Wenn im Oktober Hochsommer herrscht, ist das schön. Und nur ein statistischer Ausreißer: Ein langer „Indian Summer“ ist nämlich noch lange kein Klimawandel. Oder doch?

Nein, ich bin kein Klimaexperte. Aber dass es einen Unterschied zwischen Wetter und Klima gibt, weiß sogar ich. Schon lange bevor der Begriff Klimawandel Teil unseres Wortschatzes wurde, hatte mein Vater länger andauernde Regen- und andere Schlechtwetterperioden stets lächelnd mit „ist das nur ein Wetter oder schon ein Klima?“ kommentiert. Er war Lehrer. Und sah seinen Bildungsauftrag auch darin, uns aus unserer subjektiven Wahrnehmung rauszureissen: Nur weil uns etwas zwei, drei oder fünfmal widerfuhr, hieß das eben nicht, dass dahinter eine Gesetzmäßigkeit, eine Regel läge.

Schafberg, Foto: Tom Rottenberg

Das, erklärte dann später auch mein Mathematikprofessor anhand der Wahrscheinlichkeitsrechnung, sei auch die Falle, in die viele beim Glücksspiel tappen. Die Annahme, dass es kosmische Ordnung oder Gerechtigkeit gibt, derzufolge nach der siebten geraden Zahl beim achten Wurf am Roulettetisch eine ungerade kommen müsse, sei ein Trugschluss: Die Verteilung sei über lange Zeiträume zwar ausgeglichen. Doch das besage eben nicht, dass die gleiche Zahl, nicht gerade jetzt immer wieder und immer wieder kommen könne. Weil jedes Ergebnis von allen vorigen absolut unabhängig ist.

Was das mit dem Klima zu tun hat? Sachlich und wissenschaftlich nicht viel – bis auf ein Detail: Menschen verwechseln subjektive Wahrnehmung gerne mit generellen oder objektiv festmachbaren Entwicklungen. Darum reden wir schon von Klimaveränderungen, wenn das Wetter drei Wochen anders als im langjährigen Durchschnitt (oder nur unserer Erinnerung) ist. Denn auch wenn es tatsächlich zwei, drei oder vier Jahre hintereinander Ende Oktober 23 Grad hat: Das kann auch einfach Wetter sein. Muss es aber natürlich nicht. Das Blöde daran ist, dass unsereiner es nicht beurteilen kann. Respektive: nicht mit Sicherheit sagen kann. Blick und Empfinden sind eben subjektiv. Wir sind zu nahe (und kurz) dran. Also sitzen wir plötzlich in der Falle: Wir wissen, dass es den Klimawandel gibt. Dass er menschgemacht ist. Dass er stattfindet. Dennoch steht, wenn es Ende Oktober im Salzkammergut 23 (manche sagten 25) Grad hat, und wir sagen „Ah, da ist er also, der Klimawandel“ unter Garantie jemand auf und sagt, „Sorry Jungs – aber das ist Wetter. Kein Klima. Klima gilt erst nach 20 oder 25 Jahren.“

Schafberg, Foto: Tom Rottenberg

Mir ging es Ende Oktober genau so: Am Wolfgangsee. Es war Sommer. Ich trabte mit kurzer Hose auf den 1.800 Meter hohen Schafberg. Am Nachmittag ärgerten mich Wespenschwärme rund um meinen Obstkuchen. Am Abend fraßen mich Gelsen. „Ende Oktober?“ fragte ich – doch bevor ich beim K-Wort war, belehrten mich die Touristiker: Zufall! Wetter! Nix Klima! Sondern grandioses Glück! Sommerliche Tage mitten im Herbst gäbe es seit jeher. Die gälte es zu feiern. Zu genießen – durch Schwarzmalerei die Stimmung zu drücken, brächte niemandem etwas. Daher: Wetter, Wetter und nochmals Wetter.

Rundum nickten alle. Verständlich. Nieselregen und kalten Wind, Nebel und frostige Feuchtigkeit braucht ja wirklich keiner. Und wenn der „Indian Summer“, den man heute nicht mehr „Altweibersommer“ nennen darf, diesmal lang und länger ist: Wenn stört das? Wetter – nicht Klima. Ich kann da nicht widersprechen. Nicht bloß, weil ich kein Klimaexperte bin, sondern eben weil das bisserl, das ich über den Unterschied zwischen Wetter und Klima weiß, just das besagt: Drei, vier oder fünf Jahre die gleiche Abweichung von „normal“ bedeutet nix. Ist kein Beweis. Und sogar als Indiz leicht vom Tisch zu wischen. Besonders wenn es um angenehme Phänomene und Ereignisse geht.

Schafberg, Foto: Tom Rottenberg

Irgendwie war ich sogar beruhigt. Fast glücklich. Manchmal tut es gut, falsch zu liegen: Supertolles, feines Wetter ist schließlich was Anderes als das Kippen des Klimas. Der Rest des Wochenendes war auch deshalb fröhlich und strahlend. Sonntagnachmittag checkten wir aus. Wir waren die letzten Gäste. Die Nacht auf Montag wären wir gern noch geblieben, aber Sonntagnachmittag war hier eben Saisonschluss. Pause bis zum Start der Winter- und Skisaison. Die Mitarbeiter waren freundlich – dass sie sich auf die Auszeit freuten, war aber zu sehen. Nachvollziehbar.

Doch das, sagte die Chefin zum Abschied, könne und werde sich wohl ändern: „Wir werden ab dem nächsten Jahr länger offen halten. Früher wollte ja schon Ende September keiner mehr kommen. Aber es ist jetzt halt länger warm: Ich hätte Anfragen bis nach Allerheiligen – und auf den Winter, den Schnee, ist kein Verlass mehr.“ Ich sagte, dass das Zufall, Wetter eben, sein könne. Die Wirtin sah mich mitleidig an: „Schauen Sie sich einfach um. Da gibt es tausend Kleinigkeiten. Jede für sich geht als Zufall oder Nebensache durch. Aber wenn sie ein Puzzle zusammensetzen, wird aus tausend Teilen ein Bild. Und dieses hier heißt nicht ‚Wetter‘. Leider.“