“Erde? Brennt!” hieß es bis Montag in Wien und heißt es immer noch an den Universitäten Salzburg und Innsbruck. Um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, besetzen an der Uni Wien, der Uni Salzburg und der Uni Innsbruck Studierende Hörsäle. Dabei ist das, was dort passiert, bloß ein Bruchstück eines größeren Vorgangs, denn nicht nur in Wien oder Österreich werden gerade Hörsäle in gleicher Weise besetzt, sondern das ganze verläuft weltweit. Vielleicht, aber nur vielleicht, muss man sagen, dass der Schulstreik, der seit Ende 2018 Konjunktur hatte, jetzt nicht mehr Schule macht.
Dass Studierende protestieren, ist nichts Neues. Fast möchte man bei einem Blick in die Vergangenheit meinen, dass das eine Art Gesetzmäßigkeit hat. Zumindest seit 1968. Aktivismus steht aber immer auch – damals wie heute – in einem Spannungsfeld, über allem, was sich Aktivismus “schimpft”, steht auch die Frage “ja darf man das überhaupt”. Da ist „Erde brennt“ keine Ausnahme.
Der Protest
Das Ziel der „Erde brennt“-Bewegung ist es, durch Protest darauf hinzuwirken, die Krisen, die man erkannt haben mag, zu lösen. Dabei sind die Krisen, die im Zentrum von „Erde brennt“ stehen, dreierlei. 1) soziale Krisen, wie Inflation, prekäre Arbeitsverhältnisse und Diskriminierung 2) die Klimakrise mit all ihren Facetten 3) die Bildungskrise, die sich etwa in der Unterfinanzierung der Universitäten manifestiert. Wie auch 2009/10 während den „Uni brennt“-Protesten, gibt es auch hier eine ganz genuin studentische Komponente. Der Hörsaal selbst wird dabei zum Politikum. Er ist Mittel des Protests, er ist aber auch Gegenstand des Protests. Die Aktivist:innen von „Uni brennt“ benutzen die besetzten Hörsäle aber auch als das, was sie zu “normalen Zeiten” sind, als Veranstaltungssäle.
Seitdem der erste Hörsaal in Wien am 16.11. besetzt worden ist, finden in ihm Veranstaltungen statt, Rückendeckung gibt es dabei auch von jenen, die in “normalen Zeiten” im Hörsaal stehen. Bis dato fanden zahlreiche Veranstaltungen unter Mitwirkung von Professor:innen und Dozent:innen statt, die sich mit „Erde brennt“ solidarisieren. Gleichsam dient der Hörsaal all den Beteiligten von „Uni brennt“ gewissermaßen als Lebensraum. Im besetzten Hörsaal “C1” aber auch den umliegenden Seminarräumen liegen Isomatten, darauf Schlafsäcke. An den Waschbecken stehen Zahnputzbecher. Im Flur neben dem besetzten Hörsaal C1 stehen Heurigenbänke, nebenan lagern “gedumpsterte” Lebensmittel.
Ein Blick zurück
Es ist 2009. Low-rise Jeans und Velvet Tracksuits sind in. Im Zuge der Bologna-Reform sollen die Magisterstudiengänge durch Bachelor/Master-Studiengänge ersetzt werden. Studiengebühren sollen eingeführt werden, der Studienzugang an sich soll erschwert werden. Es regt sich Unmut unter den Studierenden. Nach und nach werden Hörsäle diverser Wiener Universitäten besetzt, danach folgen einige andere Landeshauptstädte. Bekannte Köpfe aus Kunst, Kultur und Wissenschaft solidarisieren sich mit den Studierenden. 2 Monate harrt man in den besetzten Hörsälen aus. Dann räumt die Polizei diese. Das mag vielen noch gut in Erinnerung sein. Fazit: Erfolge gab es kaum, auch wenn das Echo noch so groß gewesen sein mag.
Lehren hat man bei „Erde brennt“ aus dieser Zeit auch gezogen. Wo 2009 recht schnell das Chaos Einzug fand, in dem ungeregelt Alkohol in das besetzte Audimax strömte und es auch sonst nicht ordentlich zuging. Da herrscht 2022 doch eine gewisse Achtsamkeit. Alkohol gibt es keinen und Coronatests sind zuhauf vorhanden.
Ja, derfen‘s des?
Die Antwort ist typisch: Es kommt darauf an. Grundsätzlich ist es so, dass eine Unibesetzung eine Versammlung ist und somit einen gewissen Schutz genießt. Solange es nun nach einer Besetzung zu keiner Auflösung der Versammlung kommt, drohen keine Strafen. Kommt es zu einer Auflösung der Versammlung, etwa weil das Rektorat das verlangt oder weil die öffentliche Ordnung gefährdet sein sollte, dann erklärt die Polizei zuerst einmal die Versammlung für aufgelöst. Danach haben alle Teilnehmer der Versammlung einen gewissen Zeitrahmen, innerhalb dem sie die Räumlichkeiten straffrei verlassen können. Erst nach dem Verstreichen dieses Zeitrahmens drohen all jenen, die die Räumlichkeiten dann nicht verlassen haben, Verwaltungsstrafen. Man darf also innerhalb gewisser Grenzen. Das man aber nicht auch alles tun soll, dass man tun kann, ist eine einfache Binsenweisheit. Sie wirft aber eine ganz grundlegende Frage auf. Wie weit darf Protest gehen?
Der Versuch einer Antwort
Das Spannungsfeld, in dem Aktivismus stattfindet, ist jenes, dass man auf Missstände, auf Defizite hinweisen möchte, das Hinweisen auf Missstände aber selten eine willkommene Tätigkeit ist. Aktivismus ist kurzum ein Mittel der Kritik. Wenn Kritik aber immer nur “brav” artikuliert wird, ist sie dann hinreichend oder geht sie bloß im Surren des Alltäglichen unter? Damit das nicht passiert, muss Aktivismus sich periodisch neu erfinden, sich eine neue Form geben. Manche sind besser, andere sind es weniger. Dabei ist der rechtliche Rahmen, in dem sich das Abspielen kann, weit. Die Versammlung ist ein flexibles Mittel um Aktivismus zu betreiben. Und solange dieser rechtliche Rahmen geachtet wird, aber doch dieses Surren des Alltäglichen durchbrochen wird, dann ist Aktivismus erfolgreich. Dann bewegt er etwas und sei es bloß das Bewusstsein des/der Einzelnen.
Das Echo
Über all dem, was „Erde brennt“ tut, steht das (mediale) Echo, denn ist es nicht das, was Aktivismus tun soll? Ein Herzschrittmacher für die Politik, für die Gesellschaft sein? Gut, ich geb’s ja zu, man mag das naiv nennen. Schiebt es auf’s Alter. Nein, ganz im Ernst, das Echo, dass „Erde brennt“ hat, ist nicht unbeachtlich. Das zeigt schon eine kurze Google Suche. Aber auch in qualitativer Hinsicht zeigt sich ein ähnliches Bild. Ob Presse, Kurier oder der ORF, sie alle haben zumindest einmal in den besetzten Hörsaal C1 geschaut. Unter den Beiträgen zu „Erde brennt“ wird heftig darüber diskutiert, ob das, was sich da tut, denn auch so gut ist. Spannenderweise werden oft Vergleiche zu „Uni brennt“ gezogen, teils werden pessimistische Resümees über ein Dahinsiechen von Studentenbewegungen geäußert (nach der Form, 68 war etwas, die 00er Jahre waren ein Chaos und das jetzt, naja, das ist eben nichts). Zusammenfassend muss man sagen, dass eine gewisse mediale Aufmerksamkeit geschaffen wurde, substanziell – wie zu erwarten war – keine Änderungen eingetreten sind. Das ist nichts Neues und ich glaube auch kaum, dass etwas anderes erwartet worden ist, dafür war der Protest, der hier geäußert worden ist, zu klein, zu kurz und wohl auch nicht “störend” genug.
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