Mein Nachbar hat sich von seinem SUV getrennt. Schließlich leben wir in „Bobostan“. Da braucht man mittlerweile größere Kaliber.  

Oida, war das geil! Bitte verzeihen Sie, wenn ich mit einem Quasi-Kraftausdruck beginne. Aber ich kann nicht anders. Schuld ist mein Nachbar. Der hat ein neues Auto. Er hat mich gerade nicht nur mitgenommen, sondern auch fahren lassen. Wie soll ich sagen: Es war einfach geil. Der Hammer.

Aber der Reihe nach: Ich bin kein Autofahrer. Das hat sich so ergeben. In meinem Leben ist ein eigener PKW das Gegenteil von nötig. Ich wohne im dichtverbauten Stadtgebiet, habe mehrere Supermärkte und den Naschmarkt in Gehdistanz, habe weder Kinder noch Haustiere, die nicht mit Öffis oder (Lasten-)Rad transportabel wären. Was ich beruflich transportieren muss, passt locker in einen City-Rucksack.

Kein Auto zu haben, ist in meiner Lebenswirklichkeit eine Vernunftentscheidung.

Diese Rechnung kriege ich hin: Taxi, Mietwagen und Carsharing wären über Jahre billiger als ein eigenes Auto – ohne Öko- oder Ideologiediskussion. In meinem urbanen Leben, wohlgemerkt.

Allerdings hat dieser ratiogesteuerter Nichtautobesitz emotionale, psychische Folgen: Autos sind mir heute egal. Sie sind Werkzeuge. Solange die Bremsen funktionieren, ist mir egal, was vorne draufsteht. Trotzdem verstehe ich, dass es für Autobesitzer oft unvorstellbar ist, sich mit weniger als 1,5 Tonnen Blech zu umgeben, um 75 Kilo Mensch drei Kilometer zu befördern. Auch das ist Psychologie: Man hat unheimlich viel Geld hingelegt – und zahlt laufend.  Diese Kosten muss man vor sich selbst rechtfertigen. Der Gedanke an günstigere Alternativen stellt dann jahrzehntelanges Verhalten zumindest in Frage. Oops!

(Ok, hier wird eine Ideologiedebatte draus.)

Aber kommen wir zu meinen Nachbarn. Er, ein supernetter Typ. Blitzgescheit. Erfolgreich. Geschäftsmann. Er und seine ebenso nette und schlaue Frau haben zwei Kinder, einen Hund und einen Bauernhof. Tief im Wald. Nur über einen Feldweg erreichbar. Gut, dass sie einen SUV haben. Der Schönheitsfehler: Den schicken Oberklasse-Geländewagen hatten sie vor dem Landhaus. Etwa um die Kinder in die Schule zu bringen. Dazu würde zwar auch der kleine Zweitwagen neben dem Großen in der Garage reichen, aber der SUV „ist sicherer und beim Kinderverladen bequemer.“

Aufs Land, in den Wald, fährt ein Konvoi: SUV und Kleinwagen. Beide Wägen sind bis zum Dach voll beladen: Zwei kleine Kinder, ein großer Hund, zwei Fahrräder, Gepäck … Da kommt was zusammen.

Und war es nicht verwunderlich, dass vor ein paar Wochen der SUV plötzlich nicht mehr in der Garage stand. Der Kleinwagen auch nicht. Dort wo bisher zwei Autos gut Platz fanden, stand ein Panzer. Sogar die Kinderfahrräder mussten in den Keller. Denn der Pickup, den sich mein Nachbar da („eh gebraucht!“) gekauft hatte, braucht den ganzen Platz – der Kleinwagen parkt seither im (eigentlich autofreien) Innenhof.

Mit dem Geländewagen zur Schule

Das Rein- und Rausfahren mit dem Panzer ist ein Schauspiel. Millimeter- und Präzisionsarbeit. Durch die Einfahrt passt der Wagen nur, wenn die Reifen einer Seite auf dem kleinen, gehsteigartigen Randstein halb aufliegen: „Mit diesen Reifen kein Problem, die sind dafür gemacht. Wennst das mit einem Kleinen machst …“ – Äh, Mittelklassewagen kommen hier problemlos durch. „Miesmacher!“ Der Panzer, erfahre ich, hat nur Vorteile: Zwei Sitzreihen etwa. „Da passen Familie und Hund gut rein“. Und auf die fußballfeldgroße Ladefläche (die zwei Tage später eine bis zum Dach reichende Überdachung hat) noch Fahrräder, Vorräte, Gepäck. Mein Nachbar ist glücklich: „Voll vorsteuerabzugsfähig.“ Ich erwähne das C-Wort: CO2? „Das wird der Grüntaliban nicht gefallen:  Wir hauen weniger raus als vorher. Um 50 Gramm weniger als früher. Weil da sind wir mit beiden Autos gefahren.“ Ich beiße mir auf die Zunge. „Aber weil du es bist: Die Kinder bringen wir ab sofort mit dem Kleinen in die Schule. Zufrieden?“

Am nächsten Morgen holt das Gezeter der tobenden Kids alle Nachbarn an die Hoffenster: „Ihr seid voll gemein! Wieso nicht mit dem coolen Pickup? Der Mini ist voll scheiße.“ Sitzstreik. Irgendwie bekamen sie die Kinder doch noch in den Kleinwagen – aber am nächsten Tag saßen sie so rasch und starr im Panzer, dass die Eltern aufgaben: Zur Schule geht es seither per Pickup. Die Schulfreunde sind jetzt neidig. Wollen auch.

Ich schicke meinem Nachbarn Fotos aus Bürgerkriegsregionen: Ob nicht eine Schnellfeuerkanone … oder ein Geschützturm… Er lacht. „Coole Idee“. Stattdessen kauft er ein Winde. „Damit ziehe ich mich jeden Hang rauf.“ Alter, du wohnst in Wien! Heart of Bobostan! „Aber auch am Land! Ich zeig es dir.“

Ausflug in die Wildnis

Wir fuhren los. Ich sah auf popelige Mittelklassewägen herunter und herab. Auch auf normale SUVs. Und dann, am Land, ging es zu einem Sand-, Schotter- und Erd-Abbauplatz: „So, jetzt fährst du.“ Ich zögerte. „Los, trau dich!“ Ich war zuerst zögerlich, gewann aber rasch Mut: Das Ding ist echt ein Panzer. Schlamm, Wasserlacken und -läufe, Sandhügel, Böschungen? Das macht Spaß! Richtig Spaß. Im Kriechgang Steigungen rauf oder runter, die ich zu Fuß kaum geschafft hätte. Schrägfahrend und immer wieder wegrutschend über Kies und lose Erdhänge. Über kleine und große Steine, Blöcke und Baumstämme. Und dann, zum Schluss, noch mit der Winde einen gefühlt senkrechten Hang rauf. Oida!!

Ich bin schweißüberströmt. Mein Herz hämmert. Ich strahle, lache, fluche, gröle. Mein Nachbar neben mir: Grölt und flucht mit, gibt mir kleine Tipps und große Anweisungen – und lacht: „Verstehst du jetzt?“

Nach zwei Stunden Wahnsinn sitzen wir vor seinem Haus im Wald und schauen in die Ferne. „Außerdem brauch ich den Wagen: So gatschig wie es heute ist, wären wir mit einem anderen Wagen nicht raufgekommen.“ Ich nicke: das hat was. Just in dem Augenblick knattert ein kleiner, klappriger Wagen den schlammigen Güterweg rauf. Einer der Bauern der Umgebung will nur „Hallo“ sagen – und den Pickup bewundern. „Stoak! Den hätt i a gean.“

Ich gehe zu seinem Wagen: Ein Fiat-Irgendwas. Gut 15 Jahre alt. Vorderradantrieb, soweit ich sehe. „Hat der keinen Allrad?“ Er lacht: „Aba geh, wozu?“ Ich zeige auf den Pickup. Auf die Winde. Er lache lauter. „Jo, waunst moanst, doss’d sowas brauchst. Oba I kim jo a ned aus Wean – mia am Laund kennan hoid autofoan“

Auf der Heimfahrt ist mein Nachbar schweigsam – ich werde ihn lieber erst in ein paar Tagen fragen, wann wir wieder Pickup-Fahren gehen.

Weil: das hat richtig Spaß gemacht. Ich will es wieder tun.

Aber das sage ich lieber nicht laut.