Wer sich mit dem Thema „Nachhaltige Investitionen“ beschäftigen möchte, wird bald auf eine Vielzahl an regulatorischen Vorgaben stoßen. Auch wenn Transparenz ein Anspruch dieser Verordnungen ist, sind vor allem für Privatanleger:innen einige dieser Vorgaben und Kennzeichnungen nicht einfach verständlich. Dieser Blogeintrag soll die Frage klären, was hinter der weit verbreiteten Kennzeichnung „Artikel 8/Artikel 9“-Fonds steht und den Einstieg in das Thema erleichtern. Dazu bieten wir hier einen Überblick über die wichtigsten EU-Vorgaben.
Wie nachhaltig sind Artikel 8 / Artikel 9 Fonds wirklich?
Seit einigen Jahren bemüht sich die EU mit einer Reihe an neuen Verordnungen und Richtlinien die europäische Wirtschaft umfassend nachhaltiger zu gestalten. Klarerweise handelt es sich dabei um ein äußerst ambitioniertes Vorhaben, das sowohl direkt als auch indirekt großen Einfluss auf unterschiedlichste Branchen und Wirtschaftstätigkeiten hat. Bekanntermaßen versucht die EU auch investiertes Privatvermögen in Richtung Sustainability umzulenken und damit das gelingt muss nachhaltiges Investieren signifikant erleichtert werden. Vermutlich sind dir in diesem Zusammenhang auch schon die sogenannten „Art. 8/Art. 9“ Fonds aufgefallen. Wenn sich nun die Frage stellt, was „Art. 8“ oder „Art. 9“ in der Praxis heißt, dann gilt es ein komplexes Netzwerk dieser neuen Forderungen an den Finanzmarkt auf den Punkt zu bringen. Aber lass uns dich Schritt für Schritt durch die Regulatorien führen:
Nachhaltig anlegen, aber wie?
Wenn du als Privatperson zu deiner Bank oder deiner Berater:in gehst, dann sind diese gemäß neuer EU-Verordnung MiFID II verpflichtet, im Gespräch auf deine persönlichen Präferenzen einzugehen und dich auf die Möglichkeiten zum nachhaltigen Investieren hinzuweisen.
Bist du interessiert, dann müssen Investmentberater:innen und Bankangestellte deine Wünsche daraufhin protokollieren und bei jeglicher weiteren Beratung berücksichtigen. Natürlich sind nicht alle unter ihnen Expert:innen in Sachen Nachhaltigkeit, sondern verlassen sich hierbei in der Regel auf standardisierte Qualitätssiegel und Richtlinien.
Die Klassifizierungen
Eine dieser Richtlinien ist die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR). Offengelegt wird hierbei Art und Ausmaß der Methoden sowie die jeweilige Strategie, die Betreiber von Fonds anwenden, um in nachhaltige Wirtschaftspraktiken zu investieren. Gemäß dieser Verordnung ergibt sich eine übersichtliche Dreiteilung. Ein Finanzprodukt nach SFDR …:
… Artikel 6 legt offen, dass es keine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt. Etwaige Risiken für die Umwelt müssen trotzdem evaluiert und veröffentlicht werden. Sollten anhand der Analyse keine Risiken gefunden werden, muss das Ergebnis zumindest begründet werden. Ziel dabei ist, ein Minimum an Transparenz sicherzustellen. Diese Fonds werden inoffiziell manchmal „braun“ genannt.
… Artikel 8 darf sich als nachhaltig bezeichnen. Diese Produkte verpflichten sich, eine entsprechende Nachhaltigkeitsstrategie öffentlich zu machen und zu berücksichtigen. Solche Fonds müssen auf Investitionen verzichten, bei denen Nachhaltigkeitsziele „signifikant behindert“ werden. Diese Fonds werden oft zur Veranschaulichung als „hellgrün“ oder „ESG-Funds“ klassifiziert, was für „Environmental-Social-Governance“, also verschiedene Bereiche der Nachhaltigkeit steht.
… Artikel 9 hat ein konkretes Anlageziel, das über wirtschaftliche Gewinne hinausgeht. Nachhaltigkeit wird also nicht nur berücksichtigt, sondern angestrebt. Ein solches Finanzprodukt muss glaubhaft machen können, dass die Geschäftstätigkeiten aktiv auf zumindest ein bestimmtes Nachhaltigkeitsziel hinarbeiten, ohne dabei andere signifikant zu behindern. Das Produkt wird auch als „dunkelgrün“ oder, wegen des angestrebten Einflusses, als „Impact-Funds“ bezeichnet.
An dieser Stelle müssen wir uns zwei Fragen stellen: Von welchen Nachhaltigkeitszielen ist hier eigentlich die Rede und was heißt es genau, wenn ich in einen Fonds investiere, der Art. 8 oder Art. 9 entspricht?
Die EU versucht investiertes Privatvermögen in Richtung Sustainability umzulenken und damit das gelingt muss nachhaltiges Investieren signifikant erleichtert werden.
David Emich
ESG PlusDie EU – Nachhaltigkeitsziele:
Bei den Nachhaltigkeitszielen, die sowohl bei Artikel 8 und 9-Fonds vorkommen, handelt es sich unter anderem um die sechs Umweltziele der EU. Diese sind in der nächsten Verordnung definiert, in der sogenannten EU-Taxonomie Verordnung, die bestimmt, welche Wirtschaftstätigkeiten von Unternehmen als nachhaltig gelten. Falls Geschäftspraktiken eines oder mehrere der folgenden Ziele verfolgen und keines der anderen beeinträchtigen, können diese als „nachhaltig“ eingestuft werden:
1) Klimaschutz;
2) Anpassung an den Klimawandel;
3) die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen;
4) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft;
5) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung;
6) der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
(Nähere Informationen dazu kannst du in einem früheren Blogbeitrag finden, alternativ in dieser Publikation oder im Verordnungstext.)
Eines der Probleme ist, dass sich manche der Ziele, nur schwer bis gar nicht quantifizieren lassen, z.B. Anpassung an den Klimawandel. Gemeint ist hierbei, dass Risiken für Mensch und Umwelt, die durch den Klimawandel entstehen (könnten), abgeschwächt werden sollen. Was das jedoch im Anwendungsfall heißt, ist nicht eindeutig definiert. Damit verlagert sich die Unklarheit nur eine Ebene weiter nach unten und statt „Was ist nachhaltig?“ fragen wir: „Ab wann fördert eine Wirtschaftstätigkeit das fragliche Ziel?“ Es gibt zwar praktische Gründe dafür die Ziele nicht strikt zu definieren. So könnten beispielsweise innovative Lösungsansätze durch strikte Definition in Zukunft unberechtigterweise ausgeschlossen werden. Jedoch liegen die Probleme schwammiger Formulierungen auf der Hand: Interpretationsspielraum lädt zum Greenwashing ein.
Abgesehen davon behandelt die EU-Taxonomie ausschließlich Umweltthemen. Soziale Nachhaltigkeit, gute Unternehmensführung und anderweitig ethische Geschäftspraktiken werden von der EU-Taxonomie nur mit Verweis auf die OECD-Leitsätze, die Leitprinzipien der Vereinten Nationen miteinbezogen und auch die übergeordnete EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) beinhaltet noch keine exakten Definitionen. Diesbezüglich müssen wir uns also gedulden und auf zukünftige EU-Verordnungen warten, um die Lücken im Reglement im Laufe der Zeit zu füllen.
Zurück zu den Investments:
Nun haben wir einen Überblick darüber, was nachhaltige Wirtschaftsführung ist oder nicht ist. Wie oben erwähnt muss ein Art. 8/Art.9 Fonds seine Methoden zum nachhaltigen Investieren offenlegen. Welche Nachhaltigkeitsstrategien tatsächlich angewandt werden, obliegt dem Fonds-Management. Naturgemäß werden manche Art. 8/Art. 9 Fonds mit strengen und aufwändigen selbst auferlegten Kriterien geführt. Diese sind absolute Vorzeigemodelle der nachhaltigen Finanzwirtschaft. Andere versuchen mit einem Mindestmaß an Kriterien, ein einfach verdientes Verkaufsplus zu erzielen, schließlich existiert ein nie dagewesenes, öffentliches Interesse an nachhaltigen Investments. Über einige Negativbeispiele berichtet das Handelsblatt. Die frustrierende Antwort auf die Frage: „Wie nachhaltig sind Art.8/Art.9 Fonds?“ muss also lauten: „Es kommt darauf an.“
Die offiziellen Richtlinien verlangen von Berater:innen kaum mehr als die Berücksichtigung der Präferenzen der Kunde*innen in welcher Form auch immer. Tatsächlich geben z.B. die Beratungsleitfäden des deutschen Forums für nachhaltige Geldanlage und der österreichischen Wirtschaftskammer keinen Aufschluss darüber, anhand welcher Grundlagen Kund:innen zu beraten sind. Verwiesen wird nur auf die SFDR und die EU-Taxonomie Verordnung und darauf, dass das angebotene Finanzprodukt den Wünschen der Kund*innen entsprechen muss. Aus Mangel an besseren
Datenquellen und Information müssen sich also viele Berater:innen auf die Klassifizierung verlassen. Das bringt uns zurück zu den in Methodologie und Strenge stark variierenden Art. 8/Art. 9 Fonds.
Es wäre falsch zu sagen, dass diese Klassifizierung zwecklos ist, viele Ansätze sind innovativ und notwendig. Außerdem ist das Thema umfassend und die Ausarbeitung erst am Anfang. Gleichzeitig können wir zum jetzigen Zeitpunkt nur eindringlich davor warnen, sich blind darauf zu verlassen. Im Rahmen des Forschungsprojekts ‚Follow the money‘ von 11 angesehenen europäischen Tageszeitungen und Zeitschriften wurden kürzlich ähnliche Ergebnisse veröffentlicht. Auch eine umfassende Studie von ESG Plus, Josef Obergantschnig Financial Strategies und dem Verein Ethico zeigt eine Vielzahl an Mängeln. Äußerst bemerkenswert ist dabei folgendes Ergebnis: Artikel 8-Fonds unterscheiden sich so stark in ihrer Methodik, dass die Nachhaltigkeitsbewertungen eine noch höhere Schwankungsbreite aufweisen als Artikel 6-Fonds. Besonders im Sozialen- und im Governance-Bereich lässt die Regulatorik zu wünschen übrig und es gibt weder strenge Ausschlusskriterien für Holdings noch sonstige eindeutige Mindestanforderungen. So ist beispielsweise zum aktuellen Zeitpunkt nur ein Drittel (672 von 1944 zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung) aller Art. 8/Art. 9 Fonds (!) auf CLEANVEST.org völlig frei von Kinderarbeit.
Wir verbleiben also mit einem Appell: Bleibe skeptisch, aber offen und frage deine Berater:innen, woher sie ihre Daten über die angebotenen Fonds beziehen. Alternativ recherchiere selbst, unter CLEANVEST.org oder CLEANVEST PRO!
Über das Unternehmen
ESG Plus ist ein Sozialunternehmen spezialisiert auf nachhaltige Lösungen für den Finanzmarkt. Das Ziel von ESG Plus ist es globale Kapitalströme mit einem Nutzen für Gesellschaft und Umwelt zu verbinden, denn Geld und Werte gehören zusammen.
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