Klimaklagen liegen im Trend. An immer mehr Gerichtshöfen werden sie eingebracht. Zumeist geht es bei ihnen um menschenrechtliche und zivilrechtliche Fragestellungen. Jetzt stellt eine Umweltorganisation eine Strafanzeige gegen Jair Bolsonaro und versucht diesen für seinen Umgang mit dem Amazonasregenwald zu belangen.

Worum es geht

Vielerorts nutzen heute Menschen, die politische oder wirtschaftliche Macht haben, ihre Position, um ganz direkt die Umwelt und die Natur zu schädigen. Das kann ganz verschiedene Formen annehmen. Einer dieser Menschen ist Jair Bolsonaro, der Präsident Brasiliens. Dieses Amt bekleidet er seit 2019, seit da an unternehmen er und sein Kabinett Schritte, um den Amazonasregenwald immer weiter für die Agrarwirtschaft und den Abbau von Bodenschätzen freizugeben.

Die drastischen Auswirkungen dieses Vorgehens werden besonders in Zahlen deutlich.

Seit dem Amtsantritt Bolsonaros nahm die Abholzung des Amazonasregenwaldes um 50% zu.

Währenddessen werden die Maßnahmen zur Verfolgung der illegalen Rodung systematisch zurückgefahren und Einzelpersonen, die sich diesem Verhalten entgegenstellen, immer öfter zum Ziel gewaltsamer Übergriffe, immer öfter wird dabei tödliche Gewalt angewendet.

Dieses Vorgehen der Einzelperson Jair Bolsonaro möchte man nun strafrechtlich verfolgen. Im Optimalfall kommt dabei am Ende auch eine Verurteilung heraus. Freilich stellen sich bei einem solchem Vorgehen unzählige Fragen. Allen voran aber: Vor welchem Gericht respektive vor welchem Gerichtshof kann ein solches Anliegen vorgebracht werden?

The Planet Vs Bolsonaro

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Das Fundament, auf dem man aufbaut

Als im Juli 1998 das Rom-Statut auf einer Staatenkonferenz angenommen wurde, wurde die juristische Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gelegt. Auch wurden dabei 4 Verbrechen gegen den Frieden kodifiziert. Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen der Aggression.

Der Internationale Strafgerichtshof hat die Aufgabe, diese Verbrechen, sofern sie sich ereignen, in allen Vertragsstaaten des Rom-Statuts zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen. Schon damals stand im Raum auch Verbrechen gegen die Umwelt zu verankern.
Dazu arbeitete die im Frühjahr 2019 verstorbene Rechtsanwältin und Ökozid-Expertin Polly Higgins einen Entwurf aus. Dieser sah ein internationales strafrechtliches Vorgehen bei der irreversiblen Zerstörung und Schädigung von Ökosystemen vor. Dieser Passus wurde aber unter massivem Druck der USA, Frankreichs, Englands und der Niederlande ersatzlos gestrichen.

Johannes Wesemann und Wolfram Proksch haben die Klage gegen Bolsonaro am ICC eingereicht. (credits: AllRise)

Dem Gerichtshof stehen für die Erledigung seiner Aufgaben jährlich 150 Millionen Euro zur Verfügung – zum Vergleich: dem Bundeskanzleramt steht 2021 an Auszahlungen knapp die dreifache Summe zu. Bemessen daran, dass alle in die oben genannten Kategorien fallenden Tatbestände, die sich in allen Mitgliedstaaten ereignen – das sind immerhin 121 an der Zahl – in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes fallen, ist das ein sehr knapp bemessenes Budget.

Konkret wird man hier versuchen über den Artikel 7 des Rom-Statuts, der die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die der Gerichtshof zuständig ist, definiert. Namentlich sind dabei Verbrechen gegen die Umwelt nicht normiert. Es ist aber davon auszugehen, dass hier auch Tatbestände, wie der, den man Bolsonaro vorwirft, subsumiert werden können.

Die Menschen dahinter

Eingereicht wird die Strafanzeige von dem zu diesem Zweck gegründeten Verein AllRise. Initiiert wurde dieser vom Unternehmer Johannes Wesemann. Das Team hinter der Strafanzeige ist breit und interdisziplinär aufgestellt. Es umfasst Rechtsanwälte wie Dr. Wolfram Proksch, Rechtsexperten wie Univ.-Prof. Dr. René Kuppe vom Wiener Juridicum und auch renommierte Klimatolog:innen wie etwa die in London forschende Fredi Otto. Zudem gibt es aber auch ein Advisory Board, in dem unter anderem der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Manfred Nowak vertreten ist.

Die Strafanzeige

Die jetzt eingereichte Strafanzeige zielt darauf ab, die bestehenden Bestimmungen so zu nutzen, dass eine Strafanklage gegenüber Bolsonaro erhoben wird. Gegenwärtig signalisiert der Strafgerichtshof auch verstärkt ein Schlaglicht auf Umweltverbrechen zu werfen. Der Zugang der jetzigen Initiative ist, sagt mir Dr. Wolfram Proksch im Gespräch, der, dass man statt auf eine etwaige Ausweitung des Rom-Statuts zu warten, die eine klare und explizite Grundlage für die Verfolgung von Umweltverbrechen liefern könnte, prüft, ob man Umweltverbrechen nicht jetzt schon mit den bestehenden Formulierungen verfolgen kann. Nachdem das noch niemand gemacht habe, gelte es jetzt mit einem breiten Expertenteam und einem wissenschaftlichen Beirat dieses Unterfangen umzusetzen.  Laut Rechtsanwalt Proksch gehe man davon aus, dass sich Tatbestände, die die Umwelt betreffen schon unter Artikel 7 des Rom-Statuts subsumieren lassen. Gleichzeitig gebe es auf internationaler Ebene aber auch Bestrebungen, Umweltverbrechen in das Rom-Statut zu inkludieren, es gelte aber zu bedenken, dass “So eine Erweiterung, ein Amendment des Römer-Statuts [… ] schnell 10 oder 12 Jahre dauern kann. Diese Zeit haben wir nicht mehr.”

Mit Kritik ist zu rechnen

Umweltschützer werden in Brasilien mitunter brutal verfolgt, Gleiches gilt für Journalisten und Einzelpersonen, die auf die im Gebiet des Amazonasregenwaldes herrschenden Umstände aufmerksam machen.

Man darf dabei nicht vergessen, dass die Auffassungen Bolsonaros, was denn mit dem Amazonasregenwald zu tun sei, der Meinung der brasilianischen Bevölkerung konträr entgegenstehen. Denn 88% brasilianischen Bevölkerung befinden den Schutz des Regenwaldes für wichtig.

Seitens Brasiliens, oder besser seitens Bolsonaros, wird man wohl einwenden, dass die “Europäer”, der europäische Markt ja fordere, dass immer mehr Fleisch und Soja geliefert würden. Und dass eben er, Bolsonaro, hier nur diesem Wunsch nachkomme.  Er sich also auch nicht in irgendeiner Verantwortung oder nur in einer minimalen Verantwortung für das sehe, was ihm denn vorgeworfen werde. Vielleicht, ja vielleicht, da wird Bolsonaro auch einwenden, dass man hier ein Exempel an ihm statuieren wolle und das nur, weil er ja in einem Land lebe, das eben das Rom-Statut ratifiziert habe, nicht wie andere größere Staaten, wie etwa die USA oder China.
Dass man, wenn man öffentlich an dieser Klage beteiligt war, sich hier erkennbar mit eingebracht hat, erst mal nicht nach Brasilien reisen möchte, das scheint aber recht offensichtlich zu sein.

On the short run

“Wir würden hoffen [… ], dass in etwa in einem halben Jahr eine Mitteilung des Office of Prosecution (Anm. Organ des Gerichtshofes, dass über die Erhebung einer Anklage entscheidet) eingeht, dass unsere Strafanzeige soweit ernst genommen wird, dass Untersuchung eingeleitet werden”, so Dr. Proksch. “Das wäre ein echter Etappensieg, wenn es hier zu einer positiven Rückmeldung käme”.
Zu beachten gilt es aber, dass dieses Höchstgericht, so wie es bei anderen Höchstgerichten auch der Fall ist, sei es nun der Verfassungsgerichtshof oder der Europäische Gerichtshof, unterfinanziert sind. Es findet also im Regelfall immer eine starke Priorisierung der Verfahren statt. Auch bedeutet das eine eher längere Verfahrensdauer. Gerade umwelt- und klimarelevante Fragestellungen könnten aber aufgrund ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bedrohung priorisiert werden.

Mehrschichtige Ansprüche

Wenn völkerrechtliche Verträge verhandelt oder novelliert werden, dann wird um jeden Beistrich gefeilscht. Hier scheint es auf internationaler Ebene gerade Ambitionen zu geben, der Umwelt auch im Rom-Statut einen Stellenwert einzuräumen und gewisse Handlungen gegenüber der Natur als Verbrechen einzustufen. Gleichzeitig tun sich hier aber einige Problemfelder auf. Denn wenn man ein Paket aufschnürt und neu verhandelt, dann heißt das ja nicht zwingend, dass das Ergebnis, das dabei herauskommt, ein besseres ist. Man müsste hier auch beachten, so Dr. Proksch weiter “dass gerade NGOs nicht daran interessiert wären, eine Öffnung des Statuts in Kauf zu nehmen, weil sie Sorge hätten, dass es sogar Verschlechterungen gäbe”. Auch “würden wohl [… ] viele Staaten einer Erweiterung des Statuts nicht zustimmen”. Das ist ja auch durchaus nachvollziehbar. Denn warum sollte ein Staat sich hier sehenden Auges einer strafrechtlichen Verantwortung aussetzen, wenn er die Möglichkeit hat, diese zu unterbinden?

On the long run

Das Verfahren kann zwei Ausgänge nehmen.

Entweder Jair Bolsonaro wird durch den Internationalen Strafgerichtshof verurteilt. Ein solches Urteil wäre ein Novum, das den Weg frei machen würde, auch andere ganz ähnlich gelagerte Fälle vor Gericht zu bringen und das auf einem gefestigteren Fundament zu tun.

Oder aber, es kommt nicht zu einer Verurteilung. Auch das wäre keine Niederlage. Denn dann hätte man einerseits mediale Aufmerksamkeit für ein nach allen Maßstäben wichtiges Thema geschaffen.Auch würde dann feststehen, dass der Internationale Strafgerichtshof beziehungsweise seine juristische Grundlage, das Rom-Statut im Bereich der Verbrechen gegen die Umwelt einen Mangel aufweist.

Vorteilhaft wäre diese Feststellung, weil dann gezielter darauf hingewirkt werden kann, die Lücke zwischen dem, was das Recht an Tatbeständen kennt und dem, was evident an Tatbeständen gesetzt wird, zu schließen.

Weitere Infos zur Klage und allen Mitwirkenden findest Du unter: ThePlanetVs

Die Petition zur Klage kann hier unterschrieben werden: Petition AllRise