01. Februar 2022: Die Bürger*innen Initiative Lieferkettengesetz ist ein unabhängiger loser Zusammenschluss von Personen, die sich für ein Lieferkettengesetz in Österreich und in der EU einsetzen. Ich habe mit Veronika Bohrn Mena, Sprecherin der Initiative, Arbeitsmarktexpertin und Bestseller-Autorin darüber gesprochen, warum es in Österreich ein Lieferkettengesetz braucht und was das mit einer gerechten Gesellschaft zu tun hat.

Veronika, was ist denn eigentlich das Problem mit den Lieferketten?
Aktuell läuft es so, dass Konzerne dort produzieren, wo es besonders billig ist, also im globalen Süden, und dort verkaufen, wo es besonders teuer ist, also bei uns. Warum? Weil im globalen Süden die Rechte ganz andere sind als hier: Es gibt weniger Arbeitnehmer*innenrechte und weniger Umweltauflagen. Derzeit haften die Konzerne nicht, wenn sie zum Beispiel das Wasser vergiften oder Kinderarbeit einsetzen. Genau dafür braucht es ein Gesetz, damit Konzerne auch dort sanktioniert werden, wo sie ihr Geld machen.

Aber warum handeln Konzerne auf Kosten von Mensch und Umwelt?
Konzerne sind gewinnorientiert. Bei Aktiengesellschaften gibt es sogar Gesetze, die besagen, dass der Vorstand immer im Interesse der Gesellschafter*innen handeln muss und das heißt, dort produzieren, wo es am lukrativsten, also am billigsten ist. Das ist eben in den Ländern, in denen es keine Umweltauflagen und keine Arbeitsstandards gibt.

Kennzeichen einer zivilisierten Gesellschaft sind aber bestimmte Spielregeln im Interesse der Mehrheit und genau die halten die Konzerne nicht ein.

Wir als Gesellschaft geben uns ja auch Regeln, die dann von Polizei und Rechtsstaat reguliert werden. Im Straßenverkehr wird auch nicht gesagt, es fahren alle freiwillig 30 km/h, sondern es gibt Beschränkungen, damit es zum Beispiel nicht zu Unfällen kommt. Wenn diese Beschränkungen nicht eingehalten werden, kommt es zu Sanktionen. Genau das braucht es für Konzerne.

Das hört sich ziemlich ungerecht an.

Ja genau. Ein Lieferkettengesetz heißt einfach gleiches Recht für alle – auch für international agierende Konzerne. Es geht einfach darum, dass die Standards, die in Europa selbstverständlich sind, entlang der gesamten Lieferkette gelten und dazu gehören eben Dinge, wie das Grundwasser nicht mit Chemie zu vergiften. Schließlich werden die Produkte auch bei uns verkauft. 

Konzerne nutzen viele Regulierungen und rechtliche Schachtelkonstruktionen, um sich an nichts halten zu müssen. Das ist einfach nicht gerecht.

Nehmen wir eine österreichische Schneiderin, die eine eigene Kollektion herstellt und dabei auf faire Arbeitsbedingungen und Umweltstandards bei den Stoffen achtet: Der Preisunterschied ist so enorm, dass lokale Unternehmen im Wettbewerb nicht bestehen können. Wenn man also Breite und Vielfalt möchte, muss man als Erstes die gleichen Voraussetzungen schaffen.

Das ist die wirtschaftliche Seite – gibt es sonst noch Ungerechtigkeiten, die sich durch ein Lieferkettengesetz regulieren ließen?

Es sind nur 100 Konzerne, die 70 % aller Treibhausgasemissionen verursachen und das völlig ungehindert. Wir haben also auch in Sachen Klima- und Umweltschutz einen riesigen Hebel mit einem Lieferkettengesetz.

Außerdem würde ein Lieferkettengesetz bedeuten, dass Ikea, kein illegal gerodetes Holz mehr verbauen oder Iglo keine Fische aus Schutzzonen mehr verarbeiten dürfte, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Welche Seite des Lieferkettengesetzes liegt dir persönlich besonders am Herzen?

Prekäre Arbeitsbedingungen waren nicht nur die letzten zehn Jahre schon mein Thema, sondern sind auch beim Lieferkettengesetz das wichtigste für mich. Ich finde es am furchtbarsten zu sehen, wenn Menschen zum Beispiel mit Chemie arbeiten müssen, Hautkrankheiten bekommen oder sogar an Krebs sterben. Wenn sie mehr als 16 Stunden am Tag arbeiten und das unter unwürdigen Bedingungen. Auch Menschenhandel oder Kinderarbeit – all das darf im 21. Jahrhundert nicht akzeptiert werden. Unser gesamtes Wirtschaftsmodell baut darauf auf, dass wir andere ausbeuten. Nur deshalb leben wir im Überfluss. Ich kann und will mich damit nicht abfinden.

Ein Lieferkettengesetz klingt nicht nur absolut notwendig, sondern auch absolut mehrheitsfähig. Warum gibt es dann noch keins – weder in der EU noch in Österreich?

Das Europäische Parlament hätte schon im Mai ein Gesetz vorlegen müssen. Allerdings hat das Kontrollgremium den Entwurf zweimal abgelehnt. Jetzt ist es auf März nächsten Jahres verschoben. Die EU lässt auf sich warten, also müssen wir auf nationalstaatlicher Ebene Druck machen.

Österreich braucht bei vielen gesellschaftspolitische Dingen länger. Wir sind hier relativ rückschrittig, gerade im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden.
Außerdem versuchen die Industrieverbände in Österreich das Gesetz zu verhindern und die Lobbys sind sehr stark.

Dabei ist ein Lieferkettengesetz absolut mehrheitsfähig: Würde man auf der Straße fragen, ob jemand Schokolade essen möchte, die mit Kinderarbeit hergestellt wurde, wäre niemand dafür. Deswegen ist es so wichtig, das Thema in die Gesellschaft zu bringen.

Was kann denn jede*r einzelne von uns tun, um das Lieferkettengesetz zu unterstützen?

Als Konsument*in kann ich Transparenz einfordern und beim Einkaufen nachfragen: Woher kommt das Fleisch? Woher die Eier? Aus welchem Material besteht das Shirt?

Gleichzeitig kann man den Konsum von Produkten aus anderen Kontinenten reduzieren. Trotzdem kann man sich die Welt nicht glücklich kaufen. Auch nicht mit Bio Bananen.

Deswegen sind wir als mündige Bürger*innen, nicht als Konsument*innen gefragt. Das heißt, insbesondere im eigenen Umwelt über das Thema sprechen und so Bewusstsein schaffen. Es macht einen riesigen Unterschied, ob man vom eigenen Wirkungskreis oder von Außen beeinflusst wird. Dem eigenen Umfeld höre ich 100 Mal eher zu.

Wenn man sich bei uns engagieren will, kann man sich jederzeit bei uns melden, die Initiative auf Social Media unterstützen, Beiträge teilen, Flyer oder Sticker bestellen oder Veranstaltungen in den Bundesländern organisieren. Alles, was Aufmerksamkeit und Bewusstsein schafft, hilft.

Trotzdem muss am Ende die Politik agieren. Es kann nicht sein, dass Konzerne die Verantwortung auf Bürger*innen und Konsument*innen abwälzen.