In seinem Buch „Die Kunst der Ausrede – Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben“ analysiert der Grazer Psychologe Thomas Brudermann die Mechanismen des „Going Green“-Selbstbetruges im gelebten Alltag. Brudermann beschreibt darin die Diskrepanz zwischen „klimaschützerischem“ Selbstbild („ich tu doch eh so viel“) und dem tatsächlichen impact, den das eigene Verhalten auf das Klima hat. Er entlarvt die gängigen Methoden des Schön- oder Kleinredens, des (meist falschen) Auf- und Gegenrechnens oder von fatalistisch-entschuldigenden „leider alternativlos“-Ansagen als Ausreden. Und erklärt wieso auch die Hoffnung auf irgendwann doch bestimmt greifende technische Rettungsanker keine Alternative zu echten und tiefgreifenden Verhaltensänderungen im Hier & Jetzt sind.

Doch der Klimapsychologe geht – Kraft seiner Profession – in seinem Buch und seinen Vorträgen (z. B. in seinem TEDx-Talk) einen Schritt weiter: Thomas Brudermann erklärt auch, wieso wir so ticken und wieso wir uns selbst so erfolgreich in die Tasche lügen. Im oekostrom AG-Interview betont er aber noch etwas: Diese kritische Analyse trifft auch auf ihn selbst zu – doch je bewusster man sich der vielen kleinen und großen Ausflüchte sei, umso eher gelinge es, das eigene „Ist“ dem „Will“ und „Soll“ näher zu bringen.

Thomas Brudermann, weil du über die Psychologie des Umganges mit dem Klimawandel schreibst, wirst du meist als „Klimapsychologe“ etikettiert. Aber: Gibt es diesen Begriff auch ganz offiziell?

Ich bekomme recht viele verschiedenen Bezeichnungen, darum kurz zum Hintergrund: Ich habe 2009 in Psychologie promoviert und dann zu verschiedenen Themen der Nachhaltigkeits- und Innovationsforschung gearbeitet. Dabei habe ich immer versucht, Verhaltensperspektiven in die Nachhaltigkeitsforschung einzubringen. In den letzten Jahren, an der Universität in Graz, war das verstärkt das Thema Klimawandel. Umweltpsychologie hat sich immer schon mit diesen Verhaltensweisen beschäftigt, die relativ wenig impact haben: Also etwa Licht ausschalten oder Dosen-Recycling für ausreichend zu halten, um die Welt und nun auch das Klima zu retten. Ich versuche, den Fokus, den Blick auf die wirklich klimarelevanten Dinge zu legen. Daher kommt wohl die Bezeichnung „Klimapsychologe“.

Du beschreibst auch, wie alles begann: Du warst 2010 bei einer Nachhaltigkeitskonferenz in New York – und während man über Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität und Nachhaltigkeit sprach, wurde der Raum auf 18 Grad gekühlt, Getränke in kleinen Aludosen gereicht und die Buffethäppchen enthielten Fleisch gefährdeter Arten oder zweifelhafter Herkunft. Das hat dich sensibilisiert. Oder gar traumatisiert?

Ja, das war eine unsägliche, aber nicht untypische Konferenz. Über die bin ich aber auch in Graz gelandet, weil ich in New York von einem Stellenangebot in meinem Bereich an der Uni Graz erfahren habe. Meine erste Aufgabe waren dann Seminare im Bereich Entscheidungsverhalten – da habe ich genau diese Themen angesprochen. Das kam bei den Studierenden gut an. Das Buch war dann eine spontane Idee nach dem Sommerurlaub 2021: Ich habe mir überlegt, wie ich das, woran ich glaube, auch glaubwürdig leben und vertreten kann. Und woran wir scheitern.

Woran und wieso scheitern wir?

Wir reden immer von Schuld und ihrer Individualisierung. In diese Falle tappt man so leicht. Man hängt den einzelnen Bürger:innen und Konsument:innen das Thema um. Verlangt von ihnen Klimafreundlichkeit im Verhalten – was aber extrem schwierig ist, wenn die Strukturen dafür fehlen. Ich glaube trotzdem, dass man, um über das Thema zu sprechen, Lösungen auch vorleben muss. Und das bedeutet, auch die Probleme anzusprechen, die einem – jedem und jeder – begegnen. Das sind nicht nur die Strukturen.Individualisierung.

Wir reden immer von Schuld und ihrer Individualisierung.

Thomas Brudermann

Psychologe

Aber gelingt es dir? Zu 100 Prozent?

Zum Teil. Die Augen geöffnet zu bekommen ist aber hilfreich: Was jedem am besten gelingt, ist sich selbst etwas vorzumachen. Wir glauben leicht, bis zu einem gewissen Grad umweltfreundlich, nachhaltig mit einem vertretbaren Klima-Impact zu leben. Aber wenn wir uns den nüchternen Zahlen stellen, schaut das ganz anders aus: Wenn ich für zwei Kilometer oder fünf Minuten ins Auto steige, finde ich leicht eine Rechtfertigung: Weil der Beitrag klein ist, weil es die Anderen auch tun …und so weiter. Was ich an mir selbst beobachtet habe, ist, dass ich mir durch die Beschäftigung mit dem Thema meine eigenen Ausreden nicht mehr glaube. Es fällt mir zunehmend schwerer, mir selbst etwas vorzumachen. Deshalb gelingt es mir in einigen Bereich gut: ich fliege nicht mehr, ich bin Vegetarier – aber nicht vegan –, ich lege Wege in Graz fast ausschließlich mit dem Fahrrad zurück. Und mein Auto hat in gewisser Weise auf mich verzichtet – und sich mit einem Motorschaden von mir befreit.

Der Sport-Trainersatz dazu lautet: „Wer will findet Wege, wer nicht will, hat Ausreden“. 

Das Zitat steht sogar in meinem Buch. Aber es gibt sehr wohl Situationen, wo all das extrem schwierig ist: Als Consultant lebe ich davon, bei meinen Kund:innen zu sein – das geht nicht nur digital. Da gehören Flüge auch zum Beruf. Soll man den Job also wechseln? Das wäre eine extrem schwere Entscheidung. Oder Alleinerziehende am Land: Kinder in die Schule, Einkauf, Job – diese Person wird das Auto wahrscheinlich wirklich brauchen. Es ist gefährlich, wenn wir da mit dem Zeigefinger fuchteln und sagen „wenn du wirklich wolltest …“ Das ist problematisch. Wir brauchen eine gesunde Portion Pragmatismus und nicht die Moralkeule. Auch, weil die eher zum Gegenteil führt. Also dazu, dass Menschen sich einigeln.

Die Frage lautet aber auch, ob Selbstbetrug nicht auch eine Überlebensstrategie ist. Weil es sonst schwer wird, sich selbst zu akzeptieren.

Ja, Selbsttäuschung ist bequem – aber es geht auch um Effizienz. Das Gehirn frisst enorm viel Energie. Kognitiver Aufwand ist anstrengend – und wir suchen mit verschiedenen Mechanismen Wege, diesen kognitiven Aufwand zu reduzieren. In Gewohnheiten verfangen zu sein, gehört dazu. Auch, dass wir tun, was andere tun. Das ständige Konfrontieren mit den eigenen Unzulänglichkeiten ist ebenfalls anstrengend. Das fühlt sich nicht gut an. Bequemer und angenehmer ist es, gar nicht darüber nachzudenken. Das sind Selbstschutzstrategien, die evolutionär durchaus Sinn gemacht haben. Wenn wir in der Steinzeit nur darüber nachgedacht hätten, was man alles besser machen könnte, wären wir oft handlungsunfähig gewesen. Manchmal hat man dafür Zeit: gesättigt, gesund, positiv gestimmt – da kann man über Vieles nachdenken und den Blickwinkel aufmachen. Aber im täglichen Struggle mit allen möglichen Sorgen ist es schwierig.

Wo sind denn die Hauptpunkte wo man ansetzen kann oder scheitert? Die Kapitel deines Buches sind ja genau diesen Selbsttäuschungs-Themenfeldern, diesen Ausreden, zugeordnet. Wo sollte ich den Hebel also ansetzen?

Es gibt viele Puzzlesteine. Ich sehe nicht diesen einen, universellen Hebel. Gäbe es den, wäre es einfach. Wir müssen aber leider viele Hebel gleichzeitig drücken – und gleichzeitig aufpassen, dass uns nicht doch was aus dem System rausfällt. Aber es gibt gute Motivatoren. Wir wissen aus der Entscheidungspsychologie, dass Menschen Entscheidungen nicht treffen, indem sie viele Faktoren gewichten und gegeneinander aufwiegen und die optimale Lösung heraussuchen. So ticken wir nicht. Wir verwenden Abkürzungen, mentale Abkürzungen und Daumenregeln. Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, brauchen wir nicht viele Faktoren, sondern meistens nur einen einzigen, guten Grund. Ein starker Motivator ist: Wissen, warum. Wenn Menschen wissen, warum sie etwa tun oder nicht tun, dann fallen viele Dinge plötzlich nicht so schwer. Wenn ich aber keinen Sinn in einer klimafreundlichen Entscheidung sehe, dann fällt sie natürlich auch schwer.

Könnte man also sagen: Es geht und noch nicht schlecht genug? Es muss erst ganz übel werden, bevor die Leute diesen Grund zum Handeln annehmen können?

Das ist das Schwierige beim Klimawandel: Wir haben dieses direkte Feedback nicht. Wir nehmen die Dürre wahr, sehen, wenn der Wald stirbt – aber der Klimawandel ist ein Schritt, eine Spur abstrakter – und das macht es in der Wahrnehmung schwierig. Gleichzeitig macht es das leicht, uns psychologisch zu distanzieren. Wir können uns leicht einreden, dass das zeitlich und räumlich doch noch weit weg ist. Umgekehrt wird es nicht leichter: Wenn man klimafreundlich handelt, sich etwa entscheidet, nicht mehr Auto zu fahren, spürt man keine unmittelbare Wirkung. Es fehlt also das direkte Feedback. Wir sind so programmiert. Wir brauchen dieses direkte Feedback, müssen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit spüren.

Wir sind als Individuen also nicht intelligent genug, unser Verhalten anzupassen. Braucht es also Druck von außen, von oben? Mit demokratischen Mitteln oder eigenem Hausversand kommen wir ja nicht weiter.

Ganz so ist es nicht: Wir sind anpassungsfähig. Wir entwicklen auch Narrative, die unserem Handeln Sinn geben. Ich bekomme das fehlende Feedback eventuell durch andere Dinge: Wenn ich mich klimafreundlich ernähre, ist das auch gesünder. Wenn ich mich aktiv bewege, ist das gesünder. Da spüre ich einen Effekt. Wenn ich Dinge gemeinsam mit anderen Menschen mache, habe ich das Gefühl sozialer Wirksamkeit auch. So generiere ich dieses sonst fehlende Feedback. Wir müssen also Wege finden, wo wir dieses Feedback finden und wo die Rückkopplung sichtbar gemacht werden kann. Druck von oben kommt außerdem nicht, wenn es nicht eine gewisse Bereitschaft „von unten“ dafür gibt. Vielleicht sogar Druck.

Druck von oben kommt außerdem nicht, wenn es nicht eine gewisse Bereitschaft „von unten“ dafür gibt. Vielleicht sogar Druck.

Thomas Brudermann

Psychologe

Wir reden uns oft auf Strukturen raus – aber Strukturen sind auch etwas, das wir täglich selbst schaffen oder bestätigen: Wenn niemand etwas vorzeigt oder einfordert, ändert sich nichts. Wege entstehen, indem man sie geht. Es gibt zahllose Beispiele dafür, wo einige Wenige viel ins Rollen gebracht haben. Das Frauenwahlrecht etwa. Rosa Parks – oder diese kleine palästinische Sekte rund um Jesus Christus.

Die Reaktion – etwa bei Flugreisen – ist aber auch oft die, dass Leute sagen, sie nutzen etwas aus, solange es noch geht. Wir fliegen und konsumieren im Wortsinn so, als könnte es morgen verboten werden.

Psychologisch betrachtet ist das ein sehr typischer Mechanismus. Das war bei Corona auch so: Lockdowns wurden angekündigt – und alle sind in die Bars gerannt, um möglichst noch etwas mitzunehmen… Man will das Hier & Jetzt, weil man nicht weiß, was in Zukunft kommt. Ja, das sind dann die Grenzen der Eigenverantwortung. Aber es zeigt auch, wie problematisch die Aussicht auf Verzicht ist: Menschen hassen es, zu verzichten. Menschen wollen nicht verlieren. Wer mag das schon?

Die Aussicht, die viele von klimafreundlichem Verhalten abhält, ist das Versprechen von rettenden Technologien.

Technologieoptimismus ist ein großes Thema. Der bedient vor allem unsere Bequemlichkeit. Wenn man sich anschaut, wie effizient diese Dinge tatsächlich sind, wird klar, dass das Blendgranaten sind: E-Fuels, angeblich sauberer Flugzeugtreibstoff: Dass wird Kerosin nicht ersetzen. Vor allem: nicht ausreichend und nicht zeitgerecht. Es gibt durchaus Bereiche, wo man mit Technologie weiterkommt. Aber gerade bei der Mobilität ist blinder Technologieoptimismus nicht angebracht. Auch im Ernährungsbereich stoßen Technologien an ihre Grenzen: Wir müssen uns grundsätzlich fragen, wie wir uns fortbewegen oder ernähren wollen.

oekostrom AG: Eine Tabelle in deutscher Sprache, die Alltagsentscheidungen nach Schwierigkeitsgrad und Klimaauswirkung kategorisiert, enthält Maßnahmen wie Nichtfliegen, weniger Fleisch essen und Abfall reduzieren. Symbole und Beschriftungen veranschaulichen jede Maßnahme.

Du nimmst dich ausdrücklich selbst nicht aus. Sagst, dass Schönreden, die Suche nach Ausreden, dich auch betrifft, die Auseinandersetzung aber den Selbstbetrug schwieriger macht. Da bleibt eine Frage offen: Die Realität ist nicht ermutigend, die Perspektiven bestenfalls ernüchternd. Was gibt dir Mut und Hoffnung?

Ich habe es mir angewöhnt, Zweckoptimist zu sein. Als Fatalist bräuchte ich ja nichts zu tun. Da könnte ich jetzt Tennis spielen gehen. Negative Emotionen sind aber schon auch wichtig: Sie machen aufmerksam auf Gefahren und Bedrohungen, gleichzeitig verengen sie aber Blick und Zeithorizont. Gerade wenn es um komplexe Herausforderungen mit langem Zeithorizont geht, brauchen wir daher auch positive Emotionen. Sie geben uns den weiteren Blick und weitere Perspektive unter längeren Zeithorizonten. Deswegen habe ich keine andere Wahl, als Zweckoptimist zu sein – sonst komme ich nicht in diese positiven Emotionen hinein.

Und wie kommst du in den Zweckoptimismus-Modus?

Für mich persönlich funktioniert Humor sehr gut. Humor ist etwas, das auch in schlimmen Situationen hilft. Den Begriff „Galgenhumor“ kennt man ja: Bei mir persönlich funktioniert das. Humor erweitert meinen Blick – und ich finde auch in negativen Situationen etwas zum Lächeln. Manchmal sogar zum Lachen. Und lachen erweitert den Horizont.