwand – und es ist ein weiter Weg von einer Innovation, von der man sagt, „super“ bis dorthin, wo ein Produkt serienreif ist. Wo man garantieren kann, dass etwas nicht nur geht, sondern auch funktioniert. Das war unser Zugang, die uns dazu gebracht hat, uns die Köpfe zu zerbrechen.

Womit wir mitten im Thema sind – ohne es wirklich erklärt zu haben: Etwas, das – sagen Sie – nicht nur „geht“, sondern auch „funktioniert“ hat ihr Unternehmen EC4P soeben als Prototyp auf einer steirischen Alm installiert. Ein Kleinwindkraftwerk, das ein bisserl wie der umgedrehte Quirl eines Küchenmixers aussieht. Oder wie eine vom Wind gedrehte Helix. Sie nennen diese Objekte „Energiestelen“. 

Genau, 2022 haben wir die Firma gegründet. Wir positionieren uns in einer Nische, indem wir eine attraktive, andere Turbine entwickelt haben – eine Vertikale. Ihre Eigenschaften sind genau für die Nische der Mikro-Windenergieerzeugung prädestiniert:

Es geht nicht darum, große Windräder zu ersetzen, sondern um Energiegewinnung bis zu einem oder eineinhalb Kilowatt.

Erwin Bergler

Head of Engineering, EC4P

So eine Anlage ist in der Lage, elektrische Systeme autark zu versorgen. Netzwerke zum Beispiel. Oder Notfallsysteme für Kommunen, die auch bei einem Blackout Bescheid wissen müssen, wie es z. B. um ihre Wasserstände oder andere vitale Infrastrukturelemente bestellt ist. In solche und ähnliche Anwendungs- und Umfelder passen Mikrowindanlagen gut hinein – als regional und lokal autarke Energieversorger.

Aber tun das nicht auch PV-Anlagen? Wozu Kleinwindkraftwerke?

Ganz wichtig: Es geht nicht um Ersatz oder Konkurrenz zu PV-Anlagen, sondern darum, dass sich diese Systeme auch ergänzen können. Es ist nicht das eine besser und das andere schlechter – schon, weil sich die Leistungswerte schlecht vergleichen lassen: Wie und wann Photovoltaik funktioniert, ist in die Köpfe vorgedrungen. Aber dass eine Windturbine 24 Stunden am Tag und sieben Tage pro Woche produziert, noch nicht ganz: Dass die Leistung da im Moment ein bisschen kleiner sein kann, weil die Anlage die Energieernte über die Zeit wieder wettmacht, muss man oft noch erklären.

Wichtige Faktoren sind aber immer auch Wartung, Pflege oder Reinigung: Es geht nicht nur um den reinen Anschaffungspreis einer Turbine im Vergleich zu einer PV-Anlage.

Bei den Partnern, die wir für unser Stelen primär ansprechen wollen – Kommunen, aber auch Infrastrukturträger, wie die Bahn oder die ASFINAG, Seilbahnbetreiber oder andere B2B-Partner – zählt nicht nur der Preis der Kilowattstunde, sondern auch Wartung und Service der Anlagen: Da muss man ganze Putzmannschaften entsenden, um im Frühjahr Solarpaneele großflächig von Blütenstaub zu befreien – sonst ist der Wirkungsgrad rasch im Keller. An dezentralen Orten sind über Jahre praktisch wartungsfreie Turbinen da rasch interessant.

Vielleicht sollten wir ihre sehr speziellen Windturbinen doch auch kurz beschreiben …

Unsere Stelen sind minimalistisch. Ein ganz zentraler Faktor: Das Aussehen unserer Anlagen ist ein absolutes Asset. Das Design ist fancy und modern – so etwas würden sich fast alle, mit denen wir geredet haben, auch in den Garten stellen. Einfach weil es schön ist: Die Akzeptanz ist enorm – auch im urbanen Raum.

Unsere Stelen haben nämlich keinen klassischen Rotor mit langen Flügeln, sondern einen in die Höhe ragenden, sich vertikal drehenden Rotor in Form einer hölzernen, in sich selbst geschwungenen Helix. Eine Helix kennen viele aus dem Biologieunterricht oder aus Wissenschaftsberichten.

Klassische Windräder muss man nach dem Wind ausrichten, vertikale Anlagen aber haben keine Verstellmöglichkeit: Die Rotorblätter sind fix – das Einzige, was sich dreht, ist der Generator selbst. Es gibt also nichts zu schmieren oder nachzustellen – denn die Stele kann aus allen Richtungen gleich angeströmt werden, es ist also egal woher der Wind kommt. Das ist zwischen Häusern und Gebäuden oder in Gegenden, wo sich Windrichtungen schnell ändern können, ein Vorteil: Bei anderen Anlagen muss man nachjustieren und den idealen Arbeitspunkt finden.

Durch die vertikale Ausrichtung haben wir aber auch ein absolutes Minimum an beweglichen Teilen – und das reduziert wiederum Wartung und Service: Weniger geht wirklich nicht. Was dazu kommt: da sich die Anlage nicht horizontal dreht, sind die Umfangsgeschwindigkeiten geringer. Diese Bauart einer Windturbine ist also viel leiser.

Womit wir bei den gängigen Vorbehalten gegen Windkraftwerke wären: Ästhetik, Lärm- und Vogelschutz.

Würden wir komplett vertikal drehende, gerade Rotoren verwenden, ergäbe das akustisch einen Hubschraubereffekt. Die relativ komplizierte Helixform dreht sich aber de facto geräuschlos. Auch, weil ihr Durchmesser geringer ist und so weniger Vibrationen entstehen: Je weniger Vibrationen – umso leiser.

Und dann ist da noch der Punkt, dass diese ein sich vertikal drehender Körper von Vögeln, Fledermäusen und anderen Flugtieren tatsächlich als Körper wahrgenommen wird. Er wird nicht angeflogen und stellt somit keine Gefahr dar. Außer eine Suizid-Amsel möchte ihr Leben beenden und geht auf Kollisionskurs … Normalerweise fliegt kein Vogel einen als geschlossen wahrgenommenen Körper direkt an.

Das klingt alles gut, dass ich mich frage, wieso die Errichter großer Windanlagen nicht längst Wind-Quirl-Stelen aufstellen – sondern weiterhin klassische Windkraftanlagen. Hat da ein steirischer HTL-Professor das Rad tatsächlich neu erfunden?

Ganz klar: nein. Wir treten nicht an, um großen Windrädern zu konkurrieren. Was die leisten, können Anlagen wie unsere Stelen aus vielen Gründen nicht schaffen.

Was wir entwickelt haben, ist ganz klar ein Nischenprodukt. Komplexe Aufgabenstellungen brauchen komplexe Lösungen: Als Klein- und Mikrowindanlagen sind Anlagen wie unsere gut und brauchbar. Allein das Herstellen der 120-Grad-Helix-Rotorblätter ist eine mehr als komplexe Aufgabe. Wenn man dann an Leistungen wie die der großen Turbinen denk, hört der Spaß sehr rasch auf.

Für den städtischen, urbanen Bereich und die sehr spezifischen autarken Anwendungen ist eine vertikale Turbine auch gut einsetzbar – aber man muss eben auch Abstriche machen. Etwa beim Wirkungsgrad: Beim horizontalen Flügel sorgt man für eine permanente Anströmung – der vertikale läuft immer auch gegen den Wind. Da ist dann logischerweise der Wirkungsgrad niedriger.

Ist der vertikale Rotor also ein Energie-Nullsummenspiel?

Auch in der Literatur heißt es mitunter: „In der Praxis unbrauchbar“. Aber man muss das Gesamtbild sehen. Man muss den Vorteil miteinbeziehen, dass bei wechselnden oder nicht aus der richtigen Richtung kommenden Winden oder eben im urbanen Bereich Turbinen in dieser Größenordnung gute Arbeit leisten können – und es eine große Akzeptanz für sie gibt. Unterm Strich sind das echte Vorteile:

Gerade für eine dezentrale Energiegewinnung und -versorgung lässt sich hier, ohne riesig große Kraftwerke, eine Turbine simpel und einfach errichten - und man spart sich die Grabungs- und Bauarbeiten der sonst unvermeidlichen Netzinfrastruktur.

Erwin Bergler

Head of Engineering, EC4P

Kommen wir zu den von Ihnen schon mehrfach angesprochenen „autarken“ Anwendungen. Was konkret wäre das denn?

Unsere Stele ist auf normale Windstärken ausgerichtet und dafür optimiert. Also auf Winde, die in unseren Breiten sehr häufig vorkommen: Etwa vier Meter pro Sekunde, irgendwo in diesem Bereich.

Dort kann man Mikroanlagen praktisch ohne relevante Grabarbeiten erreichten – und erhalten: Das System ist modular konzipiert, man könnte also auch Speicher oder PV-Elemente einbauen – oder unter- oder oberhalb der Helix smarte Lampen oder Mobilfunkanlagen installieren. Oder die Turbinen auf Überkopf-Hinweisschilder bei Autobahnen setzen. Da gibt es viele, viele Anwendungsmöglichkeiten: Beleuchtung, Kommunikation, dezentrale Ladestationen für die „kleine“ Elektromobilität – aber auch Elektrizität an abgelegenen Orten, etwa einer Alm.

Sie sind noch in der Pilotphase – gibt es schon konkrete Projekte?

Es gibt großes Interesse – und Gespräche mit Bürgermeistern und Gemeinden, die sich für ausfallsichere Absicherung kritischer Infrastruktur interessieren.

Und es geht immer um lokale, autarke Lösungen?

Natürlich kann man auch sagen, „ok, was ich für Beleuchtung nicht brauche, speise ich ins Netz ein.“ Dann bin ich nicht mehr autark, sondern hänge unauffällig an der existierenden Infrastruktur und trage zu ihr etwas bei. Aber wenn ich Strom ernte, wo ich ihn verbrauche, kann das dezentral, ohne aufwändige Hochspannungsleitungen, passieren – etwa in lokalen Netzen: Denken wir bei Autobahnen etwa an Überkopfanzeiger. Dort kann man Stelen obendrauf setzen und sie liefern Energie für dieses eine Netzwerk.

Sie sagten eingangs „komplementär zu PV“: Ich habe bei mir daheim ein Balkonkraftwerk. Ich wohne im fünften Stock, Dachgeschossterrasse: Theoretisch könnte ich also auch eine Ihrer Stelen aufstellen.

Im Augenblick konzentrieren wir uns auf Kommunen und B2B-Lösungen. Aber wir versuchen auch diese Fragen zu beantworten. Aber da muss man ehrlich sein: Ich würde niemandem empfehlen, sich so ein Element aufs Dach zu stellen. Manche Leute haben schon ein Problem, wenn der Nachbar die Waschmaschine im Keller anwirft. Erst recht in der Nacht: So leise, dass es jemand, der sich leicht gestört fühlt, dann nicht wahrnimmt, kann so ein Teil gar nicht sein. Und wenn man es einmal als störend wahrgenommen hat, konzentriert man sich so sehr darauf, dass man es immer hört. Auch wenn es technisch absolut in Ordnung ist. Und wenn ich mir vorstelle, wie noch der leiseste Schall Hohlräume in Altbauten als Resonanzraum nutzt: So macht man sich keine Freunde …

Aber derzeit ist das ja ohnehin noch Theorie, oder? Wo sind Sie denn auf der Reise, Ihre Anlagen in relevanten Stückzahlen auf den Markt zu bringen?

Wir haben am 3. Juni auf der Teichalm einen Prototyp in Betrieb genommen. Der läuft jetzt unter Realbedingungen. Parallel dazu machen wir noch andere Messungen, die wir mit unseren Berechnungen vergleichen können. Dort oben stehen ja auch schon Windkraftanlagen der Energie Steiermark – das heißt, wir haben direkte Referenzwerte.

Wir sollten mit den Zertifizierungen im November fertig sein – und Anfang bis Mitte des ersten Quartals 2024 beginnen können, in Serie zu produzieren.

Aber da fehlt noch etwas: Der Preis.

Ich habe eingangs von einem sehr modularen System gesprochen. Die Windturbine alleine beginnt in der Größenordnung von 8.000 Euro – setzt man noch Beleuchtungskörper, Speicher oder PV-Elemente an, geht das auf die 12.000 Euro zu. Wobei die Preise wohl sinken werden, wenn wir einmal in größeren Stückzahlen produzieren.

Letzte Frage: Wie reagieren Kommunen und Politik, wenn man diese Form der Windkraft präsentiert?

Sehr gut. Ich habe bei all meinen Gesprächen noch niemanden gefunden, der gesagt hätte, er würde sich so ein Ding nicht in den Garten stellen – das ist ja fast ein Kunstwerk und schaut auch lässig aus.

Aber natürlich gibt es auch die Stimmen, die den von mir schon erwähnten Wirkungsgrad kritisieren, die sagen, dass die Leistungen zu gering sind.

Aber das bringt mich zum Anfang unseres Gespräches zurück: Es geht um spezifische Anwendungen. Um Lösungen in einer genau definierbaren Nische. Und in der können wir belegen, dass das nicht nur geht, sondern auch funktioniert.