Die Aktivist:innen von “Letzte Generation” sind derzeit medial nahezu omnipräsent. Hitzig wird in Talkshows und Foren diskutiert, Medien veröffentlichen eine Vielzahl an Beiträgen. Auf Social Media erreichen Aufnahmen von Protestaktionen und einhergehende Reaktionen schnell ein großes Publikum. Vor allem aber polarisiert die Letzte Generation. Ich habe mit einem Wissenschaftler gesprochen, der sich mit den Aktivist:innen von Letzte Generation solidarisiert.
Dr. Mirko Javurek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der JKU Linz und forscht am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung. Was hat ihn dazu bewogen, sich zu solidarisieren?
Neben deiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der JKU Linz, scheinst du oft anzutreffen zu sein, wenn es um Themen rund um den Klimawandel und die Umwelt geht. Du bist zivilgesellschaftlich engagiert, du hältst Vorträge, du bringst dich bei den Scientists For Future ein.
Ja, es ist mir ein Anliegen, dass ich die Erkenntnisse der Wissenschaft möglichst verständlich unter die Leute bringe. Weil ich da immer wieder feststelle, dass Leute, die grundsätzlich verstanden haben, worum es beim Klimawandel geht, auch gewisse Informationen nicht haben. Gerade auf der Ebene “wo ist mein eigener Beitrag zum CO2-Ausstoß”, da ist vielen nicht bewusst, wo eigentlich die großen Hebel sind und welche Entscheidungen im eigenen Lebensstil viel bewirken. Zum Beispiel gibt es immer wieder Menschen, die jede Woche Müllsammeln. Und da sage ich, ja super, für den Umweltschutz ist das ganz toll, aber dem Klima ist das ziemlich egal, wenn da Müll herumliegt. Und wenn man dann vielleicht noch mit dem Auto zum Müllsammeln fährt, dann ist das eigentlich schon wieder schädlich für das Klima.
Wie hat es sich ergeben, dass du dich mit den Aktivist:innen von der Letzten Generation solidarisiert hast?
Mit Start der Fridays For Future-Bewegung 2019 ist das Klimathema auf einmal in den Medien angekommen. Das Ganze war aber auch sehr zwiegespalten, auf der einen Seite gab es eine Aufbruchstimmung, dass das Thema endlich angekommen ist in der breiten Gesellschaft. Auf der anderen Seite gab es auch viel Kritik, die Schüler:innen sollen lieber in der Schule sitzen. Auch diese Anschuldigung an die ältere Generation, ihr habt das vermasselt, ihr seid schuld daran, dass wir jetzt hier sind, wo wir sind, ist vielen sauer aufgestoßen. In dieser Situation sind eben Wissenschaftler:innen auf den Plan gekommen, um diese jungen Menschen zu unterstützen. Es ist für mich immer noch faszinierend, dass im deutschsprachigen Raum fast 30.000 Wissenschaftler:innen eine Unterstützungserklärung unterschrieben haben. Das war die Gründungsstunde von “Scientist For Future”. Dann ist Corona gekommen und in der Zwischenzeit sind vier Jahre vergangen, ohne dass sich in diese Richtung etwas getan hätte. 2020 hat die Regierung beschlossen, bis 2040 klimaneutral zu werden. Der CO2-Ausstoß ist in Österreich seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau. Es gibt Bereiche, in denen wir CO2 eingespart haben, aber es gibt auch Bereiche, in denen unser Ausstoß immer noch ansteigt. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, wird immer schwieriger.
Aus dem abgeflauten Interesse der Medien haben sich neue Proteste herauskristallisiert. Ein Klimarat ist eingerichtet worden, der Empfehlungen ausgearbeitet hat, die bis jetzt in der Schublade liegen. Es gibt noch immer kein Klimaschutzgesetz. Aus dieser Untätigkeit heraus ist vor rund einem Jahr ein Anwachsen von Aktionen des zivilen Ungehorsams geworden.
Viel wichtiger wäre es, über das Anliegen und nicht die Art des Protests zu reden.
Dr. Mirko Javurek
JKU LinzWie wurden diese ersten Proteste im letzten Herbst von der Wissenschaftsgemeinde aufgenommen, wie war das aus deiner Perspektive?
Viele Wissenschaftler:innen wurden wachgerüttelt und haben überlegt, wie wir das in die richtige Richtung lenken und aus wissenschaftlicher Sicht unterstützen kann. Man wollte klar zum Ausdruck bringen, dass die Situation gerechtfertigt ist. Diese Situation hat es in der Vergangenheit mehrfach gegeben, wie z. B. die Suffragetten in England oder Martin Luther King. Wenn in einer Gesellschaft eine ungerechte Situation da ist und man mit “normalen” Methoden wie Petitionen oder Demonstrationen nicht mehr weiterkommt, ist die nächste Eskalationsstufe der gewaltfreie zivile Ungehorsam. Dieses Mittel hat es oft gebraucht, um eine Veränderung zu bewirken. Viel wichtiger wäre es, über das Anliegen und nicht die Art des Protests zu reden.
Wie ist es dann weitergegangen, gab es da irgendeinen Initiator? Reinhard Steurer von der BOKU (Universität für Bodenkultur) hat dazu aufgerufen, sich zu solidarisieren. Gleichzeitig haben wir schon in Oberösterreich als Scientists For Future an unserer Stellungnahme gearbeitet, die von 30 oberösterreichischen Wissenschaftler:innen unterzeichnet wurde. So ist es dann zu der Pressekonferenz von Wissenschaflter:innen im Jänner gekommen, die parallel zu einer Aktion von der Letzten Generation stattgefunden hat. Das hat in den Medienberichten eine Trendwende hervorgerufen. Davor war das so ein bisschen so: „Ja, diese Chaoten, die sich auf die Straße stellen”.
Wie nimmst du die Proteste wahr?
Die meisten Menschen, die an den Blockaden teilnehmen, betonen, dass es ihnen leid tut, dass es ihnen echt unangenehm ist, dass sie das nicht gern machen. Von Personen, die z. B. im Stau stehen, hört man oft, dass man nicht die Klimaaktivist:innen sondern die Verantwortlichen, z. B. Ölfirmen oder Politiker, blockieren sollte. Das Krasse ist, dass es genau solche Aktionen schon gegeben hat, diese aber medial untergegangen sind, weil es eben nicht die Allgemeinheit betroffen hat.
Wie fallen die Reaktionen auf deine Solidarisierung mit der Letzten Generation in deinem Umfeld aus?
Letzten Mittwoch war zum Beispiel die erste Gerichtsverhandlung um Strafen, die im Zuge von Protestaktionen ergangen sind. Es wurde von den Medien ein Foto übernommen, bei dem ich vor dem Gericht stand. Es haben mich ein paar Leute auf das Foto angesprochen und gesagt: “Super, dass du dich da einsetzt”. Aber es gibt auch Leute, die mich einfach gefragt haben: “Ich glaub ich hab’ dich in der Zeitung gesehen. Warst du das? Ah! Okay!” Meine Mutter hat z. B. gesagt, dass sie sich nicht ganz sicher ist, ob das was bringen wird, aber sie hofft’s.
Wie denkst du geht es mit der Letzten Generation weiter?
Es ist schwer abzuschätzen, aber ich habe den Eindruck, dass es derzeit nach mehr Protest aussieht als nach weniger. Ich habe selten so berührende Momente erlebt, wie bei den Protesten, bei denen ich vorbeigeschaut habe. Diese Gewaltfreiheit ist echt total nett – dieses Ruhigbleiben, dieses Gelassensein, da kann ich selbst auch viel von lernen. Da gehen dann Menschen mit einer irren Wut auf die Menschen zu, die in der Blockade sind. Insofern ist es auch völlig ungerechtfertigt, wenn dann manche von Klimaterrorismus sprechen. Terrorismus ist was anderes, Terroristen hantieren mit Sprengstoff.
Die Letzte Generation hat zwei Forderungen, 1) eine Erklärung, dass keine Öl- und Gasbohrprojekte vorangetrieben werden und 2) ein Tempolimit von 100 km/h. Das klingt ein wenig knapp oder nicht?
Ich habe selbst auch am Anfang gedacht, dass die Forderungen nur die Spitze des Eisbergs abdecken. Das kann das Klimaproblem natürlich nicht lösen. Die Maßnahmen sind aber ohne Kosten einführbar. Das kann man sofort umsetzen. Die Politik und auch die ÖVP sagen, das wollen wir ja eh nicht. Damit entlarvt sich Politik eigentlich selbst und zeigt, wie unseriös ist. Würde man das wirklich wollen und sich nicht ein Hintertürchen offenlassen, dann wäre das schon Gesetz. Es braucht da einen gesetzlichen Rahmen dafür.
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