Livin Farms stellt auf Kund:innen zugeschnittene industriell gefertigte Anlagen her, die Reststoffe durch Insekten in wertvolle Proteine und Nährstoffe umwandeln. Diese werden dann im Heim- und Nutztierfuttermittelbereich genutzt. Ich habe mit Katharina Unger, Gründerin und CEO von Livin Farms, darüber gesprochen, wie Insekten das Klima schützen und die Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten können.

Katharina, du hast Livin Farms gegründet, um Lebensmittelsysteme nachhaltiger zu gestalten. Wie setzt ihr das um?

Unsere Vision ist Feeding the world while saving the planet. Wir bauen industriellen Anlagen, bei denen wir die Insekten dazu nutzen, Reststoffe in hochwertige Proteine und Nährstoffe umzuwandeln. Unsere Kund:innen kommen hauptsächlich aus dem Lebensmittel- und Futtermittelbereich und müssten, ohne Livin Farms, ihre Reststoffe kostenpflichtig abgeben. Das ist nicht nur kostenintensiv, sondern auch eine Verschwendung der Rohstoffe.

Insekten als Müllverwerter sind ein recht ungewöhnliches Thema, insbesondere noch im Jahr 2015 als du gegründet hast. Wie bist du auf das Thema gekommen?

Ich komme ursprünglich aus der Produktentwicklung und aus dem Industriedesign und familiär aus der Landwirtschaft. Irgendwann wollte ich keine Produkte mehr herstellen, die ein ultimatives Ablaufdatum haben. Das waren z.B. Kopfhörer oder Autos.

Ich wollte einen Impact haben und unser Lebensmittelsystem nachhaltiger gestalten. Vor Livin Farms gab es kein System, um industriell verarbeitetes Protein herzustellen und ich habe mich gefragt, wie kann man den kleinstmöglichen Umweg gehen, um eben dieses Protein herzustellen, gleichzeitig schon vorhandene Ressourcen nutzen und damit die menschlichen und industriellen Interessen verfolgen. Da kam die schwarze Soldatenfliegenlarve ins Spiel.

LivinFarms Produkt ©ParisTsitsosforLivinFarms

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Das heißt, Livin Farms verwandelt Reststoffe in Ressourcen. Wie stelle ich mir das vor?

Unsere Anlagen werden vor allem von Betrieben genutzt, die Lebensmittel oder Futtermittel produzieren. Ob bei Bäckereien oder Stärkeproduzent:innen, es gibt immer Nebenprodukte, die entsorgt werden müssen.

Hier sind wir die Schnittstelle zur Reststoffproduktion, um daraus Produkte für den Heimtier- und Nutztierfutterbereich herzustellen und das machen wir eben mit Insekten.
Wir nutzen die schwarze Soldatenfliegenlarve, die die Reststoffe frisst und verwertet, am Ende geerntet wird und so als Protein, Fett oder Dünger für den Heimtier- und Nutztierfutterbereich verkauft werden kann.

Laut der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen wird sich der weltweite Bedarf an tierischen Produkten bis 2030 verdoppeln. Wie bettet sich Livin Farms hier ein?

Wir haben in Europa eine wahnsinnige Insuffizienz, wenn es um Proteine für Futtermittel geht. Das heißt, wir importieren aus Drittstaaten und zwar rund 74 %.

Zurzeit können wir diese Proteine in Europa selbst gar nicht produzieren. Uns fehlen die Anbauflächen für Soja und Co., um die Nutztiere füttern zu können.  Alles was wir importieren, zum Beispiel Soja aus Südamerika, hat nicht nur eine extrem schlechte CO2-Bilanz, sondern schädigt etwa durch die Rodung von Flächen die Umwelt. Insekten sind eine emissionsschonende Alternative, um Proteine und Nährstoffe zu erzeugen. Um genau zu sein, sparen unsere Kund:innen mit den Insekten im Vergleich zu Soja 92 % Emissionen ein.

Tray Mealworms ©ParisTsitsosforLivinFarms

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Ihr handelt also im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, spart zusätzlich CO2 und schützt so das Klima…

…und füllen Ressourcen wieder auf. Ich gebe ein Beispiel: Fischmehl ist ein gängig benutztes Protein für Tierfutter. Dabei hat es sehr ähnliche Eigenschaften wie Insektenmehl. Dadurch, dass wir immer weniger Fische in den Gewässern haben und somit die Ressource Fisch immer kleiner wird, wird das Fischmehl immer teurer. Nutzt man statt Fischmehl Insektenmehl, schont je eine Tonne fünf Tonnen Fisch im Ozean. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Ökosysteme aus. Mit Insekten kann also nicht nur die Ressource geschont, sondern sogar wieder aufgefüllt werden.

Welchen Stellenwert haben Eco Tech Firmen, wie Livin Farms, generell, wenn es um die Eindämmung der Klimakrise geht?

Einen ganz bedeutenden: Wir arbeiten daran, Lösungen und Wege zu finden, das Klima zu schonen und Ressourcen optimal zu nutzen. Dabei geht es vor allem um die eigenen Landesressourcen und die Unabhängigkeit von internationalen Lieferketten.

Dass die globale Vernetzung in diesem Zusammenhang nicht der richtige Weg ist, sehen wir insbesondere in den letzten zwei Jahren. Das heißt, wir brauchen mehr Lösungen, um uns bei Themen wie nachhaltige Lebensmittel und Abfallwirtschaft als Regionen und Städte unabhängig zu machen und regional autarke Systeme zu schaffen. So wird es uns auch global besser gehen.

Bleiben wir beim Thema Klima und Umwelt: In den letzten Jahrzehnten hat sich durch Infrastrukturaufbau, Besiedelung und Erosion fruchtbare Ackerbau- und Weidefläche bereits um mehr als 30 % reduziert. Wie können Insekten helfen, die Nahrungsmittelversorgung in Zukunft zu gewährleisten?

Wir haben nicht nur immer weniger Fläche, die Klimakrise gefährdet auch zunehmend die landwirtschaftliche Produktivität und Sicherheit. Dabei brauchen wir (pflanzliche) Proteine, um Tiere und Menschen zu versorgen.

Eine Sojabohne braucht eine fruchtbare Fläche in der richtigen Region, sie braucht Sonne und sie braucht Wasser, um zu wachsen. Ein Insekt wiederum braucht weder Land, noch Sonne, noch Wasser. Alles, was es braucht, sind bestehende Reststoffe. Es müssen also nicht extra Ressourcen angebaut werden, um es zu füttern. Genau so passt es in das industrielle und in das Ökosystem und spielt damit eine große Rolle in der Nahrungsmittelversorgung.

LivingFarms Factory ©ParisTsitsosforLivinFarms

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Trotzdem geht es bei euch vor allem um Futtermittel für Tiere. Menschliche Nahrungsmittel sind kein Thema?

Für Livin Farms haben wir Performance, Preis und Nachhaltigkeit ausgewertet und da ist ein Produkt im Tierfutterbereich in allen Bereichen am effizientesten. Gleichzeitig sind wir aber im Education Bereich unterwegs und zeigen den Lebenszyklus von Mehlwürmern. So schaffen wir Bewusstsein und Akzeptanz.

Trotzdem wird der Lebensmittelbereich auch kommen. Allerdings nicht als Wurm auf dem Teller oder als kulinarisches Produkt, sondern zum Beispiel als Proteinmehl und somit als Proteinzusatz im Lebensmittel.