Die chinesischen FFP2-Masken „made in Austria“ sind fast schon wieder vergessen – der Empörung folgt Vergessen. Bis zum Auffliegen der nächsten Herkunfts-Mogelei und falsche Versprechen.

Man vergisst ja gern und schnell. Wenn Sie diesen Text lesen, ist der Skandal um die chinesischen FFP2-Masken mit Austro-Zertifikat ein Weilchen her – und Ihre und meine Aufmerksamkeit wohl schon von der nächsten Unglaublichkeit in Beschlag genommen. Erinnerung und Empörung verblassen meist gleich flink.

Vergessen hilft. Wir würden sonst durchdrehen. Darum vergessen wir oft, gern und schnell.

Nicht nur den Skandal, sondern auch seine „Begleitmusik“ – obwohl wir die schon oft, sehr oft, gehört haben. Denn der furchtbare Satz strapaziere, dass wer vergisst, gezwungen ist, die eigene Geschichte zu wiederholen, ist wahr. Leider. Nicht nur wenn es um Massen- und Völkermord und Kriege geht, sondern auch im vergleichsweise Kleinen. Etwa der Sache mit den Masken.

Sie glauben mir nicht? Dann googeln Sie: „Kürbiskernöl“, „steirisch“ und „China“. Und bevor sie durch die lange Trefferliste schmökern, gebe ich Ihnen etwas mit auf den Leseweg: Achten Sie auf die Erscheinungsdaten. Nicht nur weil – bei meinen nicht chronologisch gelisteten Suchergebnissen – der erste Treffer fast zehn Jahre alt ist: Über die Jahre tauchen nahezu gleichlautende Geschichten immer und immer wieder auf.

Und es geht nicht nur um Kernöl: Berichte über andere Produkte, die ganz anderswo herstammen, gibt es alle Nase lang. Machen sie den „Textbaustein“-Test: Sie müssen lediglich Produkt-, Firmen und Akteursnamen austauschen, die Abläufe sind immer gleich: Konsumentenschützer oder Kontrollorgane zeigen auf. Mutmaßliche Missetäter toben und klagen. Politik und Institutionen reagieren und versprechen neue, angeblich „sichere“ Zertifizierungen. Kurz darauf poppt das gleiche Thema eben anderswo genauso auf.

Nicht jedes steirische Kernöl kommt auch aus der Steiermark

Eine braune ovale Schale gefüllt mit Kürbiskernen vor einem dunklen Hintergrund fängt eine faszinierende Mischung von Texturen ein, die an traditionelle österreichische Handwerkskunst erinnern.

Wieso? Weil die Nachfrage von der tatsächlich lokalen Produktion und Herstellung nicht befriedigt werden kann. Bei beinahe echtem „steirischen“ Kürbiskernöl beschrieb das die Agrar-Plattform „topagrar“ in einem Artikel aus 2015 so: „Immer wieder (beklagen) Konsumentenschützer, dass Osteuropa und China kräftig beim schwarzen Gold mitmischen. Ab Jänner seien die steirischen Kerne slowenisch, ab März chinesisch, bemerken Marktkenner trocken.“ Der Konjunktiv und das indirekte Zitat sind unverzichtbar: Die Bloßgestellten dementieren (auch in dem Fall) nicht nur, sie drohen auch mit Klagen.

Deshalb deklariere ich das, was jetzt folgt auch ausdrücklich als Hörensagen. Obwohl es von jemandem aus der Import-Export-Branche kam, der jahrelang sehr erfolgreich meist chinesische Ware (vom E-Scooter über Whirlpools bis zu Multitool-Gürtelmessern) per Webshop in Europa vertrieb – und für andere als Mittelsmann in China unterwegs war.

Seinen – nicht nachprüfbaren – Angaben zufolge soll es Jahre gegeben haben, in denen mehr „steirisches“ Kürbiskernöl aus Österreich exportiert worden sei, als die regionale Gesamternte hergegeben hätte. Die Frage, ob das dann ausgelieferte Öl – oft genug als Bio-Ware deklariert – von minderer Anbau-Bioqualität gewesen sei, beantwortet der Mann mit einem Lachen: „Eher im Gegenteil.“ Aber das habe er selbst auch erst geglaubt, als er chinesische Anbaugebiete besucht habe: Dort sei auf riesigen Flächen, aber abgelegen von modernen Verkehrs- und Industrieclustern und mit fast antik anmutenden Methoden, Dünge- und Pflanzenschutzmethoden angebaut worden: „Mehr Bio geht vermutlich nicht.“

Dennoch: Die Steiermark liegt nicht in China.

Freilich ist dem seit Anfang März 2021 ein Riegel vorgeschoben. Denn da trat China einer Übereinkunft mit der EU bei, der zufolge in China verkauftes, als „steirisch“ deklariertes Kürbiskernöl wirklich aus der Steiermark kommen muss. In den nächsten vier Jahren sollen neben Inländerrum auch noch Tiroler Speck sowie Vorarlberger Bergkäse auch in China wirklich echt sein müssen.

Wieso das wichtig ist? Nun: China importiert jährlich Lebensmittel um rund 4,5 Milliarden Euro aus Österreich, schreibt der Kurier. 2020 waren es demnach lediglich 490 Millionen: Da wird die Frage, was „echt“ bedeutet, relevant.

Ich weiß, welche Frage Ihnen jetzt auf der Zunge brennt: Ist das, was als „echt“ und „Made in Austria“ zertifiziert in den Export – egal wohin – geht oder hierzulande verkauft wird, nun aber wirklich echt?

Made in China statt in Austria – Konsument*innen wurden in die Irre geführt

Schlüssel, eine weiße Gesichtsmaske aus chinesischer Herstellung und eine beige Einkaufstasche hängen elegant an der Türklinke.

Ich verweise wieder auf meinen Import-Export-Bekannten. Der erzählte mir die Kürbiskernöl-Geschichte im Vorjahr beim Skifahren. Im Hotel eines namhaften Hoteliers. Für zwei zu vergrößernde Hotels habe er in China günstige Fliesen und Badarmaturen gesucht. In Fabriken „groß wie Bergdörfer“ habe er Muster des Ist-Bestandes, vorgelegt. „Italienisches Design. Markenware. Hochwertig und teuer.“ Der Auftrag habe gelautet, Ähnliches günstig zu finden.

Die Chinesen hätten die Muster angesehen, gelacht – und ihm exakt die gleichen Fliesen vorgelegt. Made in China – inklusive Echtheits-Zertifikaten. „Sie waren sich sicher, dass meine Fliesen von ihnen seien.“ Die Fliesen gehen nämlich per Containerschiff nach Rotterdam. Dann über zwei oder drei Stationen an Großhandel, Handel und Baumärkte: Nicht nur der Endabnehmer, auch der Lieferant des verbauende Professionisten „hat keine Chance, nachzuvollziehen, woher die Ware wirklich ist.“

Den schalen Beigeschmack seiner Geschichte, sagte der Handelsreisende, könne er nachvollziehen. Und obwohl „die Chinesen“, betonte er, „kaum je so dumm sind, mindere Qualität zu liefern“, habe er – aber auch dieser Hotelier – Konsequenzen gezogen: „Wo es geht, kaufe ich heute bei kleinen, lokalen Betrieben. Am Markt. Oder bei Herstellern, die Gesichter haben. Wo ich zur Not sogar nachschauen könnte, wie angebaut, ge- und verarbeitet wird.“ Das habe noch einen Vorteil: „Plötzlich kauft man regional und saisonal. Ware und Arbeit bekommen wieder Wert.“ Dennoch: Immer und überall geht das nicht. „Manchmal bleiben nur Glaube & Hoffnung.“

Als die FFP2-Maskensache aufflog, kam vom Export-Import-Mann ein kurzes Mail: „Sag nicht, dass du überrascht bist. Aber sieh das Gute darin: Das beweist, dass man auf Dauer mit sowas doch nicht durchkommt.“