Gar nicht selten denken die Akteure der Branche, dass die Atomenergie – versehen mit dem in der Werbebranche übermächtigen Adjektiv “nachhaltig” – zu einer Renaissance des Geschäftes führen würde. Dabei zeigen die zahlreichen Atomunfälle, wie gefährlich und fragil diese Energiequelle ist. Am drastischsten stehen dafür die Nuklearkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima. 

Ein buntes Spektrum an Menschen scheint die mit der Atomenergie verbundenen Gefahren vergessen, oder vielleicht eher verdrängt zu haben. Dabei ist die Geschichte der Atomkraft eine, die nicht durch Erfolge, sondern durch Unfälle geprägt ist. Und das von Kindesbeinen an. Seitdem an ihr geforscht wird, gibt es Unfälle, oder wie man beschönigend in der Industriesprache zu sagen pflegt “Störfälle”.
Dass dabei auf unabsehbare Zeit valide Schäden für Mensch und Tier entstehen, wird freilich außer Acht gelassen. Dass das schon immer so war, zeigt ein Blick in die Zeitgeschichte. Schon 1942, als man sich im Dritten Reich im Zuge des Uranprojekts an der Kernspaltung versuchte, kam es zu einem folgenschweren Unfall.
Die illustre Liste an Verfechtern der Kernenergie ist lang und ist oft mit Lobbyisten besetzt. Unter ihnen ist auch Bill Gates. Dieser schrieb mit seinem Buch How to Avoid a Climate Disaster – das ich im Übrigen ansonsten für sehr gelungen halte – ein strahlendes Plädoyer für mehr, für viel mehr Atomenergie.

Die Schwachstellen

Jedes Kernkraftwerk muss gekühlt werden. Bei der Kernspaltung entsteht Wärme, die wird im Regelfall mittels Dampfgenerator zur Erzeugung von Energie genutzt. Diese Kühlung ist, wenn sie aus dem meist wackeligen Zustand, in dem sie sich befindet, gerät, die Schwachstelle, aus der Unfälle der Größenordnung von Tschernobyl und Fukushima erwachsen.
Die Energie, die zur Kühlung des Kraftwerkskerns, also der Brennstäbe im Inneren gebraucht wird, wird über die Nachbarblöcke eines Kernkraftwerks, oder das öffentliche Stromnetz gedeckt. Fällt diese Stromzufuhr aus, dann springen dieselbetriebene Notstromaggregate an und stellen die Kühlung sicher. Um hier einen etwaigen Ausfall zu vermeiden, gibt es immer wesentlich mehr Notstromaggregate als benötigt werden.
Außerdem werden, wenn es im Kraftwerksinneren zu Problemen kommt, sofort Regelstäbe eingefahren, die die nukleare Kettenreaktion stoppen, indem sie die dafür benötigten Neutronen absorbieren. Dadurch wird die Kernspaltung und in weiterer Folge auch die Wärmeproduktion im Kern fast vollständig zum Erliegen gebracht.

Tschernobyl

Die Angst vor Atomunfällen und ihren unabsehbaren Folgen ist bei uns spätestens seit dem 26.4.1986, dem Tag der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, weit verbreitet. In den frühen Morgenstunden versuchte die Kraftwerksleitung einen Sicherheitstest durchzuführen. Dabei sollte getestet werden, ob das Kraftwerk, bei einem Stopp der Wasserzufuhr zu den Turbinen, die die Stromversorgung sicherstellten, genug Energie ziehen könne, um den Kern zu kühlen, bis die Notstromaggregate anspringen würden.
Dabei wurden im Vorfeld des Versuchs geltende Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten, auch weil man sich ihrer Notwendigkeit nicht bewusst war. Grundsätzlich herrschten zu dem Zeitpunkt in sowjetischen Atomkraftwerken eher laxe Sicherheitsvorschriften. So strich die Betriebsmannschaft während der Laufzeit des Kraftwerks, Teile aus dem Betriebshandbuch einfach durch. Sie wurden danach nicht mehr beachtet.

Ein Denkmal mit einer Handskulptur steht feierlich vor einer Kuppelkonstruktion unter dem wolkigen Himmel und erinnert an die Widerstandsfähigkeit Fukushimas und das eindringliche Erbe Tschernobyls, umgeben von üppigem Grün und ruhigen Gehwegen.

Die Angst danach

Bis dahin hatte man es noch nie mit einer radioaktiven Bedrohung dieses Ausmaßes zu tun gehabt. Dementsprechend dürftig sahen europaweit die Pläne für den Katastrophenfall aus. Das lag nicht zuletzt daran, weil man das Eintreten eines solchen Unfalls, auch durch das Einwirken diverser Interessensgruppen, für unwahrscheinlich gehalten hatte.
Sehr schnell aber fuhr man dann, vor allem auch in Österreich die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung hoch. Lebensmittel wurden vernichtet, Jagd- und Sammelverbote erlassen und Plätze dekontaminiert. All das zeigte Wirkung. Jedenfalls soweit diese Maßnahmen Hilfe leisten konnten. Die Gefahr der radioaktiven Strahlung, die sich still und leise in Europa festsetzte, die wirkt heute noch nach und wird es lange tun. Insofern sind diese Maßnahmen immer irgendwo nur eine Schadensbegrenzung, sie mögen an kosmetische Eingriffe erinnern.

Auch folgte auf die Zeit der Verunsicherung ein großes Aufkommen der Umweltbewegungen. Die Ablehnung gegenüber der Atomkraft nahm zu.

Überall in Europa wurden die Sicherheitsstandards in Atomkraftwerken hochgeschraubt. Gleichzeitig versicherten alle europäischen Regierungen ihren Bürger*innen, dass diese sich vor den eigenen Atomkraftwerken nicht zu fürchten bräuchten, denn die westlichen Kraftwerke seien mit denen im Osten nicht zu vergleichen. Eine der Folgen der Entwicklungen des Jahres 1986 war sicherlich auch der erstmalige Einzug der Bundesgrünen in den Nationalrat.

Fukushima

Auch der Atomunfall in Fukushima, ein Vierteljahrhundert später, war durch die Achillesferse bedingt, die auch Tschernobyl betraf. Auch hier fiel die Kühlung des Kraftwerkskerns aus. Nur der Auslöser des Hergangs war ein anderer. Nicht die Betriebsmannschaft, sondern der Kraftwerksbau war nicht für die Küstenregion Japans gerüstet.
Als es am 11. März 2011 zu einem starken Erdbeben vor der Küste des Landes kam und ein Tsunami die Kraftwerksblöcke des Kernkraftwerks Fukushima traf, fiel in 3 der 6 Kraftwerksblöcke die Kühlung aus.
Das Erdbeben hatte die sechs Stromtrassen, die die Energieversorgung des Kraftwerks sicherstellen sollten, zerstört. Um die zum Betrieb der Kühlsysteme benötigte Energie weiterhin bereitzustellen wurden im Anschluss 12 der 13 Notstromaggregate zugeschaltet. 11 der 12 Notstromaggregate wurden durch den dem Erdbeben nachfolgen Tsunami betriebsuntauglich.
In den folgenden Tagen kam es durch die mangelnde Kühlung der Reaktorkerne zu Kernschmelzen in drei Reaktorblöcken.
Dabei und bei den unkoordiniert durchgeführten Maßnahmen zur Havariebeseitigung wurden große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt. Neben der Verseuchung des umliegenden Gebietes wurde radioaktiv belastetes Wasser aus dem Kern in das umliegende Meer entlassen. Vor allem dieses Vorgehen brachte dem Kraftwerksbetreiber international viel Kritik ein.

Der Wandel danach

Mit Fukushima setzte endgültig ein Wandel in der Wahrnehmung der Atomenergie ein, der mit Tschernobyl begonnen hatte. Auch die sicheren, also westlichen Atomkraftwerke, waren und sind vor einem Super-GAU nicht gefeit.
Immer mehr Länder beschlossen den Atomausstieg. Kraftwerksprojekte wurde auf Eis gelegt, oder beendet. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung war Atomstrom keine Lösung mehr für die Energieprobleme der Zukunft.

Das ist jetzt ein wenig anders. Die im Niedergang begriffene Atombranche sieht sich in der Rolle, den Platz der Kohlekraft im Energiewesen einzunehmen. Das ist gefährlich, denn hier spielt man Klima- und Umweltschutz gegeneinander aus. Hier gilt es Folgen und Risiken aufzuzeigen und klar zu sagen: Nein, Atomkraft ist keine Lösung.

In unserem Podcast  spricht Leo Zirwes über sein Engagement in der Klima-Bewegung und die vermeintliche Atomstromfreiheit Österreichs.