Packt dich in Sachen Klimakrise auch manchmal das schlechte Gewissen? Schon wieder mit dem Auto gefahren oder Fleisch gegessen? Der Weg zur Lösung der Klimakrise ist aber keiner, der über ein schlechtes Gewissen verlaufen kann. Leo Zirwes erklärt, warum es nicht darum geht, dass alle Perfektionist*innen im Klimaschutz werden.

Ich habe ein schlechtes Gewissen. Wer diesen Satz hört, ist auf der Hut, von wem er kommt spielt da keine große Rolle. Man ist gefasst. Kommt jetzt gleich ein “Ich hatte eine Affäre” oder nur ein lapidares “Ich habe die letzte Tafel Schokolade aufgegessen”?

Was uns plagt

Wen das Gewissen plagt, der trägt etwas mit sich herum. Vielleicht hat es damit begonnen, dass man eine Vorahnung hat, dass man ein Unwohlsein verspürt. Dann kommt die Einsicht: Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe mich nicht so verhalten, wie ich es hätte tun sollen. Und jetzt, da tut es mir leid. Wie gehe ich jetzt damit um?

Solche Situationen bauen Widerstände und Vorbehalte auf. Es ist ja ganz natürlich, dass man an diesem unangenehmen Gefühl vorbeisteuert und sein Aufkommen verhindern will. Das mag schon im Alltag nach einer, sagen wir, fragwürdigen Vorgehensweise klingen. Wenn es aber um das Klima geht, ist genau dieser Prozess weit verbreitet. Im gleichen Zug ist er aber auch eines der Hindernisse, die es auf dem Weg zu funktionalem Klimaschutz zu überwinden gilt. Das gilt zum einen für Einzelpersonen, aber genauso auch für den politischen Diskurs.

Wer sich in Schuldzuweisungen übt, der baut Ressentiments auf. Auf diesem Fundament, in weiterer Folge Antworten für ein Problem zu suchen, das nur gemeinsam gelöst werden kann, ist ein Vorhaben, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Gemeinsam agieren funktioniert nur, wenn zwischen uns keine Barrieren bestehen.

Vergangenes loslassen

Statt uns darauf zu konzentrieren, was wir früher einmal alles falsch gemacht haben, oder jedenfalls nicht so, wie wir es heute tun würden oder sollten, wäre es viel zielführender, uns anzusehen, was wir jetzt verändern können. Das soll freilich nicht heißen, dass früheres Handeln irrelevant ist, sondern nur, dass uns ein Versteifen auf dieses eher bremst, als das es uns voranbringt. Wer alte Verhaltensmuster aufbrechen will, der wird oft von der Scham des Vergangenen aufgehalten. Die muss überwunden werden und das geht nunmal einfacher, wenn man die Dinge nicht wertet. Der Weg zur Lösung der Klimakrise ist keiner, der über ein schlechtes Gewissen, über negative Emotionen verlaufen kann. Die wissenschaftliche Begründung dafür liefert uns die Psychologie. Klimafreundliches Verhalten wird nicht durch Appelle an das schlechte Gewissen angestoßen, sondern durch das Nutzen von positiven Emotionen. Das sollte man viel mehr in den Fokus rücken – und wird es auch vielerorts schon. Wer im medialen Kampf um das Klima bestand haben will, der sollte auf negative Assoziationen verzichten und stattdessen alle angenehmen Emotionen rund um das Thema verstärken. Dann können Veränderung und Klimakommunikation auch gelingen.

Warum wir Bewusstheit brauchen

Was war, das war eben. Man muss sich dessen bewusst werden. Es geht darum, sich nicht davon lähmen zu lassen, was passiert ist, sondern sich darauf zu konzentrieren, welche Möglichkeiten man an der Hand hat, um sein Leben klimafreundlicher zu gestalten. Kann ich meinen Konsum tierischer Produkte senken oder vielleicht ganz streichen? Brauche ich mein Auto, oder reicht es, wenn ich auf Carsharing Angebote oder auf die Öffis zurückgreife? Natürlich kann das in der Realität deutlich weniger klischeebehaftet klingen. Es sollte sich vielmehr auf die Lebensbereiche erstrecken, in denen es einem leicht fällt, sich in Verzicht zu üben.

Eine gute Hilfestellung bieten hier ein CO2-Fußabdruckrechner. So kann man schnell und einfach herausfinden, welche Entscheidung wie viel CO2 einspart. Das hilft, um einschätzen zu können, wo es wirklich wichtig ist, etwas zu verändern. Oder wo man sich Genuss guten Gewissens erlauben kann.

Das schlechte Gewissen hat sich in der Evolutionsgeschichte bisher aber auch verdient gemacht. Sonst hätten wir diese Funktion nicht behalten. Über Jahrtausende hinweg steckte hinter dem schlechten Gewissen die Angst aus der Gruppe ausgestoßen zu werden. Genau diese war aber überlebenswichtig. Das Gefühl mag dem ein oder anderen aus der Werbebranche bekannt vorkommen. Oft sind es genau die Produkte, die besonders klimaschädlich sind, die mit einer solchen Kommunikationsstrategie beworben werden. Der noch größere SUV, x-te Binnenflugreise, weil man damit ja dazugehört.

Gruppendynamiken machen es oft schwer unvoreingenommen zu entscheiden, aber doch gilt es sie zu überwinden und sich ihrem Vorhandensein bewusst zu werden. Denn wenn wir wissen, dass es sie gibt und sie uns beeinflussen, dann können wir auch klar erkennen, wann und wo sie auf uns einwirken. Das Zauberwort hier heißt Bewusstsein. Nur wenn ich bewusst durch das Leben gehe, kann ich die Dinge vollständig wahrnehmen. Nur dann kann ich sie umfassend erkennen.

Wo sind meine Grenzen?

Wo die Grenzen des eigenen, klimafreundlichen Handelns sind, dort muss man auf staatlicher Seite ansetzen. Die beiden Aspekte können und müssen einander ergänzen. Folgt man dem Träger des 2018 verliehenen Wirtschaftsnobelpreises William Nordhaus, so bietet eine CO2-Steuer bei verhältnismäßig geringen Kosten die Möglichkeit, einige der gefährlichsten Auswirkungen der Klimakrise realistisch reduzieren. Das ist nur eines von vielen Beispielen, die in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen bereits ausgearbeitet wurden und von staatlicher Seite her umgesetzt werden könnten.
Es braucht hier ein differenziertes Wahrnehmen davon, wer was zu tun hat. Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern immer um ein Miteinander. Um das Zusammenspiel vieler Faktoren und das Zusammenhalten von vielen Händen.

Perfektion ist eine Illusion

Sich auf seinen eigenen Wirkungskreis zu konzentrieren macht Sinn. Ein reiner Fokus auf diesen Bereich kann aber auch viele Menschen ausbremsen. Wer die Botschaft vermittelt, dass man sich erst vom schlechten Gewissen lossagen kann oder darf, wenn man Perfektion erlangt, der wird nicht viele Menschen für den Klimaschutz begeistern können.
Die Einzelperson und das System müssen sich ergänzen. Es geht nicht darum, dass alle Perfektionisten im Klimaschutz werden, sondern dass alle dieses Ziel anpeilen. Dann schafft man auch den Verzicht, der möglich ist. Setzt man sich ein niedrigeres Ziel, wird man aber wohl oder übel hinter dem Möglichen zurückbleiben.

Statt einzelne klimaschädliche Handlungen zu tabuisieren, muss es darum gehen, Alternativen zu schaffen, so dass die ursprünglichen schädlichen Handlungen nicht mehr notwendig sind. Wo der einzelne versagt, da sind die Vielen gefragt. Und das gehört zu guter Letzt nicht nur gedacht, sondern auch ausgesprochen und gemacht.