Laufen ist ein „sauberer“ Sport. Freilich nur, solange man nicht darüber nachdenkt, was alles in Laufschuhen drinsteckt. Wieviel Nachhaltigkeit in Sportschuhen wirklich steckt, hat Tom Rottenberg für uns herausgefunden.
Der junge Mann vom großen Label strahlte mich an – und zog den Schuh aus. Dann streckte er mir den Schlapfen so euphorisch entgegen, als sei er eine nebenwirkungsfreie und für alle sofort verfügbare Schluckimpfung gegen Corona. Aber es ging um etwas Anderes: „Schau, voll Öko!“ strahlte der junge Mann vom großen Label – und ich strahlte mit. Schließlich saßen wir vor einer Kamera und plauderten übers Laufen. Das ist nämlich nicht bloß meine Passion, sondern auch meine Profession: Ich rede und schreibe übers Laufen – und alles, was dazugehört. Also auch Schuhe.
Laufen ist gesund. Es findet meist im Freien statt. Nah an der Natur. Wer läuft, lernt auch, was „Umwelt“ ist. Da reichen Kleinigkeiten: Den Unterschied zwischen der abgasgeschwängerten Luft, wo Stadt immer noch lediglich als Autoverkehrsraum gedacht wird und der Luft 20 Meter weiter im Park erkennt die Lunge blind. Laufen an Flüssen, im Wald, auf Wiesen oder im Bergland: Ein Fest! Und das Beste: Wer läuft, sündigt nicht. Klimatechnisch.
Blöderweise stimmt das nicht. Schließlich rennt kaum wer nackt. Geschweige denn barfuß. Und zu dem, was sich in den Zwischen- und Untersohlen von Laufschuhen an Chemie, an Kleb- und Kunststoffen versteckt, sagen Hersteller-PR-Leute offiziell meist lieber nix. Im „Off“ räumen sie oft ein, dass „uns die Chemiker nicht sagen, was drin ist. Das heißt: Es ist böse.“ Auch obenrum sind Laufschuhe aus Plastik. Obwohl die Produktmanager da 200 unterschiedliche Materialien aufzählen. Aber wir wissen: Plastik hält „ewig“.
Menschen wie ich verbrauchen pro Jahr locker fünf Paar Laufschuhe: Wir trampeln so viele Kilometer, dass die Dämpfung, die Führung die Stütze – kurz: alles was einen Laufschuh ausmacht und was der Grund für den ausgefuchsten Kunststoffmix ist – „totgetreten“ sind. Und dann?
Klar: Zum „garteln“ reicht es dann noch. Nicht ganz verbrauchte Schuhe finden auch in Flüchtlingsunterkünften und Heimen neue zufriedene Besitzer*innen. Aber Lösung? Nein, Lösung ist das keine. Das weiß ich. Das wissen Sie – und das wissen auch die Hersteller.
Deshalb war der junge Mann vom großen Label stolz, als er mir seinen Schuh entgegenhielt: Der, sagte er, habe nach seiner Karriere als Laufschuh noch ein zweites Leben: Aus dem könne man zu Sport-T-Shirts und -Hosen (die sind ja auch aus speziellen Kunststoffen) machen. Aus der Sohle Skischuhe. Und damit der Schuh dafür nicht um die halbe Welt gekarrt wird, läge es die für Herstellung, Zerlegung und Wiederverwertung nötige Infrastruktur in Europa. „Voll öko“, also.
Natürlich hätte ich jetzt böse bohren können: Ob ein Modell aus einer dreistelligen Produktpalette da mehr als ein Feigenblatt sei. Ob ausgerechnet Skischuhe ein gutes zweites Leben seien (Ich liebe Skifahren, aber es gibt wenige noch mehr Ressourcen vernichtende Breitensportarten.) Ob das Problem nicht bei der Herstellung der Schuhe begänne – und man nicht schon dafür Recyclingmaterial … und so weiter.
Aber ich sagte nichts. Weil es da um Signale geht. Und weil ich weiß, wie schwer sich „die Industrie“ tut. Bleiben wir etwa bei Schuhen aus Recyclingmaterial. Ginge es um Flipflops oder Lifestyle-Sneaker wäre die Sache (relativ) einfach:
Man kauft aus dem Meer „geernteten“ Plastikmüll, macht daraus Granulat und daraus Schlapfen.
Das passiert ja auch. Ich habe sogar solche Schuhe. Von mehreren Herstellern. Das Problem: Zum Laufen taugen die meisten nicht wirklich. Denn Laufschuhsohlen – ihre Dämpfung, Federung, Stütze und dergleichen – sind Hightech-Produkte. Sie müssen verlässliche Qualitäten haben. Von Modell zu Modell unterschiedlich, aber für einen spezifischen Schuh doch immer gleich.
Das bedeutet, dass der Materialmix der einzelnen Teile exakt und präzise passen muss. Nur: Wissen Sie, wie viele unterschiedliche PET-Flaschen-Sorten auf Halden lagern und im Meer treiben? Wie divers „Plastik“ ist? Bingo: Wenn das Sohlenmaterial unterschiedliche aber jeweils zertifizierte und normierbare Eigenschaften haben soll, liegt das an minimalen Änderungen der „Plastik“-Rezeptur. Kenne ich aber die Rezeptur der Basisstoffe nicht ganz genau, wird es da rasch aufwändig und kompliziert. Machbar? Ja klar: Machbar ist alles. Aber sinnvoll? Und: Finanzierbar?
Freilich: Beim Obermaterial gilt diese Ausrede nur beschränkt. Da lässt sich viel altes leichter mit wenig „neuem“ Plastik kombinieren. Darum tut sich da mehr. 60, manchmal auch 80 Prozent Recyclingmaterial sind da mittlerweile mitunter möglich. Aber „untenrum“ ist es noch ein weiter Weg.
Vor gut fünf Jahren saß ich mit dem CEO einer (vergleichsweise) kleinen Laufschuhmarke zusammen. Der Mann erzählte: Gemeinsam mit zwei Mitbewerbern (allein das ist erwähnenswert) forsche man: Was ist möglich? Ab welchen PET-Tonnagen und bei welchem Mix aus verschiedenen Quellen „verspielen“ sich Materialunterschiede? Wie nachhaltig können „Ernte“, Transport, Reinigung, Graduierung, Neu-Vermischung und Verarbeitung sein – und wie sieht das in Relation zur „klassischen“ Plastikkocherei aus? Aber vor allem: Wie weit begleiten Konsument*Innen diesen Weg?
Wir fragen ab, um wieviel mehr die Leute für ein ‚sauberes‘ Produkt zahlen würden.
Und? Offiziell habe man mit den Kooperationspartnern Stillschweigen vereinbart. Inoffiziell? „Ein Trauerspiel. Aber wir denken weiter nach: Auch wir haben Kinder. Uns nicht wurscht, was mit dem Planeten passiert.“ Die „Großen“ machten damals keinen Mucks, schauten aber natürlich sehr genau, woran die Kleinen tüftelten.
Mittlerweile ist das anders. Das Thema ist angekommen: Nachhaltigkeit ist auf jeder Sportmesse zentrales Thema. Fast jeder Hersteller implementiert irgendwo ein bisserl Nachhaltigkeit: Schuhrückgabe-und-Tauschprogramme (quasi „Abos“) bei denen Schuhe teilrecycelt und/oder aufbereitet wiederverwendet werden, sollen den Laufschuhmüllberg verkleinern. Allein der Verzicht auf das (für Konsument*innen ohnehin nur lästige) „Stopfpapier“ durch eine Traillauf-Marke spart jährlich eine angeblich dreistellige Tonnen-Zahl Verpackungsmaterial ein.
Und wenn Laufschuhe „mithelfen“, dass weniger Plastik eigens für Skischuhschalen produziert wird, ist das ja auch nicht nix.
Natürlich hätte ich dem jungen Mann vom großen Label all das entgegen können, als er mir seinen Schuh als „Schau, voll Öko“ zeigte.
Aber wozu? Er ist ja nicht blöd. Weiß all das selbst. Auch, dass alles langsam, sehr langsam geht. Und er weiß noch etwas: So erreichen er und ich vielleicht auch Leute, die noch nie über Nachhaltigkeit bei Sportartikeln nachgedacht haben.
Denn: Was wäre die Alternative? Auf alles pfeifen und weitermachen als wäre nix? Geht irgendwie auch nicht.
Bliebe Plan C: Nicht mehr laufen. Keinen Sport, keine Bewegung mehr machen.
Aber seien Sie mir nicht böse: Diese „Lösung“ ist keine – und das nicht nur, weil ich für mein Leben gerne laufe.
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