Von den in Europa in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken erreichen 90 % bis 2030 ihre Auslegungsbetriebsdauer und sollten stillgelegt werden. Doch die meisten Staaten wollen ihre alten AKW weiterhin am Netz behalten, trotz steigender Unfallgefahr.
Deshalb ist es ein wichtiger Erfolg, dass – nach jahrelangen Verhandlungen – die Vertragsstaatenkonferenz zur Espoo-Konvention einen Durchbruch erzielen konnte. Und dies obwohl Staaten mit Atomkraftwerken, deren Betrieb jetzt oder in Zukunft verlängert werden soll, hartnäckigen Widerstand leisteten, ist nun fixiert, dass gemäß dieser Vereinbarung grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) durchzuführen sind.
Zum Hintergrund
Seit geraumer Zeit beschäftigen sich die Vertragsparteien rund um die Konvention zur grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung mit der Frage, inwieweit die betriebliche Verlängerung von Atomkraftwerken einem Prüfverfahren zu unterziehen ist. Dies legt nun eine im Rahmen der virtuell von Litauen aus organisierten Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen am 11. Dezember 2020 verabschiedete Guidance (Leitlinie) fest.
Mehr Transparenz und grenzüberschreitende Rechte bei Kernenergie
Bereits 2014 kam ein Umsetzungsausschuss der Espoo-Konvention zur Erkenntnis, dass eine UVP klar erforderlich ist, aber ein Beschluss der Staaten wurde verhindert. Stattdessen verhandelte eine eigens dafür eingerichtete Arbeitsgruppe mit Mitgliedern aus 27 Staaten, darunter Österreich, über einen möglichen Kompromiss. Diesen erzielte die EU-Gruppe nun unter deutscher Präsidentschaft und konnte auch die übrigen Staaten davon überzeugen.
GLOBAL 2000 und ÖKOBÜRO brachten sich gemeinsam mit anderen im Themengebiet engagierten NGOs von Beginn an aktiv in den Erstellungsprozess ein. So berücksichtigt die finale Version unterschiedliche, ganz konkrete Problemstellungen, die bisher bei Genehmigungsverfahren auftraten. In Zusammenschau mit den bereits gefällten Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz, wie etwa zur Betriebsverlängerung des ukrainischen AKW Rivne, ergibt dies klar zu befolgende Vorgaben: Das heißt, Staaten haben die Auswirkungen des längeren Betriebes umfassend zu prüfen und die Öffentlichkeit auch in anderen Staaten einzubinden. Weil gerade bei Atomkraftwerken die möglichen Umweltauswirkungen sehr weitreichend sind, geht dieses Beteiligungsrecht zumeist über bloße Nachbarstaaten hinaus. Da Österreich aufgrund seiner zentralen Lage von Reaktorunfällen in fast allen Europäischen Staaten betroffen sein kann, besteht hier ein besonderes Interesse der Beteiligung.
„Die Verabschiedung der Guidance ist nicht nur aus Sicht der diplomatischen Zusammenarbeit, sondern insbesondere auch im Sinne von mehr Transparenz und Mitsprache ein Erfolg für die Umweltbewegung. Nur so können betroffene Staaten, Personen und Umweltschutzorganisationen effektiv eingebunden werden und bessere Entscheidungen erwirken“, so Priska Lueger, Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO.
Die Linie der Vertragsstaaten entspricht auch der bisherigen Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs, der im Sommer 2019 feststellte, dass Belgien die Verlängerung des Betriebs des Kernkraftwerks Doel um weitere zehn Jahre umfassender zu prüfen hat. Während diese Entscheidung zum Kernkraftwerk Krško in Slowenien auf Druck von Umwelt-NGOs bereits gefallen ist, zeigten sich andere Staaten, wie Frankreich, Tschechien oder die Slowakei bei der Durchführung von grenzüberschreitenden UVPs bisher zurückhaltend. Das wird sich künftig ändern, sodass auch diese Staaten andere europäische Länder konsultieren (müssen).
„Diese Einigung auf die UVP-Pflicht für die Betriebsdauerverlängerung von alten Atomkraftwerken ist ein Durchbruch. Nicht nur Umweltaspekte werden in den Umweltverträglichkeitsprüfungen betrachtet, sondern auch Sicherheitsaspekte. Die Verlängerung des Betriebs von alten AKW ohne UVP, ohne Öffentlichkeit und ohne Betrachtung von Alternativen ist vorbei,“ sagt Patricia Lorenz, Antiatomsprecherin von GLOBAL 2000. Für Österreich wird dies vor allem bei den Kernkraftwerken Mochovce 1 & 2 und Temelín von großem Interesse sein.
Das Espoo Implementation Committee als Umsetzungsausschuss der Konvention verfügt nun endlich über eine Grundlage, die anhängigen Verfahren zu über 55 Atomreaktoren wie Tihange, Kozloduy oder Dukovany abzuschließen.
Nähere Informationen zur Situation in Europa finden Sie hier.
Quelle: kernfragen.at
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