Die Letzte Generation war in den vergangenen Monaten medial präsent wie keine andere Aktivismusgruppe im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Was sie tut, erhitzt Gemüter, regt Diskussionen an, trifft aber auch vielerorts auf Unverständnis. Was die vergangenen Monate aber auch erkennen lassen, ist ein gewisser Wandel in der (medialen) Wahrnehmung des Protests. Er ist gewissermaßen weniger chaotisch, er ist organisierter. Nicht zuletzt solidarisieren sich immer mehr Menschen mit dieser Art des Aktivismus. Eine dieser Personen ist die Juristin Dr.in Leonore Theuer. Ich habe mich gefragt, was sie dazu veranlasst hat, sich mit den Aktivtist:innen von der Letzten Generation zu solidarisieren.
Wie ist es dazu gekommen, dass du dich mit der Letzten Generation solidarisiert hast?
Weil demonstrieren, publizieren, das stößt alles auf nicht allzu großes Interesse. Das sind oft nur Randnotizen. An der Letzten Generation ist man sozusagen nicht vorbeigekommen. Auch wenn man sich gar nicht für Klimaschutz interessiert, ist man durch diesen zivilen Widerstand darauf aufmerksam geworden. Das war einfach total präsent, wie das Anschütten von Glasscheiben vor Kunstwerken. Am Anfang habe ich das auch gar nicht verstanden oder war sehr skeptisch, weil ich mir gedacht habe, naja, was haben die Bilder denn damit zu tun? Und da geht es nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Aber das Ganze hat ja offensichtlich sehr sehr gut funktioniert. Und bei den Sitzblockaden mit dem Ankleben, da habe ich den inhaltlichen Konnex schon gesehen, auch wenn die Leute, die dann konkret im Stau stehen, nicht besonders viel dafürkönnen. Aber dieser Konnex ist da, gerade in Österreich, wo die Verkehrsproblematik stark im Vordergrund steht und uns die Emissionsverminderung total zusammenhaut.
Bei der Forderung Tempo 100 kann ich überhaupt nicht verstehen, dass das von irgendwem angezweifelt wird. Jeder, der das selbst ausprobiert, merkt, dass es eigentlich erstaunlich viel bringt und dass man wirklich viel weniger Sprit verbraucht.
Demonstrieren und publizieren sind oft nur Randnotizen. An der Letzten Generation ist man sozusagen nicht vorbeigekommen.
Dr.in Leonore Theuer
Juristin und Aktivistin bei der Letzten GenerationWie hast du die mediale Rezeption der Letzten Generation erlebt? Ganz am Anfang, da war das ja eigentlich unisono so, dass die Letzte Generation kritisiert wurde, das hat sich meines Erachtens schon in den letzten ja … 3 Monaten, vielleicht ein wenig mehr, stark verändert. Wie hast du das erlebt und hat das einen Einfluss auf deine Entscheidung gehabt, dich mit der Letzten Generation zu solidarisieren?
Ich habe schon gemerkt, dass es eine Tendenz gab, das weniger kritisch zu sehen. Ich habe mir dann auch selber gedacht, ich wüsste wahrscheinlich nichts Besseres, ich könnte nicht sagen: Und das ist jetzt die Alternative, die man machen muss. Die Aktionen haben das Klimathema wieder wahnsinnig an die Öffentlichkeit gebracht. Das ist wichtig angesichts der Situation, dass Österreich ganz schlecht dasteht beim Klimaschutz. Man muss viele Möglichkeiten ausschöpfen, um auch gegen die Untätigkeit des Staates anzukämpfen. Dass ein Einzelner sich bemüht klimafreundlich zu leben, das ist viel zu wenig. Das System muss sich ändern. Wenn ich in einer schlecht isolierten und mit Gas beheizten Mietwohnung lebe, dann kann ich entweder frieren oder kalt duschen. Das Isolieren des Gebäudes, das müsste der Eigentümer machen und der muss dafür auch erst einmal rechtlich und finanziell die Möglichkeiten haben. Da gehören einfach auch Gesetze geändert.
Wieso ist es für dich gerade jetzt so wichtig, dich mit der Letzten Generation zu solidarisieren?
Jedem und jeder, der:die sich auch ein bissl damit auseinandersetzt, dem:der muss klar sein, dass uns total die Zeit davonläuft. Unsere Emissionen sind konstant oder steigen an, dabei wird der Pfad zur Netto-0 immer steiler und schwieriger zu erfüllen. Es geht aber nicht nur darum. Wir haben auch ein Treibhausgasbudget, das wir einhalten müssen und das ist, wenn wir so weiter emittieren, sehr bald aufgebraucht. Das bedeutet, dass es immer schwieriger wird, das Ziel „Erderwärmung unter 2°C“ einzuhalten.
Was findest du an der Letzten Generation besonders gut?
Die Letzte Generation versucht, Klimaschutz auf ganz einfache Maßnahmen herunterzubrechen und bringt das auf zwei Forderungen. Die noch dazu ganz leicht umsetzbar wären. Wenn Solidarisierungsaktionen stattfinden, dann ist das schon eine tolle Sache, weil je mehr Personen sich solidarisieren, desto mehr steigt auch der gesellschaftliche Druck. Man hat auch gut an der Medienberichterstattung gemerkt, dass sich etwas verändert hat. Am Anfang war das wirklich größtenteils Ablehnung. Mittlerweile wird aber immer mehr Verständnis gezeigt und auch die Wichtigkeit unterstrichen, dass Klimaschutzmaßnahmen gesetzt werden.
Die Leute beginnen nachzudenken. Das funktioniert offensichtlich. Als ich über die Scientists For Future den Soldarisierungsaufruf von Prof. Steurer bekommen habe, habe ich mich gefragt: Mache ich das oder mache ich das nicht? Das war für mich gar kein einfacher Schritt.
Die Leute beginnen, nachzudenken. Das funktioniert offensichtlich.
Dr.in Leonore Theuer
Juristin und Aktivistin bei der Letzten GenerationWenn ich da reingrätschen darf, warum?
Für mich war das der Anlass, mich konkret damit zu beschäftigen: wie stehe ich eigentlich dazu? Stehe ich da wirklich so im wahrsten Sinne des Wortes dahinter? Auch vielleicht, ob ich bereit bin, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen, die mir das bereiten könnte. Ich würde mich nicht selber festkleben, aber diese Solidarisierung, dieses Dahinterstehen, das hat mich schon ein bisschen Mut gekostet. Gleichzeitig war für mich auch klar: Ja, ich finde es wichtig, und deshalb habe ich mich dahintergestellt.
Gab es noch andere Dinge, die dich da motiviert haben, die dir diese Entscheidung leichter gemacht haben?
Eine große Motivation war, dass ich 4 Kinder habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Enkelkinder haben werde, die ist nicht so gering. Ich möchte ihnen einmal sagen können: Ich habe etwas gemacht über das Eigene hinaus, und ich hab vielleicht auch etwas gemacht, das umstrittener war. Ich habe das, was mir möglich war, versucht.
Ich werde bald 52. Ich bin nicht in einem Alter, in dem ich sagen könnte, dass mir das alles schon „wurscht“ sein kann. So ein Mensch bin nicht, auch wenn ich 100 wäre und keine Kinder hätte. Aber wenn man Kinder hat – und das ist für mich das Unverständliche auch bei Politiker:innen oder Stakeholder:innen – die meisten haben Kinder oder auch Enkelkinder und tun trotzdem zu wenig. Ob das vielleicht ein wenig so nach dem Motto ist: „Das kleine Österreich, das laviert sich da eh wieder raus.“, das mag mitspielen. Aber auch bei anderen Staaten, da denke ich mir: Wie kann man so agieren, wenn man Nachkommen hat? Die man wahrscheinlich liebt, das kann einem doch nicht egal sein.
Wie kann man so agieren, wenn man Nachkommen hat? Die man wahrscheinlich liebt, das kann einem doch nicht egal sein.
Dr.in Leonore Theuer
Juristin und Aktivistin bei der Letzten GenerationWie wurde das aufgenommen, dass du dich mit der letzten Generation solidarisiert hast? Hast du Kritik dafür zu spüren bekommen?
In der “Klimaschutzszene” positiv, auch wenn viele diesen Schritt der Solidarisierung nicht gewagt haben. Das war ja am Anfang auch sehr umstritten und es haben auch viele eingewandt, dass die Letzte Generation der Klimabewegung schadet. So wie es jetzt aussieht, denke ich, ist diese Angst unbegründet. Aber auch die Angst, wie weit wird die Frau, wie weit wird die Mama gehen. “Aber festpicken tust dich nicht.” Das wäre der Familie zu arg. Ich habe mich aber nicht nur als Mutter verpflichtet gefühlt. Meines Wissens nach bin ich die einzige Juristin, die sich solidarisiert hat. Da es so viel um die juristischen Instrumente geht, war mir das wichtig.
Wie empfindest du die Diskussion um die Letzte Generation?
Was ich an der Diskussion ganz falsch finde, ist, dass auf diesen rechtlich kleinen Verstößen so herumgeritten wird. Ich habe auch ein Banner gemalt mit der Aufschrift “Klimaschutz blockieren, das ist Rechtsbruch”. Ich wollte mit kurzen Worten auf den Punkt bringen, dass diese Verfehlungen, die sich die Politik leistet, viel gravierender sind.
Österreich hält nämlich weder internationale Verträge wie das Pariser Abkommen ein noch die Klimaschutzvorgaben der EU. Deshalb drohen Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe. Außerdem steht nach wie vor die Klimaneutralität 2040 im Regierungsübereinkommen.
Neben den zwei Forderungen, die die Letzte Generation stellt, was braucht es noch aus deiner Sicht? Was wären die nächsten Schritte, die eine konsequente Politik hier setzen müsste?
Ein Grundrecht auf Klimaschutz als Gegengewicht zu den wirtschaftlichen Grundrechten, das fände ich ganz wichtig. Das wäre auch ein Fundament, um unsere Rechtsordnung klimafit zu machen. Auch ein Klimaschutzgesetz, das einen Rahmen vorgibt, müsste rasch erlassen werden und es bräuchte auch rasch das Erneuerbare-Wärme-Gesetz – trotz all seiner Unzulänglichkeiten. Das wäre ein Anfang.
Als Mutter finde ich, dass Klimaschutz und die Klimakrise Eingang in die Lehrpläne finden müssen. Meine Kinder werden teilweise noch so unterrichtet, als hätte sich in den letzten Jahrzehnten nichts verändert. Da geschieht noch viel zu wenig. Die Kinder sehen Berichte über die Klimakrise in den Medien, sie bekommen das zuhause mit, aber in der Schule werden diese Inhalte nur vermittelt, wenn ein:e Lehrer:in besonders engagiert ist und solche Lehrer:innen müssen teilweise sogar mit Repressionen rechnen.
Reicht das, was die Letzte Generation tut, um das zu erreichen, was sie erreichen möchte?
Ob es ausreicht, dass in Österreich endlich ein Kurswechsel stattfindet, dass engagierte und zielführende Maßnahmen ergriffen werden, das bezweifle ich derzeit eher. Die Kanzlerrede war ein Signal ganz in eine gegenteilige Richtung. Die Bereitschaft zur Veränderung bedeutet auch, bei gewissen Dingen zurückzustecken. Auch die Forderung Tempo 100 statt 130 ist ja ein solches Zurückstecken, aber selbst dazu sind viele scheinbar nicht bereit.
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