„Nimby“ ist eine Lebensform, die man überall antrifft: „Not in my Backyard“ heißt die Abkürzung. Sie beschreibt Menschen, die Veränderungen oder Maßnahmen (etwa: Windkraftanlagen) zwar grundsätzlich begrüßen – aber nur, wenn sie anderswo entstehen. Der „Nimby“ ist meist gut organisiert und vernetzt – und ein Albtraum für alle, die die Energiewende rasch vorantreiben wollen. Eine internationale Studie untersucht derzeit, ob und wie der „Nimby“ zum „Wimby“ werden kann. Zu jemandem, der ja zu „Wind in my Backyard“ sagt. Christian Mikovits von der BOKU Wien ist einer der Wissenschaftler, die an dieser Studie arbeiten.

Christian, du arbeitest an der BOKU Wien am „Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“, aktuell an einer EU-Studie zum Thema „Wimby“. Was genau versteht man darunter?

Wir haben den Begriff in Anlehnung an den „Nimby“ kreiert, wollen aber erforschen, wie man gerade bei diesen Personen die Akzeptanz von nachhaltigen Energieanlagen im eigenen Umfeld erhöhen kann. Wimby heißt „Wind in my Backyard,“ im Sinne von „Welcome to my Backyard“.

Wir wollen das auf vielschichtige Art und Weise untersuchen. Einerseits die gesellschaftliche Komponente, die zu Ablehnung führen: Ist es rein das Aussehen dieser Windkraftanlagen – oder geht es um ganz andere Dinge?

Aber wir untersuchen auch andere Komponenten. Beispielsweise welche Auswirkungen die Auswirkungen von Windanlagen auf das Ökosystem ringsum haben. Diese Studie läuft jetzt – 2025 sollen Ergebnisse und Handlungsvorschläge vorliegen.

Wer ist „wir“?

Wir sind ein internationales Konsortium mit universitären Partnern in Belgien, den Niederlanden, England, Norwegen, hier in Österreich und auch in Italien und Portugal.

Das heißt die Lebensform des „Nimby“ tritt global auf – nicht nur bei uns?

Ja, natürlich. Und natürlich nicht nur in Bezug auf Windkraft oder andere erneuerbaren Energien, sondern auch bei anderen Themen. Verkehrsinfrastruktur, Betriebsansiedelungen, andere Kraftwerke: Das ist nichts komplett Neues.

Aber wenn das Phänomen lange bekannt ist: Was genau untersucht ihr? Und seit wann?

Wir haben zu Jahresbeginn gestartet. Das heißt, wir sind noch in einem sehr frühen Stadium, haben allerdings schon einige provisorische Ergebnisse produziert. Wir haben vor, mit diesen Ergebnissen in verschiedene Regionen zu gehen und dort mit Leuten Workshops durchzuführen und mit einem sogenannten „Serious Game“ versuchen, die Akzeptanz der Anlagen zu verbessern.

Wir wollen ergründen, was Leute dazu bewegt, Windkraft eher dorthin oder dahin zu schieben oder auch zu akzeptieren – obwohl das aus der Planungsperspektive eines Energieversorgers ganz anders aussehen kann und wird.

Wenn du sagst, es gibt schon erste Ergebnisse: Verrätst du sie?

Das sind eher prinzipielle Dinge. Etwa dass Windkraft in einer schon sehr stark landwirtschaftlich geprägten Region in flachen Gegenden und der Nähe von Ballungszentren oder dicht besiedelten Räume deutlich weniger Fußabdrücke hinterlässt: Man braucht weniger Zufahrtswege, weniger Infrastruktur – weil ja schon etwas vorhanden ist. Nicht nur verkehrstechnisch, auch um den Strom weg zu bekommen, also bei der Netz- und Leitungsinfrastruktur. Wenn man Windkraftanlagen immer nur in den hintersten Winkel jeder Landschaft stellt, irgendwo weit weg, dort wo niemand sieht, muss man natürlich viel massiver in die Landschaft eingreifen.

Dann funktioniert zwar das „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Konzept, aber man muss auch viel mehr investieren. Und das hat natürlich Auswirkungen auf der Seite von Fauna und Flora:

Je weiter weg man Windräder wegstellt, in unberührte Gebiete, wo kein Mensch wohnt, umso eher hat das möglicherweise einen negativen Effekt auf die Biodiversität.

Christian Mikovits

BOKU Wien, „Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung"

Eine Windkraftanlage mit 120m Höhe sehe ich von sehr weit weg. Eine Mülldeponie verschwindet hinter einer Hecke: Die Leute wollen das aber eben nicht sehen. Sie halten seit Jahrhunderten kultivierte Landschaften für „unberührte Naturlandschaften“ – und laufen gegen die Verschandelung von diesen gar nicht unberührten Landschaften Sturm: Lügen wir uns nicht ganz massiv selbst an?

Ja, Ästhetik ist eben etwas sehr Individuelles. Da gibt es keine wissenschaftlichen Parameter, was schön oder hässlich ist. Wir versuchen deshalb mit Bildern zu arbeiten – und wollen weiterführend mit einer Computerspielengine in diesen Workshop-Regionen Live-Bilder erzeugen. Da können die Leute vor Ort in der Visualisierung Windkraftanlagen platzieren. Dann versuchen wir herauszufinden, ob es etwas ändert, wenn man etwa die Dichte der aus einem bestimmten Sichtwinkel sichtbaren Windkraftanlagen reduziert. Mutet das dann ästhetischer an? Wirkt es dann weniger erdrückend? Genau darum wollen wir uns kümmern.

Das Empfinden, von etwas gestört zu sein, ist – du sagst es – sehr individuell. Ist das nicht eher ein Thema für Psycholog:innen als für den Wirtschaftsentwickler?

Wir haben auch Soziologinnen im Team. Das wird gut abgedeckt. Vielfach ist es ja so, dass man um Windkraftanlagen zu verhindern ohnehin zu anderen Argumenten greift. Ästhetik oder „gefällt mir nicht“ funktioniert als effizientes Verhinderungstool nicht so gut. Da gibt es keine gesetzlichen Grundlagen. Also wird meist in Richtung Naturschutz argumentiert: Plötzlich findet man einen Schmetterling oder irgendein anderes Tier, um ein Projekt zu verhindern. Das kann natürlich auch wahr sein kann und ist dann aus dem Gesichtspunkt des Artenschutzes und der Biodiversität tatsächlich eine relevante Sache.

Aber vielfach werden diese Bedenken vorgeschoben und naturschutzrechtliche Argumente hervorgekramt, um die eigenen Empfindungen und Vorstellungen durchsetzen zu können.

Es geht also auch um Prioritäten. Was hat Vorrang: ein Schmetterling unter dem Windrad – oder die globalen Klimaziele und die nationale Energiewende.

Da muss man schon vorsichtig sein. Klimaschutz ist sicher ein großer Aspekt. Wenn man aber übereilt agiert – wir wollen ja rasch und viel ausbauen, um die Klimaziele zu erreichen – und es dadurch dann biodiversitätsmäßig zu Problemen kommt, lösen wir das eine Problem auf Kosten des anderen. Fakt ist: Es gibt die Biodiversitätskrise. Vogelpopulationen, Insektenpopulation – da gibt es massive Probleme. Wenn man das eine löst und das andere dadurch verschärft, hat man in Summe nichts erreicht.

Dennoch: Wie geht man damit um, wenn Naturschutzargumente vorgebracht werden, um Partikularinteressen zu schützen, um Veränderung vor der eigenen Haustür zu verhindern: Ist es politisch und gesellschaftlich nicht kontraproduktiv, globale Themen von lokalen Entscheidungsträger:innen bestimmen zu lassen?

Es ist schwierig. Natürlich braucht es eine Politik, die sagt „das ist gut und notwendig und deshalb müssen wir es machen“. Trotzdem vertreten wir den Ansatz, dass konkrete Projekte nicht von oben herab geplant werden sollten und den Bürger:innen dann fixfertige Pläne, wo jede Turbine fix eingezeichnet ist, vorgelegt werden. Da wird im stillen Kämmerchen geplant und dann geht man rein in die Gemeinde und sagt „so schaut das aus, wir werden das jetzt bauen“. Ich glaube, da muss man heute umdenken und frühzeitig die Menschen und die Gemeinden einbinden – und frühzeitig vor Ort mit den Bürger:innen kommunizieren. Ich glaube, es lassen sich viele Projekte leichter umsetzen, wenn die Bürger:innen zumindest bis zu einem gewissen Grad mitentscheiden können.

Klingt fein – aber ich sehe das Problem auch in einer Politik, die sich auf kleinräumiger, lokaler Ebene nicht traut, auszusprechen, was anecken könnte: Ich erinnere mich an ein Beispiel in der Steiermark, wo der Bürgermeister eigentlich dafür war, sich aber geweigert hat, das öffentlich zu sagen – aus Angst um Stimmen im Ort.

Ja, das Kirchturmdenken ist auch eines der Themen. Es gibt natürlich Länderziele und die werden dann weiter runtergebrochen. Aber natürlich muss man das ganzheitlich betrachten: Man kann in einem Ballungszentrum keine Windräder auf Hausdächer stellen – natürlich muss das am Land passieren. Es stellt ja auch niemand in Frage, dass Nahrungsmittel am Land produziert werden und dann in die Dörfer und Städte kommen: Man muss Energie genauso sehen.

Gerade deswegen ist es wichtig, die Leute auch abzuholen. Es hilft nichts, wenn man von oben herab einzelne Projekte verordnet und mit der Brechstange umsetzt. Es geht ja nicht nur um die 2030er-Ziele, sondern man muss viel mehr erreichen: 2040 und 2050. Wenn dann Widerstand umso massiver wird, nur weil man jetzt eine Handvoll Projekte durchsetzt, wird man im Nachhinein erst recht riesige Probleme bekommen. Und wie man da dann rauskommt, weiß ich wirklich nicht.

Foto: Thomas Kirschner

Windrad der oekostrom AG im Windpark Parndorf

Aus Sicht der Bürgerbeteiligung ist das nachvollziehbar. Energiehersteller sind aber oft am Verzweifeln, wenn es von der Idee bis zur Fertigstellung einer Windkraftanlage fünf, acht oder noch mehr Jahre dauert. Wir haben 2023 – die 2030er Ziel zu erreichen wird immer illusorischer: Das geht sich nicht aus.

Das sehen wir auch. Auch anhand des Zahlenmaterials: Dass sich bis 2030 diese zusätzlichen 10 TW-Stunden Jahresproduktion höchstwahrscheinlich nicht ausgehen, wenn kein Wunder passiert.

Dennoch bin ich dafür, dass man demokratisch und vorsichtig vorgeht und das nicht mit der Brechstange löst. Die 2030er Ziele sind das eine – aber es gibt noch weitere Ziel danach, für die noch viel mehr notwendig ist. Da geht es um die komplette Dekarbonisierung. Ob man die 2030-Ziele da erst 2032 erreicht, ist vielleicht gar nicht so das große Ding: Man muss den weiteren Blick im Auge behalten.

Bist du wirklich optimistisch, dass das besser funktioniert, wenn man Bürgerinnen und Bürger frühzeitig einbindet?

Ich bin da zuversichtlich. Wir haben das auch in anderen Projekten gesehen. Wenn man vor Ort mit realistischen Grafiken arbeitet und mit 3D-Brillen so visualisiert, dass nicht nur vorher generierte Mock-Up-Bilder gezeigt werden, sondern wirklich live vor Ort der konkrete Anblick am Standort generiert wird: das funktioniert. Wenn man ein bisschen was verschieben kann, wenn es authentisch ist – da kann man Einiges weiterbringen.

Zurück zur Lebensform des „Nimby“: Aus journalistischer Erfahrung weiß ich, dass das meistens Menschen sind, die viel Erfahrung in Bürgerbeteiligung, direktere Demokratie und anderen Artikulationsformen der sogenannten „Zivilgesellschaft“ haben. Solche Menschen findet man im Öko- und Alternativumfeld. Konkretes Beispiel: In Greifenstein an der Donau sind es ausgerechnet die lokalen Grün-Mandatare, die dort vor ihren Schrebergärten ein Fahrradfahrverbot durchgesetzt haben. Aber auch anderswo fällt auf, dass „Nimbys“ oft Menschen sind, die ihre politische Heimat in dieser Szene haben.

Das ist ein bekanntes Phänomen: „Green on Green“ gibt es oft. Der eine Grüne gegen den anderen Grünen, der Naturschützer gegen die erneuerbare Energie und so weiter. Darum muss man vorsichtig agieren. Weil: Diese Leute sind sehr erfahren mit der Art ihrer Argumentation. Sie haben fundiertes Wissen – bis zu einem gewissen Grad. Da kommt man oft schwer dagegen an.

Aber wie geht man am besten mit Menschen um, die das Windrad am Horizont bekämpfen, weil dort ein Schmetterling frei flattern können soll?

Prinzipiell ist es immer gut, nicht mit fertigen Projekten reinzugehen, sondern mit den Leuten frühzeitig zu reden. Auf Augenhöhe. Auch wenn das schwierig erscheinen mag: Man muss dran bleiben. Man darf nicht von oben herab verordnen, sondern muss versuchen vor Ort Lösungen zu finden. Aber man muss auch akzeptieren: Es wird sich nicht immer alles lösen lassen. Es wird immer die zwei oder drei geben, die trotzdem massiv dagegen sind und weiter agitieren. Von 20 oder 30 Prozent die anfangs offen dagegen waren, kann man vielleicht die Hälfte abholen.

Nur sind Menschen, die sich gegen etwas engagieren, meist besonders laut. Und: Sie sind willkommene Ansprechpartner für Populisten.

Das ist ein Teil der Problematik, aus Sicht des Wahlwerbers aber gut nachvollziehbar. Und dass viele Bürgermeister lieber die Füße stillhalten, als Unfrieden in der Gemeinde zu riskieren, ist aus deren Sicht auch verständlich.

Deswegen ist es notwendig, nicht nur jene Gemeinden einzubinden, an denen der Standort ist, sondern größere Regionalplanungskreise zu schaffen. Derzeit stellt man alles genau an die Gemeindegrenzen. Das sieht man auch bei Einkaufszentren: Die einen holen das Steuergeld ab – Verkehr und den Kaufkraftabfluss haben aber andere.

Auch das zeigt:

Das raumplanerische föderalistische Wesen, das in Österreich bis zur Gemeindeebene runtergebrochen ist, gehört neu geordnet.

Christian Mikovits

BOKU Wien, „Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung"

Ist das nicht ein Widerspruch? Einerseits plädierst du für Bürgerbeteiligung auf kleinster Ebene, die politische Planung und Widmung soll aber trotzdem nicht weiter auf Gemeindeebene, also klassisch österreichisch-föderalistisch, stattfinden?

Vielleicht auf den ersten Blick. Die Frage bei der Bürgereinbindung ist ja auch, ob es da immer nur um die gehen darf, die genau vor Ort wohnen – oder ob da nicht auch regionalere Bürger:innen eingebunden werden sollten.

Zurück zu eurer Studie: Aus dem Bauch heraus sage ich, dass da wohl keine großen Überraschungen zu erwarten sein werden. Die lokale Ablehnung von Projekten, die man global eigentlich gut findet, ist ja tatsächlich nichts Neues.

Selbst wenn: Es geht darum, Methoden zu erarbeiten, das Thema strukturierter und erfolgsversprechender anzugehen als bisher.

Aber selbst wenn nur das rauskommt, was wir aus dem Bauch zu wissen meinen: Wir werden versuchen dann einen Leitfaden zu erstellen, wie man solche Projekte besser umsetzen kann wenn man solche Projekte plant. Wo wir Guidelines machen wollen, wie man von vornherein besser angeht. Wo und wie man Alternativen finden kann: Das gibt es nämlich alles noch nicht.

Und vielleicht wird so aus dem einen oder anderen „Nimby“ ja tatsächlich ein „Wimby“.