Kürzlich endete die 26. UN-Klimakonferenz. Die Erwartungen waren groß. Über das Ergebnis sind viele enttäuscht. Doch was wurde eigentlich in Glasgow beschlossen? Was bedeutet es für das 1,5-Grad-Ziel? Und wie geht’s nach Glasgow für uns weiter?

Michael Spiekermann war einer der beiden österreichischen Jugenddelegierten auf der COP26. In diesem Beitrag schildert er seine Learnings und Eindrücke aus der Zeit in Glasgow. Das Jugenddelegiertenprogramm von BMK und CliMates Austria ermöglicht, basierend auf einem öffentlichen Bewerbungsprozess, Jugendlichen, als Teil der Regierungsdelegation die UN-Verhandlungen mitzuverfolgen und kritisch von den COPs zu berichten.

Glasgow ist überwältigend: Hektik auf den Gängen, Trauben von Journalist:innen, hunderte Sprachen, herzzerreißende Reden von Opfern von Klimakatastrophen, Blockade und taktisch-politisches Kalkül, Frustration bei den Jugendlichen. Gegensätzliche Emotionen und Interessen sind auf der COP26 oft nur wenige Meter voneinander entfernt.

Glasgow ist anstrengend: Am Morgen gilt es, möglichst früh am Konferenzgelände zu sein, um lange Warteschlangen zu vermeiden. Maximale Flexibilität für kurzfristige Termine ist notwendig und Pausen nimmt man sich kaum. Dutzende Veranstaltungen laufen gleichzeitig. Dass man nie den Überblick behalten kann, damit muss man sich abfinden.

Glasgow ist widersprüchlich: Zwar steht Glasgow ganz im Zeichen des 1,5-Grad-Ziels. Doch das sehen nicht nur die Erneuerbaren-Verbände, sondern auch die Atombranche als Chance. Dutzende Atomkraftlobbyisten laufen am Gelände herum. Meist unter 30, freundlich und mit der unverfänglichen Aufschrift „let’s talk about nuclear“ am T-Shirt. Zudem sind 503 Lobbyisten von fossilen Unternehmen vor Ort. Das sind mehr Menschen als alle Delegierten aus den neun von der Klimakrise am stärksten betroffenen Länder.

Glasgow ist ungerecht: 40.000 Menschen sind auf der COP26 zugelassen. So viele waren es noch nie. Doch indigene Gruppen, Jugendliche und Menschen aus dem globalen Süden waren deutlich unterrepräsentiert. Stark betroffene Minderheiten werden nicht geschützt. Auch wenn formal jedes Land eine Stimme hat, entscheiden in der Praxis die wirtschaftlich stärkeren Staaten das Ergebnis der Verhandlungen.

Michale Spiekermann mit Isabella Pfoser auf der COP26.

Zwei Personen stehen in einem großen Innenraum, über dem ein riesiger Globus hängt, der an die Atmosphäre der COP26 erinnert. Im Hintergrund halten sich mehrere sitzende Personen auf, umgeben von Informationsständen, die an die Fridays for Future-Bewegung erinnern.

Glasgow ist sinnvoll: Auf der diesjährigen COP einigten sich die Staaten unter anderem auf halbwegs akzeptable Regeln für die Berechnung von Treibhausgasen und zum ersten Mal spricht man offiziell von einer Reduktion der Kohleverstromung und ineffizienter fossiler Subventionen. Viele Staaten kündigten am Papier höhere Klimaziele an oder unterschrieben Abkommen zum Ende der Abholzung und Verbrenner-PKW oder zur Reduktion von Methangas, und Finanzierung fossiler Projekte im Ausland. Man könnte den Eindruck bekommen, die politischen Eliten kämen nach Glasgow, um dort die Welt zu retten. Und ja, in Ansätzen stimmt das auch. Politiker:innen brauchen einen Ort der Zusammenkunft, um sich gegenseitig inspirieren und überzeugen zu können, und eine Bühne, um sich zu profilieren. Staaten brauchen das Rahmenwerk der UN, um völkerrechtlich bindende Ziele zu beschließen. Ohne Klimakonferenzen gäbe es kein Abkommen von Paris, an dem Menschen und Medien die Taten der Politik messen können. Und es gäbe keinen Weltklimarat, der die Politik mit den wissenschaftlichen Fakten über die drohende Klimakatastrophe konfrontiert.

Glasgow ist enttäuschend: Und dennoch ist klar, dass all das nicht reicht. Viele loben, dass die Klimakonferenzen „zumindest kleine Fortschritte“ brachten. Doch kleine Fortschritte sind kein Fortschritt, sobald man anerkennt, dass die Klimakrise noch viel schneller eskaliert als die klimapolitischen Maßnahmen aktuell hochskaliert werden. Die Lücke zwischen Handlungen und Handlungsbedarf wird immer größer. Nationalstaatliche Interessen sind auf der COP fast allen Regierungschefs wichtiger als Klimaschutz. Das Endergebnis sind Einigungen, die uns nicht zum versprochenen 1,5-Grad-Ziel führen. China und Indien verwässerten eine wichtige Formulierung zum Kohleausstieg. Europa gab nach. Für den neu eingeführten Emissionsmarkt konnten Blockierer-Staaten durchsetzen, dass alte CO2-Einsparungszertifikate aus der Zeit vor Paris übernommen werden können. Der Markt könnte überschwemmt werden und der ganze Handel wie unter Kyoto zur klimapolitischen Katastrophe werden. Einem dringend notwendigen Fond zur finanziellen Unterstützung nach Klimakatastrophen („Loss and Damage“) stimmten die Industrienationen nicht zu. Sie sind nicht bereit, Menschen in lebensbedrohlichen Notlagen zu helfen.

Glasgow ist ein Todesurteil für viele: CO2 tötet Menschen. Schon heute geht die Zahl der Klimatoten in die Millionen. Doch das menschliche Leid wird auf ein historisch nie dagewesenes Maß ansteigen, wenn Klimakatastrophen anfangen, ganze Landstriche und Länder auszulöschen. Wenn man in Glasgow mit Menschen aus dem globalen Süden spricht, dann bekommt man eine Ahnung davon, was es heißt, wenn Taifune mit 280 km/h über deine Stadt hinwegfegen und alles verwüsten, was ihnen in die Quere kommt. Wir Menschen in Europa denken oft, wir träfen rationale Entscheidungen, wenn wir beim Klimaschutz zwischen Kosten, Vorteilen und Bequemlichkeiten abwiegen. Doch „Klimaschutz mit Hausverstand“ ist eine Lüge. Eine Aussage erfunden von Menschen, die keine Ahnung haben, was in der Welt abgeht.

Glasgow ist unkonkret: Die in Glasgow vereinbarten Ziele und Mechanismen reichen nicht für 1,5 Grad. Nicht im Ansatz. Es gibt seit Jahrzehnten Versprechen über weit in der Zukunft liegende Ziele, doch an der Umsetzung in den eigenen Ländern scheiterte es bis jetzt. Bestes Beispiel: Österreich lobt sich international, bis 2040 klimaneutral sein zu wollen. Doch solange nicht ein Klimaschutzgesetz beschlossen wird, das die Regierung zur Einhaltung verpflichtet, ist dieses Versprechen unverbindlich und wertlos. Ähnlich sieht es in allen anderen Staaten aus.

Doch Glasgow ist nicht unsere einzige Hoffnung: Bedeutende Fortschritte im Klimaschutz gab es bis jetzt immer nur, wenn die Menschen Druck auf die Politik machten. Das Klimagesetz der EU beispielsweise war nur möglich, weil Millionen junge Menschen auf die Straße gingen und die Politik aufforderten, Verantwortung zu übernehmen. Beim Pariser Klimaabkommen war es ähnlich, sagten uns die Verhandelnden. Von den Straßen, über die Medien, in die Parlamente. Aktives Einmischen bei politischen Entscheidungen hat das Potenzial, Großes zu bewegen, während die Forderung nach individuellem nachhaltigem Verhalten von den wichtigen, politischen Hebeln ablenkt.

150.000 Menschen gingen in Glasgow auf die Straße. Und mir wurde nach und nach klar, dass Politiker:innen auf Klimakonferenzen meist nur maximal das verhandeln, was die Bevölkerung von ihnen einfordert.

Das klingt vielleicht frustrierend, doch wir sollten es als Chance sehen. Die Chance, dass wir mitreden können. Die Gewissheit, dass es in Österreich und weltweit einen Unterschied macht, wenn wir laut sind, aktiv sind und die Politik beim Klimaschutz sich nicht ihrer Verantwortung entziehen lassen.