Ich war richtig enttäuscht. Denn der Koffer stand dann irgendwann doch mitten im Zimmer. Groß und schwer und blau. Unversehrt. Und genau so, wie ich ihn fünf Tage zuvor eingecheckt und ein paar Stunden später am Lost-Luggage-Schalter beschrieben hatte.

Einzig die rote Banderole am Griff war neu: „Rush“ stand drauf. Irgendwie ein Hohn – schließlich hatte mir auch die freundliche Dame von „Ground Services“, mit der ich längst so etwas wie Telefonfreundschaft geschlossen hatte, gesagt, dass das „eine blöde, zaache und langsame Partie“ sei. Und sie mir nicht wirklich erklären könne, wieso mein Koffer in Wien zurück …

Aber vielleicht sollte ich von vorne beginnen. Obwohl die Geschichte ganz einfach ist: Am Weg in einen Trainingsurlaub hatte mein Gepäck den Abflugflughafen nicht verlassen. Blöd. Aber immerhin nicht verloren, erfuhr ich am nächsten Tag. Einfach nachschicken, sagte mir die Ground-Services-Dame bedauernd, ginge nicht: „Da sind Batterien im Gepäck. Das ist verboten.“ Sie werde das beanstandete Teil aus dem Gepäck entfernen.

„Entfernen“ ist bei Sicherheitsissues meist dient mit „Entsorgen“. Und die einzigen Batterien, von denen ich wusste, waren in Spezial-Radpedalen: Die Dinger messen Leistung, Trittfrequenz, Geschwindigkeit und was weiß denn ich noch. Das braucht zwar niemand, der nicht die Tour de France gewinnen will, aber Freaks wie ich stehen eben auf Datenberge. Das Blöde: Die Pedale sind teuer. Vierstellig. Die Batterien sind dafür stinknormale Drei-Euro-Knöpfe.

Die Dame von Ground-Handling bot an, die Batterien „auszubauen – wenn das einfach geht. Am besten rufe ich sie an, wenn ich das Gepäck öffne.

Ein paar Stunden später rief sie an. Und war baff: „Ich stehe gerade bei ihrem Gepäck. Diese Batterien sind doch gar nicht verboten! Da hat der Kollege am Scanner wohl einen echt miesen Tag gehabt.“ Dann lachte sie aber: „Oh, da ist eine CO2-Patrone. Die nehmen Sie wohl zum Reifenaufpumpen? Die hat er übersehen – obwohl sie verboten ist. Aber nur, wenn Sie sie nicht deklarieren. So als ob das Deklarieren die Patrone am Explodieren hindern würde. Das meldet deshalb fast nie wer an – und meistens rutschen sie dann auch durch.“ Um die Intervention ihres Kollegen „irgendwie doch zu rechtfertigen“ werde sie die Kapsel aus dem Gepäck nehmen und entsorgen. „Können Sie damit leben?“ Klar. „Und dann geht ihr Koffer auf die Reise.“ Der nächste Flug an meinen Urlaubsort ginge aber erst in ein paar Tagen.

Mittlerweile war der zweite Urlaubstag halb vorüber. Ich hatte gleich bei der Ankunft mein Rennrad vom Verleih geholt und mittlerweile zwei schöne Tourentage absolviert: Einen Helm konnte ich ausleihen, Radhose und Bikeshirt kaufte ich superbillig im Abverkauf. Rennradfahren mit normalen Turnschuhen ist zwar ein bisserl mühsamer, aber trotzdem ein Traum: Für zwei Tage kauft man keine neuen Schuhe.

Zahnbürste, Badehose und zweites T-Shirt hatte ich im Handgepäck gehabt. Socken und Unterhose gab es im Supermarkt. Und beim händischen Auswaschen von verschwitztem Zeug mit Duschgel hat sich noch niemand schwer verletzt. Am Hotelbalkon trocknete das Zeug über Nacht – und obwohl ich beim Abendessen jetzt zum dritten Mal das gleiche Hemd anhatte, blieben die Kellner höflich, freundlich und flink. Kurz: So wirklich ging mir der Koffer gerade nicht ab.

Auch am dritten Tag nicht. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, nach dem Radfahren Wäsche zu waschen. Den Gedanken, ein drittes T-Shirt zu kaufen, schrieb ich modischer Geckenhaftigkeit zu – und verwarf ihn. Zwischendurch telefonierte ich immer wieder mit Flughäfen, beobachtete auf der Lost-Luggage-Trackingseite den Aufenthalts- respektive Transportzustand meines Koffers – und fragte, als dort am vierten Tag „arrived“ stand, an der Hotelrezeption nach. Dort zuckte man – freundlich-resignativ – mit den Schultern: Irgendwann käme das Trum sicher an. Das „wann“ sei aber offen. Heute Abend. Morgen tagsüber. Oder eben übermorgen.

Man bedauerte. Wortreich. Und der Mann, der neben mir an der Rezeption irgendwas anderes checkte, begann an meiner Stelle zu fluchen: Wie unzuverlässig … Airlines … wie mühsam … wie ärgerlich … inakzeptabel … und so weiter. Ich hörte ihm und der Rezeptionistin zu und musste mich dran erinnern, freundlich und beifällig zu nicken: Diese Leute wollten mir ja ihre Solidarität bezeugen – nur, erkannte ich, brauchte ich die gar nicht. Ich war mit zwei T-Shirts, zwei Unterhosen, zwei Paar Socken und einem Set Radgewand bestens ausgestattet. Und überlegte fieberhaft, was ich alles als „unverzichtbar“ in den Koffer gestopft hatte – und (bis auf Radschuhe und den eigenen Helm) nun so gar nicht vermisste.

An vierten Tag (den Anreisetag nicht mitgerechnet) kam ich vom Radfahren heim – und der Koffer stand im Zimmer. Groß und fett und dick und schwer. Aber vor allem überflüssig: Übermorgen würde ich 17 Kilo Ballast zum Flughafen schleppen. Und zwar ohne den Koffer überhaupt aufgemacht zu haben. Ich würde das Trum exakt so einchecken, wie es bei mir eingetroffen war: 17 Kilo Zeug, von dem ich nicht mehr wusste, wieso ich es eingepackt hatte.

Ich machte den Koffer dann aber doch auf: Um die Pedale rauszunehmen (man weiß ja nie, was denen bei der Kontrolle dann ein- oder auffällt). Und meine Radschuhe. Aber die hätten auch bei der Anreise schon locker ins Handgepäck gepasst.