Natur hat ihr Sein nie verloren. Der Mensch scheint vorübergehend die Natur des Seins verloren zu haben. Doch wie soll man etwas verlieren, was man immer ist? Ernst Merkinger über Mensch, Natur und die Notwendigkeit der Erkenntnis des Seins.

Berge nennen sich nicht Mount Everest oder Matterhorn. Sie tragen kein Selbstbild mit sich.

Der Mount Everest bildet sich nicht ein Mächtiger zu sein, weil er ein paar Meter höher liegt als seine Freunde. Er trennt, vergleicht und misst sich nicht mit anderen. Ja, er beklagt sich nicht einmal des Klimawandels. Er ist.

Und dieses einfache Sein sorgt für ein Wohlgefühl beim Wanderer oder der Bergsteigerin, weil der Mensch sich selbst in seinem Ursprung erkennt, er in den Genuss der Istheit leichter kommt. Die ätherischen Düfte der Latschen erleichtern dies. Das Rascheln der Blätter im Wind öffnet innerlich, zusätzlich. Sonnenstrahlen, durch Wolken gebrochen, erheitern und entlasten den Geist von überflüssigen Gedanken. Es ermöglicht dem Menschen stille Präsenz zu erfahren, in ihr zu verweilen, in den Genuss von gedankenfreier Gelassenheit zu kommen.

Folglich kehren mitunter wahrlich kraftvolle Erkenntnisse und Ideen hervor. Nicht ohne Grund sind MusikerInnen, WissenschafterInnen oder PoetInnen in der Natur der Inspiration wegen unterwegs. Sie wissen, dass Kreativität in der Natur leichter von der Hand geht, frischen Wind in das Instrument „Mensch“ einhaucht.

Natur hat ihr Sein nie verloren. Der Mensch scheint vorübergehend die Natur des Seins verloren zu haben. Doch wie soll man etwas verlieren, was man immer ist?

Ernst Merkinger

Widerstand erzeugt Lärm, Präsenz erzeugt Klang

Über 90 Prozent der Gedanken sind potentieller Dünger. Wenn du das Selbstgespräch im Kopf beobachtest, öffnest du die Augen aus dem Schlaf und stellst fest, welch geistiger Mist gegeben ist. Auch wenn es sich empfiehlt genauer hinzusehen, dass selbst dieser Mist Dünger sein kann, Teil des evolutionären Prozesses ist. Shakespeare wies darauf hin: „There is nothing either good or bad, but thinking makes it so.“ Es ist der wertende Verstand, der sich weigert anzuerkennen, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Widerstand ist die Natur des destruktiven Verstandes, dadurch erhält er sich am Leben. Und mit den Gegebenheiten in den Widerstand zu gehen, bedeutet sich wahre Intelligenz entgehen zu lassen. Gegenwärtig zu sein bedeutet in Akzeptanz zu sein, ermöglicht die Fähigkeit zu erkennen, was relativ ist, und ermöglicht die gegebenen Kapazitäten des Körperverstandes weise zu nützen.

Die Natur des Seins

Natur hat ihr Sein nie verloren. Der Mensch scheint vorübergehend die Natur des Seins verloren zu haben. Doch wie soll man etwas verlieren, was man immer ist?

Da die Natur keinen Verstand besitzt, leistet sie keinen Widerstand. Sie ist und wächst gleichermaßen in ihrem natürlichen Rhythmus, ohne etwas zu forcieren oder zu vermeiden. Zeit und Zeitlosigkeit sind im Einklang. Natur spielt keine Rollen, setzt keine Masken auf. Sie ist bedingungslos in ihrem Geschehen lassen. Sie wird die Menschheit nicht auslöschen – doch der gestörte Geist des Menschen treibt es soweit, dass die Selbstauslöschung im aktuellen Jahrhundert eine immer realistischere Möglichkeit ist, sollte er nicht in zunehmender Zahl die Augen öffnen und sich damit einhergehend mit der Natur und dem Sein in Einklang bringen.

Jeder Mensch hat Zugang zum Sein. Wie die Natur, so ist auch der Mensch. Der Trübsinn des gestörten Verstandes lässt dies leicht übersehen. Die Natur erinnert in ihrer absichtslosen Weise, sich dem Sein auszurichten. Durch steigende Temperaturen oder neue Krankheiten erinnert sie den Menschen, sich nach innen zu wenden, sich zu besinnen, der Genesung hinzugeben, um das Potential des Homo Sapiens in größerer Zahl abzurufen. Sie spielt keine Streiche oder Verbrechen mit uns. Sie ist. Gelingt diese Realisation des Seins der Menschheit in größerem Maße nicht, wird sich der Planet Erde weiterdrehen. Ohne Menschheit.