Keine Sorge, das ist kein üblicher Klima-Text. Zumindest keiner von den schweren, die aktuelle Weltlage ist schon belastend genug. Viel eher ist es der Versuch eines Neustarts: ein Appell für mehr Utopie und für neue Energiequellen dank frischer Perspektiven.

Herunterfahren

Irgendwann Ende 2022 war es auch bei mir soweit. Ich musste raus. Raus aus der Negativspirale, dem Schwermuts-Tobbogan, den eine andauernde Auseinandersetzung mit multiplen Krisen zwischen Klima und Krieg mit sich bringt. Vorerst keine ZIB2 mehr und fürs erste auch keine Tageszeitung. Das Klima-Buch unterm Christbaum ging direkt und ungelesen ins Regal. Durchatmen.

Es liegt in der Natur des Menschen, dass einem irgendwann die Luft wegbleibt, wenn die Flut aus negativen Nachrichten zu hoch wird. In der Natur der Natur wiederum liegt es, dass Krisen sich tendenziell selten in Luft auflösen, nur weil man nicht hinsieht. Was also tun?

Mein Learning der vergangenen Jahre war es jedenfalls, mein Ressourcenmanagement neu zu denken. Nur wenn ich es schaffe, in Anbetracht verschiedener Drohszenarien meine Akkus regelmäßig wieder aufzuladen, werde ich auch den notwendigen Atem finden, den das Generationenprojekt Klimaschutz braucht. Oft kann dabei bereits ein kleiner Perspektivenwechsel Großes bewirken.

Vorweg: ich schreibe hier über meine persönliche Erfahrung. Es gibt keinen Anspruch auf die Lösung für alle, auch das Fachwissen überlasse ich lieber den Expert:innen wie der Psychologin Lea Dohm.

Wo wären wir ohne Träume und Visionen? Vermutlich würden noch heute Autos ihre Runden um den Kreisverkehr vorm Stephansdom drehen.

Oliver Schnetzer

Journalist

Neustart

Wer etwas erreichen will, braucht ein klares und greifbares Ziel. Umso deutlicher das Bild einer möglichen Zukunft vor unserem geistigen Auge aufscheint, desto größer der Ansporn. Solange wir Klimaschutz aus einer Angst- und Bedrohungsperspektive kommunizieren, wird uns auf halber Strecke der Mut ausgehen. Dabei gibt es so viel zu gewinnen.

Nicht selten lohnt auch ein Blick in die Vergangenheit, um neuen Ansporn für die Zukunft zu finden. Es gilt, erfolgreichen und möglichen Wandel zu begreifen, zu verbildlichen. So stauten sich 1970 noch Autos den Wiener Graben und vorm Stephansdom entlang. Auf der Terrasse des Albertina Museums parkten wie auch am Karls- oder Rathausplatz die Autos. So unvorstellbar das heute für uns klingt, war auch die damals angekündigte Verkehrsberuhigung für viele undenkbar. Man erinnere sich an die Aufschreie beim Umbau der Mariahilferstraße.

Das Learning? Statt das Klima, ein globales, langjähriges und schwer greifbares Phänomen, gleich als Ganzes „zu retten“, können kurzfristige Etappenziele wie eine verkehrsberuhigte Straße als Energieboosts auf dem Weg aushelfen. Der Mensch braucht Erfolgsmomente. Begriffe wie Klimaneutralität sind zeitgleich für ein einzelnes Individuum nur schwer greifbar. Die Bilder aus naher Vergangenheit zeigen hingegen, welche Veränderungen durch (zivilgesellschaftliches) Engagement und dank einer starken Vision auch vor der eigenen Haustüre schaffbar sind.

Und warum sollte dabei nicht auch ein wenig größer gedacht werden? Etappenziele müssen schließlich auch wohin führen. Ich appelliere dabei für mehr Mut zu Utopien.

Wald- und Wiesenstadt Wien

Wie könnte also eine Zukunft mit autofreien Städten, sauberer Energie und einem gesunden Ökosystem aussehen? Ich stelle mir vor, wie die Vögel zwitschern und ich die renaturierten Wienerwaldbäche plätschern höre, sobald ich in Wien die Fenster meiner Wohnung öffne. Beim Schritt aus der Haustüre finde ich mich direkt in einem Park wieder. Auf dem Weg zur Arbeit schlendere ich über begrünte, schattige Flächen und Wiesen zwischen den Häusern, wo einst mehrspurig zubetonierte Straßen waren. Cafés laden unter den Bäumen zum Verweilen ein, Kinder spielen in den Gassen. Rad und Öffis bekommen neuen Platz ohne Stau oder Risiko. Es ist herrlich ruhig, die Luft sauber. Schattensegel zwischen den Häusern sorgen im Sommer für zusätzliche Abkühlung. Binnen 15 Minuten bekomme ich zu Fuß alles, was ich zum Leben brauche. Eine Wasserrutsche von der Burggasse bis runter zur Thaliastraße ist das neue Sommerhighlight der Hauptstadt.

Wo wären wir ohne Träume und Visionen? Vermutlich würden noch heute Autos ihre Runden um den Kreisverkehr vorm Stephansdom drehen. Wenn wir für eine lebenswerte Zukunft „kämpfen“ lohnt es, sich diese vor dem inneren Auge zu verdeutlichen. Ein Perspektivenwechsel weg von Untergangszenarien und hin zu erfrischenden Zukunftsbildern, sowie realistische Etappenziele können dabei zur wertvollen Energiequelle werden.