Vor genau 30 Jahren, am 30. Mai 1989, wurde der Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für abgebrannte Kernbrennstäbe im oberpfälzischen Wackersdorf eingestellt – vier Jahre nach Baubeginn und nach heftigen Protesten aus der Bevölkerung. Die WAA-Betreiberfirma hatte Ende 1988 an der Verwirklichung des Atomprojektes zu zweifeln begonnen. Die Anlage war immer teurer, die Proteste immer lauter und die Genehmigungsverfahren immer langwieriger geworden.
Und die Franzosen hatten ein finanziell attraktives Angebot gemacht – die abgebrannten Kernbrennstäbe aus Deutschland nach La Hague in Frankreich zu transportieren und dort zu entsorgen beziehungsweise aufzubereiten. Die Betreiber entschieden sich daher für eine Kooperation mit Frankreich und für ein Ende des gigantischen atomaren Projekts in der Oberpfalz.
Die Anti-Atom-Koalition von Wackersdorf war ein Protest der breiten gesellschaftlichen Mitte, in der auch Pfarrer und Funktionsträger von SPD und CSU vertreten waren. Diese Wackersdorf-Koalition verbündete sich mit der Anti-Atomkraftbewegung aus der ganzen Republik. Es kam zusammen, was bisher kaum zusammengekommen war. Die Erwartung von Strauß, dass man angesichts der vermeintlich ebenso duldsamen wie industriegewohnten Bevölkerung in der Oberpfalz eine „rasche und ungestörte Realisierung des Projekts“ garantieren könne – sie erfüllte sich nicht.
Hans Schuierer, der damalige Landrat von Schwandorf, heute 88 Jahre alt, war die Speerspitze des Widerstands der kleinen Leute. Er unterstützte die Bürgerinitiativen, trat als Gegner bei Protestveranstaltungen auf, stellte sich als Chef der Genehmigungsbehörde quer, legte sich mit der atombegeisterten Staatsregierung an, die gegen die Demonstranten von Hubschraubern aus CS-Reizgas einsetzen ließ.
Natürlich gab es auch Straftaten in Wackersdorf. Aber es gab noch sehr viel mehr Zivilcourage, gegen die strafrechtlich ermittelt wurde – weil sich die CSU-Regierung anders gegen die Solidarisierung der Einheimischen mit den auswärtigen Kernkraftgegnern nicht zu helfen wusste. Aus einem Protest von WAA-Gegnern wurde so schnell ein krimineller Landfriedensbruch. Und wenn ein Demonstrant von der Polizei weggetragen werden musste, wurde er wegen „Widerstand“ angeklagt, weil er sich dabei „schwer gemacht“ hatte.
Auf dem ehemaligen WAA-Gelände entstand ein ganz und gar atomfreies Gewerbegebiet, der Innovationspark Wackersdorf. Und es ist ein Mythos entstanden: Wie die kleinen Leute an den Flüssen Naab und Regen der großen Politik Feuer unterm Hintern gemacht haben.
Was kann man lernen von damals?
Dass sich Engagement, dass sich Leidenschaft, dass sich der Einsatz lohnt – auch wenn es erst einmal fast aussichtslos erscheint. Man kann von Wackersdorf, vom abgeblasenen Atomprojekt, lernen, dass die Zukunft nicht geformt ist, sondern geformt wird. Die Frage ist nicht, welche Zukunft man hat oder erduldet. Die Frage ist, welche Zukunft man haben will und wie man darauf hinlebt und hinarbeitet.
2018 wurde übrigens von Oliver Haffner der Film „Wackersdorf“ gedreht. Er zeigt die Geschichte des geplanten Baus der Wiederaufbereitungsanlage und den Protest der Bürger dagegen als lehrreiches Drama über die Notwendigkeit und Kraft von zivilem Ungehorsam.
www.film.at schreibt dazu:
Oberpfalz, 1980er Jahre: Die Arbeitslosenzahlen steigen und der Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler) steht unter Druck, Perspektiven für die Bevölkerung zu schaffen. Da erscheinen ihm die Pläne der Bayerischen Staatsregierung wie ein Geschenk: In der beschaulichen Gemeinde Wackersdorf soll eine atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) gebaut werden, die wirtschaftlichen Aufschwung für die ganze Region verspricht…
Der Text wurde von Renate Brandner-Weiß unter Verwendung folgender Online-Veröffentlichungen erstellt :
a) „Prantls Blick“ die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung (SZ), und zwar vom 30. September 2018 und 12. Mai 2019.
b) www.film.at
Quelle: kernfragen.at
Bildquelle: DPA
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