Die Geschichte des Individuums in der Klimakrise beginnt 2004, vielleicht ein wenig früher, so genau lässt sich das nicht sagen. Jedenfalls nimmt das Individuum dann oder ein wenig davor Gestalt an. Über die Erfindung des Co2-Fußabdrucks durch einen Ölkonzern.

Oder auch: Einer allein, macht noch keine Krise

Ein paar Klicks und man öffnet ihn, er ist ein Online-Tool, man füttert ihn mit einigen Daten, Konsumgewohnheiten, Wohnbedarf, Wasserverbrauch. Zack! Dann steht da eine Zahl, dahinter ein kleines “t”. Ich, Leo Jan Zirwes stoße durch meinen Lebensstil so und so viele Tonnen Co2 aus – pro Jahr versteht sich.

Das erste Mal, als ich auf dich traf, da war ich ein paar Jahre jünger als ich es jetzt bin. In irgendeiner Geographiestunde im Frühling. Wir, die Schüler, sitzen da, es geht um “Nachhaltigkeit”, wir sollen auf unseren Handys unseren Co2-Fußabdruck berechnen. Wir tippseln alle ein Weile auf den Displays unserer Handys herum. Einer nach dem anderen schauen wir auf. Und wir vergleichen, sind dazu angehalten zu vergleichen, wer denn in etwa wie viel Co2 ausstößt. Wie viele Erden es denn bräuchte, wenn alle Menschen so leben würden, wie wir es tun. Man schweigt, teils betreten, manchen ist es unangenehm zu sehen, was sich da auf ihren Bildschirmen zeigt, wie viel mehr Ressourcen sie brauchen als andere und wie viel mehr Co2 sie so ausstoßen.

Im Interesse des Rauches und der Schlote

Genug der Anekdoten. Wieder ins Jahr 2004. Oder noch weiter zurück. Besser: in die 1970er Jahre, in eine durchwachsene Zeit, die durchaus ihre Parallelen zur Gegenwart hat. 1973, der Jom-Kippur-Krieg bricht aus, die israelischen Streitkräfte befinden sich am Rande einer Niederlage, die Sowjetunion, die USA und die UNO vermitteln und es kommt nicht zu  Frieden, aber zumindest zu einem Waffenstillstand. Die Ölstaaten, die sich am Krieg beteiligten, zeigen sich empört, werfen dem Ausland und dem Westen vor, sich einseitig einzumischen. Es kommt zu einem Embargo des Erdöls, auf den Märkten der Welt, da steigen die Ölpreise um ein Vielfaches. Die europäische Industrie, insbesondere die deutsche Industrie, ist schwer getroffen. Aber nein, auf diese Facette der 70er will ich nicht eingehen.

Seit den 70ern weiß man bei den großen (und oftmals US-amerikanischen) Ölkonzernen um den Einfluss des Menschen auf das Klima.

Leo Zirwes

Bei den Kohlekonzernen war man mit dieser Erkenntnis noch etwas früher dran, da wusste man zumindest seit den 1960er Jahren Bescheid, dass der Mensch, mag er als Einzelner auch noch so klein sein, durch sein kollektives, sprich milliardenfach repliziertes Handeln, etwas so großes wie das Klima der gesamten Welt beeinflussen kann.

Dass eine solche Erkenntnis nicht gerade förderlich ist, wenn das eigene Geschäftsmodell darauf beruht, genau jene Stoffe, jene Waren unter die Leute zu bringen, die, wenn man sie verbrennt, jenes Co2 freisetzen, das einen ganz maßgeblichen Einfluss auf das Klima hat, das liegt auf der Hand. Das ist ja ein Umstand, den ein anderes, seit der industriellen Revolution in Westeuropa omnipräsentes Phänomen, in einem ähnlichen zeitlichen Rahmen erfahren durfte: die Zigarette (wenngleich die großen Tabakkonzerne bereits in den 1950er Jahren um die Gefahr der von ihnen vertriebenen Produkten wussten).

Du und nur du bist schuld!

Nun, jetzt möchte man sein Produkt, ganz gleich, mit welchen Risiken es denn behaftet sein mag, vermarkten. Wie macht man das? Man heuert an. Eine PR-Agentur, ist man gut betucht, dann ist an dieser Stelle auch gut und gerne der Plural angebracht.

Strategien, deren Gebrauch in den entsprechenden Großraumbüros comme il faut beherrscht werden, die gibt es zu Genüge. Man mag sich hier als “merchant of doubt” sehen, als Händler der Zweifel sehen, sei es, dass man die Gefahr der Glimmstängel oder der rauchenden Schlote in Abrede stellt; ganz gleich ob die Abrede nun medizinischer oder aber naturwissenschaftlicher Herkunft.

Hilft das nichts, dann kann auch auf Kundenwunsch zum Angriff geblasen werden, aber nicht auf den “Feind”, sondern auf diejenigen, die die unliebsamen Erkenntnisse zu Tage gefördert haben, seien es nun Ärzte oder Naturwissenschaftler. Nun, dieses Repertoire und noch wesentlich mehr, das hatte man Anfang der Nuller-Jahre schon von oben bis unten durchdekliniert. Es musste etwas Neues her.

Und da kommt nun wieder die eingangs erwähnte PR-Agentur Ogilvy & Mather ins Spiel. Diese machte im Auftrag ihres Kunden BP den Co2-Fußabdruck groß und so wurde prompt ein Rechner für diesen auf der Website von BP eingerichtet – verbunden mit dem Aufruf, dass man diesen Abdruck denn möglichst gering halten möge. Garniert hatte man das Ganze gleich auch mit Vorschlägen, wie der Einzelne ein solches Vorhaben umsetzen könne. Etwa durch die eigene Ernährung (was natürlich per se nicht falsch ist), die Rolle von BP und von fossilen Brennstoffen, die kam erwartungsgemäß nicht vor.

Nicht der Konzern ist also schuld an all den Folgen der Nutzung von fossilen Brennstoffen, sondern bloß die bösen Konsumenten, denn würden diese nicht so viel Öl und Gas kaufen und verbrennen, naja, dann wäre der Klimawandel auch gar nicht existent. Es liegt nur daran, was der Einzelne kauft, die Rolle des Unternehmens ist dabei schuldfrei.

Ein Plädoyer für einen breiteren Ansatz

Ich will mich hier nicht dafür aussprechen, den Co2-Fußabdruck zur Gänze aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Keinesfalls! Vielmehr sollte dieses Instrument, das durchaus seine Vorzüge hat, nicht als Maß der Dinge gesehen werden.

Es braucht das Handeln jedes Einzelnen für eine Wende in der Klimakrise. Dass hier das Handeln des Einzelnen einen Einfluss, dass der Einzelne durch seinen Konsum einen Einfluss hat, das bestreitet niemand und das wird auch vom Gros der Wissenschaft so gesehen.

Der Knackpunkt an einer isolierten Betrachtung durch den Co2-Rechner ist der, dass der Verbraucher bloß das letzte Glied einer langen Kette ist. Der Verbraucher aber, der muss mit seiner begrenzten Kaufkraft ein Auskommen finden. Hier eine allgemeine Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers zu simulieren, ja anzunehmen, dass jeder zu jederzeit die freie Wahl zwischen der gesamten Bandbreite an klimafreundlichen und klimaschädlichen Produkten hat, welch es denn nun auch immer in einem konkreten Fall sein mögen, ist illusorisch.

Es braucht einen Wandel auf systemischer Ebene und diesen kann der Co2-Fußabdruck nicht darstellen, nicht messen. Dabei muss der Verbraucher auch wirklich die Möglichkeit bekommen, auf umweltfreundliche Alternativen umsteigen zu können. Dann kann die Mehrheit der Menschen auch etwas mit dem Co2-Fußabdruck anfangen, dann ist er auch ein valides Mittel, um die Folgen des eigenen Konsums überblicken zu können. Der Co2-Fußabdruck kann nur als eines von ganz vielen Werkzeugen, das uns hier auf dem Weg, den es zu gehen gilt, verstanden werden.