Welcher Aktivismus ist legitim? Darf Protest nur ein wenig stören? Die Letzte Generation, konkret der Protest der Letzten Generation, ist nicht nur ein kaum beachtetes Hintergrundgeräusch. Für viele ist er ein Ärgernis. Ist er deswegen weniger legitim? Abseits dieser Frage ist der Protest der Letzten Generation aber vor allem eins: medial präsent. Sie ist aber auch ein Spielball der Tagespolitik, ein Werkzeug, um schnell und ohne großes Risiko politisches Kleingeld zu schlagen. Ob in der Politik oder in den Kommentarspalten macht sich aber auch etwas anderes bemerkbar, und zwar ein immer rauer werdender Ton. Woher kommt das und wohin tragen uns diese Worte? Das wollte ich wissen und habe deswegen mit Prof.in Dr.in Claudia Paganini und Vincent Schäfer gesprochen.

Prof.in Dr.in Claudia Paganini unterrichtet Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München, ursprünglich kommt sie aus Tirol, wo sie jahrelang an der Universität Innsbruck tätig war. Prof.in Dr.in Paganini ist vielseitig versiert, etwa auch als Journalistin.

Vincent Schäfer studiert Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München. 2022 wurde er durch die Protestaktionen der Letzten Generation auf diese aufmerksam und entschied sich, sich selbst an diesen zu beteiligen. Im Dezember 2022 beteiligte er sich an zwei Aktionen und landete dafür über Weihnachten und Silvester für 15 Tage im Gefängnis.

Claudia Paganini

Frau Prof.in Paganini, wer Interviews und Beiträge zum Hass liest, der Klimaaktivist:innen im Allgemeinen und all jenen, die sich aktiv an der letzten Generation beteiligen, entgegengebracht wird, der stößt oft auf Ihren Namen. Wie kam es zu diesem Interesse Ihrerseits an der Thematik?

Paganini: Ich arbeite in der Medienethik viel zu Hatespeech und dem Phänomen der Aggression im Netz. Im Zuge meiner Forschung habe ich eine Zunahme von Hassrede gegen Klimaaktivist:innen beobachtet. Da war es für mich relativ schnell klar, dass das Themen sind, zu denen man sich einfach äußern sollte. ‘Interesse’, das ist hier ein zu schwacher Begriff. Ich finde die Verharmlosung der Gewalt in der gegenwärtigen Situation eigentlich schon unerträglich.

Warum?

Paganini: Wenn ich dem anderen, der eine andere Meinung hat, nicht zumindest zugestehe, dass er diese Meinung äußern darf, dann kann eine Demokratie gar nicht funktionieren.

Wenn ich dem anderen, der eine andere Meinung hat, nicht zumindest zugestehe, dass er diese Meinung äußern darf, dann kann eine Demokratie gar nicht funktionieren.

Claudia Paganini

Dozentin Medienethik

Es spielt dabei keine große Rolle mehr, ob ich selbst Gewalt ausübe, Gewalt durch meine Äußerungen befördere oder einfach nichts dagegen unternehme. Es ist immer dieselbe Logik. Man macht Menschen dadurch mundtot, dass man ihnen das Leben unbequem macht, dass man ihnen Angst macht, dass man sie verletzt. Das ist eine Dynamik, die in einer Demokratie nicht zu akzeptieren ist.

Kann man einen Zeitpunkt X ausmachen, an dem die Stimmung gegenüber Klimaaktivist:innen gekippt ist? Es ist durchaus auffällig, dass der Ton im Netz, aber auch auf der Straße bei Protestaktionen derzeit so rau ist. So war das nicht immer.

Paganini: Was man im Netz beobachten kann ist, dass der Hass einfach zugenommen hat. Die Aggression entlädt sich inzwischen weniger zufällig, sondern systematisch, etwa im Zusammenhang mit der Letzten Generation. Das hat schon bei Fridays For Future angefangen, war aber noch nicht so extrem. Insgesamt glaube ich, dass die Letzte Generation jetzt eine Bewegung ist, die man noch schwerer ignorieren kann, die man vor allem schwerer assimilieren kann. Eine Gesellschaft versucht, Kritik so lange wie möglich zu assimilieren, um nichts verändern zu müssen. Da war Fridays For Future am Anfang natürlich eine Störung. Aber dann haben Politiker:innen angefangen, die Fridays zum Kaffeetrinken einzuladen. Damit waren sie auf einmal die lieben engagierten Kinder und das Störungspotential war nicht mehr gegeben. Jetzt sehe ich das Hauptproblem darin, dass die Letzte Generation sich so positioniert, dass sie sich nicht assimilieren lässt. Das bringt es mit sich, dass Menschen sich positionieren müssen.

Eine Gesellschaft versucht, Kritik so lange wie möglich zu assimilieren, um nichts verändern zu müssen.

Claudia Paganini

Dozentin Medienethik

Wo kommt der Hass her? Der ist ja nicht einfach so da oder etwa doch?

Paganini: Es ist medienpsychologisch gut erforscht, woher solche Hassphänomene kommen. Es hat ganz viel mit Ressourcenunsicherheit zu tun, dass Menschen sich in Krisen, in Umbruchsituationen ihrer eigenen Ressourcen nicht sicher sind. Häufig reagieren sie dann mit Hass. Auch der eigene Charakter spielt eine Rolle. Wenn jemand eher zum Depressiven neigt, dann wird er oder sie eher zum Burnout tendieren. Wenn aber eine:r mehr der aggressive Typ ist, dann äußert sich Unsicherheit stärker nach außen, etwa im Hass.

Es liegt aber auch daran, dass wir insgesamt in der Bevölkerung nicht genug Medienkompetenz haben. Viele Menschen verstehen nicht, dass das, was sie auf Social Media sehen, nur eine Inszenierung ist. Empirische Studien haben gezeigt, dass Menschen durch das ständige Vergleichen im Netz immer mehr Aggressionen aufbauen.

Man weiß auch, dass im Netz wesentlich weniger Empathie da ist. Der Schritt, jemanden online zu verletzen, zu beleidigen, ist ein kleinerer. Wenn man aber einmal diese Hemmschwelle überwunden hat, dann ist der Folgeschritt, den bis jetzt schriftlich ausgelebten Hass auch auf der Straße umzusetzen, nur mehr ein kleiner.

Welche Auslöser sind das? Was triggert dieses Verhalten?

Paganini: Überforderung, Frustration, unzureichende Informationen – die dazu führen, dass man Schuldzuweisungen falsch trifft. Wer einseitig informiert ist, sagt nicht, “die Politik handelt zu langsam”, sondern richtet seine Aggression gegen die Überbringer der Botschaft.

 

Was heißt das konkret für das Hier und Jetzt? Womit sind wir gerade überfordert, wovon sind wir gerade als Gesellschaft frustriert?

Paganini: Mit ganz vielem, würde ich sagen. Wir haben die Corona-Krise noch nicht ganz verarbeitet. Wir haben den Krieg in der Ukraine, wir haben Wirtschaftsprobleme. Wir leben außerdem in einer Zeit des medialen Umbruchs, neue Medien werden zu Massenmedien. In der Regel reagieren Menschen in solchen Situationen mit Verhaltensunsicherheiten.

Vincent Schäfer

Wie erleben Sie das, Herr Schäfer?

Schäfer: Die Aktionsphasen der Letzten Generation laufen seit Januar letzten Jahres. Sie dauern also seit 16-17 Monaten an. Von Anfang an hat man eigentlich gemerkt, dass Politiker:innen von “Terroristen” gesprochen haben. Wir wurden also in einen Topf geworfen mit Spinnern, Chaoten, ja mit Menschen, die die öffentliche Ordnung bedrohen, die irgendwie etwas umstürzen wollen. Das hat eine Dynamik gewonnen, dass sich jetzt der:die einzelne Autofahrer:in dazu berechtigt fühlt, Gewalt anzuwenden, weil er:sie denkt, “Ich stehe einem Terroristen gegenüber, ich darf das.” Das war am Anfang noch harmlos, ändert sich aber von Tag zu Tag. Die Autofahrer:innen werden immer übergriffiger, immer gewaltsamer.