Im Klagenfurter Welt-Schau-Park „Minimundus“ lassen sich globale Traumziele im Kleinformat ohne Flugscham und andere Massentourismus-Probleme „bereisen“. Natürlich ist das nicht echt. Andererseits: Wie authentisch ist es, an überfüllten Orten wegen der Menschenmassen ebendort nicht einmal zu erleben, weswegen man hergekommen ist?
Noch smarter, schneller und klimaschonender schaffen es nur die Muppets. Jim Henson’s Puppen haben nämlich eine eigene Methode, Interkontinental- und Langstreckendistanzen zurück zu legen: „We travel by map“, sagt Kermit (oder ist es Miss Piggy?) irgendwann. Dann sieht man eine Weltkarte, auf der eine Linie von Hollywood schnurgerade über die halbe Welt bis an den Strand von Nizza fährt. Umschnitt: Die Muppets stehen jetzt an der Croisette – und albern weiter: Nizza, Paris, London … alles „by map“.
Der Gag ist uralt. In jedem Fall älter als das Wort „Flugschämen“ und alles, wofür es steht. Doch unabhängig davon, ob es um das individuelle Drama fehlender Reisebudgets oder das globale der Klimaschäden durch maß- und planloses Herumfliegen geht (Zwischenfrage: gibt es eigentlich noch Menschen, die mit diesen günstigen Rund-um-die-Welt-Flugtickets ihr Fernweh erfüllen – und auch dazu stehen?): die Frage nach einem Reise-Plan B ist wohl so alt wie die Sehnsucht, nach dem Reisen selbst.
Mein Tipp: Minimundus
Mein Plan B ist simpel. Und klingt vermutlich absurd: Nehmen Sie den Zug nach Klagenfurt – und besuchen Sie „Minimundus“. Das ist mein Ernst: Minimundus.
Sollten Sie mit Kindern je in Kärnten im Sommer Urlaub gemacht haben, kennen sie diesen Welt-Schau-Park vermutlich. Falls nicht, kommen hier ein paar Eckdaten. In Minimundus im Klagenfurter „Europapark“ werden seit 1959 Weltwunder und andere Sehenswürdigkeiten gezeigt. Ursprünglich als „Minieuropa“ mit lediglich 20 Modellen gestartet, wurde daraus eine der drei wichtigsten Sehenswürdigkeiten Kärntens. Heute sind in Minimundus auf 26.000 Quadratmeter über 160 Modelle und Gebäude aus über 50 Ländern zu sehen – alle minutiös detailgetreu im Maßstab 1:25 und zu einem Gutteil sogar aus Originalmaterialien nachgebaut. Und mit selbstironischem Zwinkern wird auf der Homepage eine recht zentrale Verbesserung hingewiesen, die „bereits“ 2003 kam: „Das Raten hat ein Ende: Minimundus-Modelle erhalten endlich Kurzbeschreibungen.“ 2003 war der Park eh erst 45 Jahre alt …
Das mit den Beschreibungen ist wichtig. Nicht jeder kennt die Geschichte der beim Aufstauen des Nils versetzten Tempel von Abu Simbel. Erkennt Hochosterwitz. Weiß, was in Alamo geschah – und wieso das für US-Bürger:innen wichtig ist. Und die inneren Höfe des Buckingham Palastes zu sehen, einen Space-Shuttle-(Beinahe)-Start mitzuerleben oder sich an den Turm von Pisa zu lehnen geht längst nicht mehr – und das liegt nicht nur an Corona.
Darf man das zugeben?
Minimundus, behaupte ich deshalb, macht Reisen auf eine Art und Weise möglich, die „in echt“ einfach nicht geht – was wir uns aber nicht eingestehen wollen. Weil es dem Prinzip dessen, was wir unter Reisen Verstehen fundamental widerspricht, nicht an Originalschauplätze zu fahren – ungeachtet der Einschränkungen, die wir dort erleben würden. Und ungeachtet der (auch ökologischen) Begleiterscheinungen des Aufsuchens global als ebensolche kommunizierte Sehnsuchtsorte durch jeden und jede.
Minimundus ist natürlich nicht „the real thing“. Nur: Das bekommen Sie an den Originalschauplätzen in Wirklichkeit auch nicht. Zumindest nicht so, wie der Ort im Wunschbild erlebt wird: „Overtourism“, also das Überranntwerden von zu vielen Besucher:innen, die alle dem gleichen Traumbild nachrennen, lässt viele Destinationen längst die Notbremse ziehen.
Overtourism, Busparkplätze & Systemgastronomie
Venedig, Dubrovnik oder Barcelona – gelten als Overtourism-Klassiker. Aber Berlin, Rom und Amsterdam halten da gut mit. Doch das Phänomen ist global: Ich selbst war vor über 20 Jahren in Angkor Wat, Kambodschas versunkenen Dschungeltempeln, schon kein „Entdecker“ mehr. Doch dort, wo ich mit der Fahrradrikscha über Feldwege holperte und über Wurzeln kletterte, finden Sie heute Busparkplätze und Starbucks-Filialen.
Pittoreske Steinfresken, die wir damals ehrfürchtig berührten, sind heute von abertausenden Händen, die nach uns hintappsten, blank- und weggescheuert.
Wo ich vor 15 Jahren alleine durch Balinesischen Tempel striff, stehen heute Yoga-Influencerinnen zwei Stunden Schlange: Sie alle wollen an genau dieser einen Stelle genau dieses eine Foto machen.
Und vor und im Taj Mahal wird im zehn Minuten Takt, Schulter an Schulter, abgefertigt. Vor lauter Körpern sieht man nicht, weshalb man hierherkam. Auf der Chinesischen Mauer… Vor den Pyramiden … In Pekings „verbotener Stadt“ … Unter dem Eiffelturm … überall das gleiche Bild.
Die Versündigung am Traum vom Reisen
Ohne die Vorlagebilder in Netz und Reiseführer, sähen wir dort nur eines: Menschenmassen. Menschenmassen, die wie wir vom individuellen Erlebnis träumten – und dann lediglich ein überranntes, von der Kassenschlange bis zum „Giftstore“-Exit durchchoreografiertes, auf maximale Kommerzialisierung bei kürzestmöglichen Durchlaufzeiten optimiertes, verzerrtes Zitat davon bekommen. Das aber nicht zugeben dürfen: Das wäre ein Sich-Versündigen am Traum.
Die Behauptung, dass man vieles von dem, was man bei solchen Trips ohnehin nicht bekommt, in Minimundus genauso, wenn nicht besser, erlebt, ist Blasphemie. Das ist mir klar. Trotzdem werfe ich das hier in den Raum: Klimaneutraler, ressourcenschonender, weniger Müll und Schadstoffe emittierend, können Sie kaum reisen – obwohl mir natürlich klar ist, dass das authentische Erleben der Gerüche, der Geräusche und der Geschmäcker ferner, exotischer Länder sich nicht im Maßstab 1:25 am Ufer des Wörtersees substituieren lässt.
Wie echt ist echt?
Nur, Hand aufs Herz: Wieviel Authentizität und kulturelle Identität erleben Sie zwischen Fake-Sonnenbrillen- und Handtaschen-Händlern, schreienden Ticketverkäufern und Hop-On-Hop-Off-Bus-Tonbandansagen in Istanbul, London oder Athen denn wirklich? Wie echt ist der Folkloretanz in Kairo, die Spritzguss-Antiquität aus Pompeji?
Ich sah in Minimundus heuer zum ersten Mal die immense Weite des Petersplatzes. Lächelte über Neuschwanstein. Umrundete die Freiheitsstatue näher als mit dem Touri-Helikopter.
Und erkannte: Auch als ich all diese Dinge „in echt“ sah, hatte ich nichts Anderes gesehen. Nicht mehr. Nichts, was zu sehen ich nicht ohnehin erwarteten gewusst hatte. Und wirklich nah, wirklich zum Greifen, Spüren und Fühlen an die Substanz der Dinge, kommt man bei dieser Form des Reisens nicht. Dafür sind hier einfach zu viele Menschen.
Der ketzerische Gedanke noch einmal: Ginge das nicht auch in Minimundus? Mit weniger Mühe, Kosten – und eben vor allem: einem ganz anderen Fußabdruck?
Ich weiß, was jetzt kommt: Sie wollen trotzdem das Echte sehen. Das verstehe ich. Ich ja auch. Nur: Macht das wirklich so einen Unterschied? Wussten Sie, dass in etlichen Museen Kopien hängen. Aus Sicherheitsgründen: Zu viel Licht, zu viel Luft, zu viel Menschen mögen manche Meisterwerke gar nicht. Dass die Originale im Safe liegen und Sie vor perfekten Kopien stehen, hängt man nicht an die große Glocke. Denn: Niemand bemerkt es – also stört es niemanden.
Minimundus passt gut
Minimundus passt da gut: Ich habe Details an der Fassade der Bibliothek von Mexiko City hier besser und ruhiger betrachten können als vor Ort. Und etliche Punkte auf meiner langen, immer noch wachsenden Was-ich-alles-noch-sehen-will-Liste abgehakt.
Und eines erkannt: Nein, Minimundus ersetzt das Reisen nicht. Aber es hilft, den Fokus zurecht zu rücken. Den Fokus auf das Wesentliche: Einige Pflicht-Ziele kann man hier tatsächlich abhaken.
Und so sich selbst, aber auch der Welt etwas Gutes tun: Man spart Ressourcen. Globale und private: Ich habe in Minimundus Zeit gewonnen. Zeit für das, was das Reisen doch eigentlich ausmachen sollte. Aber das findet man in keinem Reiseführer. Auch nicht auf Fotos der „Must see“-Plätze – egal ob im Maßstab 1:25 oder 1:1.
Denn beim Reisen geht es um Begegnungen. Begegnungen mit Menschen. Im Nachbardorf, am anderen Ende der Welt – und vielleicht ja auch in Minimundus.
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