Als in den Jahren 2002/2003 der Gasmarkt liberalisiert wurde, programmierte Johannes Püller gemeinsam mit Wolfgang Eichberger das erste „Warenwirtschaftssystem“ für das damals neue Geschäftsfeld. Es folgten weitere Softwarelösungen, die nicht nur die Logistik, sondern auch den Handel mit Energie automatisierten und von Österreich aus mittlerweile in ganz Europa Verwendung finden.
Im Gespräch mit Finanzlöwin Carmen Weingartshofer erörtert Johannes Püller, warum der Energiemarkt durch die neuen Energien komplexer wurde und warum es genau diese sind, die uns in Zukunft vielleicht gratis Strom bescheren könnten.
Johannes, inwiefern haben erneuerbare Energien deine Arbeit als Softwareentwickler beeinflusst?
Bis 2015 wurde Energie noch ausschließlich manuell oft nur zu regulären Bürozeiten an so genannten Trading Desks gehandelt. Dort sitzt ein Mensch vor Bildschirmen und trifft alle Entscheidungen. Aufgrund der Energiewende wird der Handel mit Strom immer kurzfristiger. Denn je mehr erneuerbare Energien in ein Netz eingespeist werden, umso höher wird die Fluktuation der Produktion. Sonnenschein kann je nach Wetterlage noch relativ gut vorhergesehen werden. Aber wenn sich eine große Wolke über eine PV-Anlage schiebt, geht die Leistung natürlich retour. Und Wind ist noch schwieriger zu prognostizieren.
Bei Offshore Anlagen auf dem Meer noch etwas einfacher als auf dem Land. Dort braucht sich die Windrichtung nur um wenige Grad ändern, ein Berg wird etwas anders angeströmt und schon verändert sich die Leistung einer Anlage erheblich. Dies passiert kurzfristig und hat dazu geführt, dass Energieversorger und Anlagebetreiber die Herausforderung hatten, dass sie nicht mehr nur zu den gewohnten Bürozeiten manuell handeln konnten, da die so genannte Lastprognose nicht mehr so stabil wie früher berechnet werden konnte. Es kann also nicht mehr so genau berechnet werden, wann wie viel Strom von welchen Anlagen kommen wird und daher mussten Tools entwickelt werden, um jederzeit wetterabhängig und kurzfristig handeln zu können.
Also vor der Einleitung der Energiewende war es einfacher zu planen? Und jetzt haben wir die erneuerbare Energie und der Handel ist komplexer geworden, da kurzfristige Änderungen berücksichtigt werden müssen?
Genau, kurzfristiger und sehr stark wetterabhängig. Generell hat man natürlich auch bei Gaskraftwerken eine gewisse Wetterabhängigkeit, da natürlich Außentemperaturen, Kühlwassertemperaturen und solche Dinge eine Rolle spielen. Auch bei Wasserkraftwerken ist die ganze Hydrologie zu berücksichtigen, wie der Niederschlag, der die Wasserstände verändert. Aber das ist alles kein Vergleich zu dem, was Sonnen- und Windkraftanlagen an Planungskomplexität und Kurzfristigkeit mit sich bringen.
Wenn jetzt früher von 9 bis 17 Uhr an einem Trading Desk manuell gehandelt wurde, wie sieht das dann heute aus?
Heute muss rund um die Uhr gehandelt werden, da sonst hohe Kosten durch Ausgleichsenergie verursacht werden können. Ausgleichsenergie ist die Differenz zwischen dem, was in das Netz geliefert wird und dem was die Kund:innen entnehmen. Diese Differenz, die sich durch Ungenauigkeiten in der Planung ergibt, nennt sich Ausgleichsenergie. Diese kann sowohl positiv als auch negativ sein und wird von eigenen Anbietern für Ausgleichsenergien bereitgestellt. Deren Preis wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt und ist je nach Bedarf an Ausgleichsenergie unterschiedlich hoch. Da kann eine Megawattstunde auch schon einmal mehrere Tausend Euro kosten.
Letztlich geht es also um Kosten, die bei den Energiehändlern entstehen. Aber daran gekoppelt ist natürlich die Physik, also die tatsächlichen Energieflüsse.
Es ist wichtig, dass die Bewirtschaftung des Stromsystems rund um die Uhr stattfindet, denn sonst gäbe es einen Blackout.
Johannes Püller
SoftwareentwicklerUnd da kommt nun dein Tool ins Spiel. Was genau leistet diese Software?
Ja, das war jetzt etwas ausschweifend die Hintergrundgeschichte zu dieser. Wir haben eine Softwarelösung gemacht, die – an Stelle von Menschen, die rund um die Uhr vor einem Screen sitzen würden und die Komplexität des Marktes gar nicht mehr bewerkstelligen könnten – automatisiert und optimiert an der Strombörse handeln kann. Wir haben uns da sehr stark an Algorithmen der Finanzmärkte orientiert, da es gewisse Ähnlichkeiten zwischen Strombörsen und Finanzbörsen gibt. Es gibt ein Orderbuch mit Bids und Offers, einem Spread und es werden die Orders platziert und exekutiert. Die Verfahren, die man von den Tools der Finanzbörse kennt, kann man auch auf den Energiemarkt umlegen.
Der Hauptunterschied ist, dass beim Energiemarkt natürlich eine Uhr tickt. Denn das Produkt Energie hat im Gegensatz zum Finanzprodukt eine sehr begrenzte Lebensdauer. Strom wird daher in Viertelstunden gehandelt. Bestimmte Viertelstunden an einem bestimmten Datum. Beispielsweise muss man sich vorstellen, dass der Handel für die Energie für eine bestimmte Viertelstunde 72 Stunden bevor diese anbricht, beginnt. Und ein paar Minuten bevor sie stattfindet und die Energie geliefert und verbraucht wird, wird der Handel für diese eingestellt. Der große Unterschied zum Finanzhandel ist also, dass es eine gigantische Menge an Produkten, also 96 Einheiten von 15 Minuten pro Tag und pro Region, zu handeln gibt. Also unter Umständen müssen hunderte Produkte gleichzeitig gehandelt werden können.
Jetzt habe ich als Privatperson ja auch ein Smart-Meter zu Hause, das mir meinen Verbrauch viertelstündlich anzeigt und es gibt auch Stromanbieter, die einen marktbezogenen Energietarif abrechnen. Also die Schwankungen an die Kund:innen weitergeben. Denkst Du, es ist die Zukunft, dass auch Privatpersonen planen, zu welcher Uhrzeit der Strom günstig ist und sie danach ihre Waschmaschine oder Geschirrspüler einschalten?
Rein theoretisch könnte man das machen, aber es erscheint mir nicht wahnsinnig praktikabel.
Weil natürlich willst du waschen, wenn du schmutzige Wäsche und Zeit dafür hast und dann ist dir der Energiepreis eher einerlei. Dazu kommt auf der Seite der Anbieter die Komplexität des Datenmanagements, auf der die Abrechnung basieren sollte. Das ist kompliziert und anfällig für Fehler. Daher gibt es bisher auch nur weniger Anbieter, die solche marktbezogenen Tarife überhaupt anbieten.
Ich glaube eher daran, dass private Elektromobilität eine Rolle für den zukünftigen Energiemarkt spielen kann. Die Akkus der Elektroautos funktionieren als Zwei-Wege-System, das heißt man kann diese sowohl laden als auch entladen.
Johannes Püller
SoftwareentwicklerIch verstehe, wenn meine Photovoltaikanlage bei Sonnenschein überschüssigen Strom produziert, kann ich diese in meinem geparkten E-Auto zwischenspeichern. Und in der Nacht, wenn kein Strom erzeugt wird, kann ich diese Energie wieder aus meinem Auto entladen und damit mein Wohnzimmer beleuchten.
Noch praktikabler wäre es für mich, wenn ich untertags auf dem Parkplatz meiner Arbeitgeber:in den Strom anzapfen könnte.
Ja genau, wenn die Industrieanlage dein:e Arbeitgeber:in mit einer riesigen Photovoltaikanlage ausgestattet ist, dann könnten die ganzen Elektroautos der Arbeitnehmer:innen untertags den Strom aufnehmen und wieder entladen, wenn er gebraucht wird. Das macht auch Sinn, wenn man sich ansieht, wie weit die durchschnittliche Fahrtentfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz laut Statistik ist. Es gibt zwar einige wenige Leute, die weite Strecke haben, aber die Mehrheit fährt 20, 30 Kilometer mit einem E -Auto, das 300, 400 Kilometer Reichweite hat. Die restliche Energie könnte also zu Haus als Batteriespeicher genutzt werden.
Das heißt aber, mein Arbeitgeber zahlt meinen Nachtstrom.
Naja, wie man mit diesem Umstand umgehen würde, wäre eine andere Frage. Wäre das ein Sachbezug? Da gibt es sicherlich steuerliche Themen, die man sich genau ansehen müsste. Aber mir erscheint dieses Szenario plausibler, als dass ich meine Waschmaschine nur dann einschalte, wenn die Sonne scheint.
Ich war kürzlich bei einem Vortrag, bei dem es auch um sinkende Preise für Batteriesysteme und Ladestationen ging. Und aus dem Publikum kam die Frage, was mit all den alten Batterien aus den E-Autos geschieht. Kennst Du dazu Konzepte?
Ja, da gibt es sehr viele schöne Second Life Anwendungen. Gerade die alten Batterien aus den E-Autos sind sehr gefragt, um damit stationäre Energiespeicher zu bauen. Und es gibt mittlerweile so genannte Health Checks für die Zellen, damit diese leistungsfähig bleiben. Allerdings, wie das saisonal funktionieren könnte, also sowohl im Sommer, als auch im Winter, dafür habe ich noch kein schlüssiges Konzept gesehen.
Aber zumindest dafür, dass wir es gut hinbekommen können, dass wir in der Saison, in der es ausreichend Sonne und Wind gibt, die Lastspitzen über Batteriespeicher so ausgeglichen werden können, dass wir überhaupt keine fossilen Energieträger und auch keine Atomkraft mehr brauchen. Das geht sich gut aus.
Und dann gibt es die These, dass man bald bei den Spitzen Strom sogar gratis bekommen könnte. Was meinst Du dazu?
Nein, du bekommst sogar Geld, wenn du Strom nimmst, denn es gibt relativ häufig Negativpreise am Markt.
Also, wenn du einen Batteriespeicher hast und der ist zum richtigen Zeitpunkt leer, dann kannst du deine Batterie laden und bekommst Geld dafür. Und dann kannst du zu einem späteren Zeitpunkt die Batterie entladen und bekommst noch einmal Geld dafür.
Ok, ich gehe jetzt.
Warum?
Ich muss eine Batterie kaufen.
Ja, tatsächlich. Es gibt gerade deswegen auch in Europa einen Wahnsinnsboom für Batteriespeicher.
Obwohl es nicht ganz so einfach ist, weil man dort natürlich das gleiche Problem hat, das wir auch bei Photovoltaikanlagen kennen. Nämlich die Netzanschlussleistung. Daher sind gerade stillgelegte Industrieanlagen sehr angesagt, bei denen bereits ein Netzanschluss vorhanden ist und die sich daher sehr gut als Standort für solche Batteriespeicher anbieten.
Ich wollte gerade sagen, dieser Netzanschluss. Das ist die Nemesis der Energiewende. Aber kann Strom irgendwann kostenlos werden? Denn laut einer Studie, welche die Firma DNV GL in Großbritannien in Auftrag gegeben hat, könnte das ab 2050 der Fall sein.
Das erscheint mir sogar pessimistisch – viele Menschen beziehen bereits heute kostenlosen Strom aus ihrer Photovoltaikanlage kombiniert mit einem Heimbatteriespeicher! Und für den Gesamtmarkt betrachtet ist es einfach ein Thema von Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot die Nachfrage drastisch übersteigt, dann gehen die Preise in den Keller. Und günstige, erneuerbare Energie ist mehr als genügend da.
In der Energiekrise, aus der wir gerade kommen ist genau das Umgekehrte passiert – das Angebot aus billigen erneuerbaren Energieträgern war zu niedrig und es musste auf – zu diesem Zeitpunkt – sehr teures Gas zurückgegriffen werden. Das Problem war und ist aber hausgemacht, weil die Energiewende nicht ernsthaft genug vorangetrieben wurde. Auch wenn die erneuerbaren Energien jetzt boomen, hätten wir das schon vor 15, 20 Jahren angehen können. Hier wurde von der Politik viel Protektionismus für bestehende Systeme betrieben und dadurch leider viele Chancen verspielt. Unter anderem deshalb kommen jetzt ein Großteil der Solarzellen sowie Batteriespeicher aus China. Aber Europa hat eine florierende Startup-Szene im Energiebereich, die sich mit enormer Innovationskraft den verschiedenen Herausforderungen der Energiewende stellen. Insofern bin ich optimistisch, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien rasch gelingt und wir letztlich Energie im Überfluss haben.
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