Natürlich verstehe ich es, wenn man sagt, dass wir tunlichst drin bleiben sollten. Weil man drinnen, also daheim, niemanden trifft. Niemandem in die Quere kommt. Nicht angesteckt werden kann – und auch niemanden anstecken kann. Klar. Nachvollziehbar. Und auch verständlich.

Wobei es da eben doch auch ein „Aber“ gibt. Kein epidemiologisches – aber eben ein sozial- und psychohygienisches „Aber“. Weil Menschen vom Drinnensein, vom Alleinsein, auch krank werden. Nicht können: Werden.
Deshalb gibt es ja diese Regelung, dass Rausgehen, Spazierengehen und Bewegung erlaubt sind. Und zwar in den ohnehin bekannten „Dosierungen“. Schließlich ist auch jetzt, was die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, empfiehlt: 150 Minuten Bewegung, tunlichst an der frischen Luft. Das ist das Minimalprogramm. Mehr schadet nicht.
Wer sich die Corona-Verordnungen anschaut, wird darin keinen Widerspruch dazu darin finden. Wie gesagt: Wenn man die Abstand- und Mit-wem-darf-ich-Regeln einhält. Und wenn nicht regional schärfere Bestimmungen, „echte“ Ausgangssperren oder Vollquarantäne, angeordnet sind. Mit Gründen.

Das Problem ist – wie immer – die Dosierung: Wenn das Wetter auf „Frühling“ schaltet, und alles zur gleichen Zeit an die gleichen Orte strömt, wird es irgendwann eng. Zu eng. Und dann reagiert der Staat. Muss reagieren. Und sperrt alle ein. So weit so trist – und vermutlich alternativlos.
Aber eigentlich wollte ich hier heute etwas anderes erzählen: Keine „Es ist so schlimm“-Geschichte, sondern ein „Wir geben nicht auf“-Gleichnis.
Dem bin ich – im Wortsinn – über den Weg gelaufen. Mitten in Wien, an einem ganz normalen Nachmittag. Und unter Wahrung aller Sicherheitsabstände. (Weil das nämlich geht. Wenn man ein bisserl mitdenkt.)

Es war am Donaukanal. Knapp vor der Rotundenbrücke. Der Treppelweg ist dort breit. Ein „Treppelplatz“ quasi. Die Mauer hinauf zur Straße plan und senkrecht: Eine tolle, beliebte Graffitileinwand. Doch es waren nicht neue Graffitis, die mir ins Auge stachen, sondern ein junger Mann. Eigentlich hörte ich ja zuerst das Geräusch: „plopp – tack – tack – plopp – tack – tack“. Immer wieder. Schön rhythmisch.
Das „Plopp“ kam von dem jungen Mann. Genauer von seinem Tennisschläger. Die beiden „Tacks“ dann vom Ball – einmal, wenn er gegen die Wand prallte, einmal wenn er am Boden aufschlug: „plopp – tack – tack“.

Ich blieb (mit Sicherheitsabstand!) stehen, Nahm das Handy raus. „Darf ich ein Foto machen?“ Der junge Mann hörte mich nicht einmal. An seiner Stelle antwortete ein Älterer. Den hatte ich übersehen. „Klar – aber er hört dich nicht. Wenn er spielt, ist er voll fokussiert.
Der Ältere sah dem Jungen ähnlich. Vater und Sohn. Aber da war noch etwas: Der Vater beobachtete mit Argusaugen. Kommentierte, rügte, lobte – und gab Anweisungen. Die waren das einzige, was der junge Mann wahr nahm. Und erst jetzt fiel mir auf: Da war ein Tennisplatz auf den Beton gesprayet. Ein halber. Der junge Mann spielte nicht einfach – er trainierte. Mit System, nach Plan und unter Anleitung.
Der Trainer-Vater sah, dass ich eins und eins zusammenzählte. Und traurig wurde. Er schüttelte den Kopf. Lächelte. Gab mir ein Thumbs-Up – und ein Victory-Zeichen: „Schau nach vorne,“ sagten seine Zeichen. „Mach das beste draus“, seine Miene. „Jammern hilft nicht,“ sagte alles an ihm.

Ich verstand: Das hier war für den Vater und den Sohn mehr als ein Spiel-Tennisplatz. Es war der einzige, der letzte Ort, an dem dieser junge Sportler trainieren kann. Weil ja alle Sport- also auch Tennisplätze zu sind.
Der Junge könnte jetzt frustriert daheim sitzen. Mit 1.000 Gründen. Oder das Gegenteil tun: Rausgehen. Lösungen suchen. Lösungen, die ins Regelwerk passen.
Und nicht aufgeben, sondern kämpfen.
Für die Zeit danach. Wann auch immer die kommen wird.
Genau deshalb spielte der junge Mann am Donaukanal nicht nur für sich: Er zeigte Hoffnung. Und Hoffnung ist ansteckend.
Von ihr lasse ich mich gerne infizieren.