Die Wiener „Sargfabrik“ will durch Klimaschutzmaßnahmen ihren Energiebedarf massiv senken. Einfach wird das nicht – obwohl man schon vor 25 Jahren Umweltstandards übererfüllte. Was bedeutet das, wenn man es auf die Klimaziele einer ganzen Stadt umlegt?

Die „Sargfabrik“ ist ein Wiener Wohnprojekt mit 98 Wohnung in drei Gebäuden. Es gibt ein Badehaus, einen Veranstaltungssaal, einen Kindergarten und ein Restaurant. Als das Projekt 1996 gestartet wurde, gehörten Umweltschutz und ökologisches Bauen zu den zentralen Themen. Dennoch besteht hier nach 25 Jahren Sanierungs- und Erneuerungsbedarf – auch und gerade in Hinblick auf die Klimaziele. Aber: Ist es möglich, 240 Tonnen CO2 im Jahr bis 2040 tatsächlich auf null zu reduzieren? Und wenn das schon für ein ambitioniertes Projekt mit 300 Bewohner:innen ein „dickes Brett“ ist – was bedeutet das, wenn man es auf eine größere Ebene, etwa eine ganze Stadt mit hohem Altbaubestand, überträgt?

Hubert Fragner ist in der Sargfabrik – unter anderem – dafür zuständig, die Gebäude in Schuss zu halten. Energieversorgung, Wärme- und Umweltschutz – also Klimapolitik – gehören daher zu seinen Aufgaben.

Hubert Fragner

Ein kahlköpfiger Mann mit Brille, gelbem Hemd und dunkler Jacke lächelt vor der Kulisse des innovativen Grünen Wohnprojekts Wien.

Was bedeutet aktiver Klimaschutz für eine Hausgemeinschaft, für Gebäudemanager:innen?

Schon in der Entstehungsgeschichte der Sargfabrik spielte Ökologie, also Klimaschutz, eine wichtige Rolle. Wir haben schon bei der Errichtung stärkere Wärmedämmung als vorgeschrieben eingebaut, haben ökologische Bauvorschriften übererfüllt. Und zum Beispiel Wandheizungssysteme im ganzen Gebäude installiert, damit wir mit geringen Vorlauftemperaturen heizen können.

Wir haben die Objekte intensiv begrünt, damit die Lebensqualität passt. Und es war immer eine der Kernideen, auch für die Umgebung offen zu sein. Das zeigt sich am deutlichsten beim Kulturbetrieb in unsere Veranstaltungshalle mit über 250 Veranstaltungen im Jahr.

Wenn da schon vor 25 Jahren an ökologische Zukunftssicherung gedacht wurde, lehnt ihr euch heute also gemütlich zurück und schaut zu, wie die anderen um ihr Klima-Leiberl rennen?

Nein. Die Motivation war zwar früh da, aber der Klimawandel bedingt trotzdem enorme Herausforderungen. Die Klimaziele zu erreichen, bedeutet auch für uns extreme Anstrengungen.

Überall in Wien müssen Gebäude jetzt auf einen hohen Energieeffizienzstandard gebracht werden.

Und es muss möglichst viel vom dann noch übrigbleibenden Bedarf durch erneuerbare Energien abgedeckt werden.
Wir schauen uns sehr genau an, was das für uns bedeutet: Die Sargfabrik ist 25 Jahre alt und wir sehen, dass es da Alterungserscheinungen gibt, dass es einigen Sanierungsbedarf gibt.
Das ist normal und der Zeit geschuldet. Wir wollen aber nicht einfach nur Pflaster drüber kleben, sondern Verbesserungsmöglichkeiten ausloten – und alle Gebäude langfristig auch für nächste Generationen in einen Topzustand bringen.

Die Sargfabrik verursacht derzeit 240 Tonnen CO2 im Jahr. Bei 98 Wohnungen und all diesen Betrieben ist das kein schlechter Wert. Trotzdem: Was bedeutet das? Was davon ist einsparbar? Wohin wollt ihr kommen?

Eigentlich sollten wir in Summe auf null kommen. Aber das geht natürlich nicht rein aus eigener Kraft: Das hängt auch vom Energieversorgungssystem ab. Das heißt: Wieviel CO2 hat die Fernwärme? Wieviel der Strom, den wir zukaufen müssen?
Alleine schaffen wir das nicht – nicht einmal mit gigantischem Aufwand.
Der größte Brocken ist die Wärme. Da ist das Badehaus eine echte Herausforderung, weil das 24 Stunden auf Temperatur gehalten werden muss. Das macht im Stammgebäude der Sargfabrik nahezu die Hälfte des Energie- und Warmwasserverbrauchs aus. Das stemmen wir nicht alleine.

Wenn das Erreichen von Klimaneutralität schon bei 300 Bewohnern plus Infrastruktur eine Herkulesaufgabe ist, wenn man Infrastruktur, also Lebensqualität aber nicht massiv herunterfahren will – wie soll das dann im größeren Rahmen, also einer ganzen Stadt, funktionieren?

Wir sehen, dass das unheimlich komplex ist. Nicht nur technisch: Man braucht enorm viel Engagement. Man braucht die Überzeugung, das Ziel überhaupt erreichen zu wollen. Man muss also zunächst ideologisch bereit sein, diese Aufgabe anzugehen.

Genau das kommt aber für viele normale Bauherren und Hausbesitzer nicht in Frage, weil da oft nur die Ökonomie im Vordergrund steht: Bei einem Mehrfamilienhaus ist das wirtschaftlich uninteressant – Klimaschutz rechnet sich nicht. Da genügt Instandhalten, um den Marktwert eines Objektes zu halten.

Das intrinsische Interesse eines Bauherrn ist nicht Energieoptimierung – außer sie rechnet sich sehr schnell.

Das ist das erste Hindernis: Wie bringt man Bauträger dazu, dass sie mehr leisten als gesetzlich vorgesehen ist? Da gehört mehr Druck her. Da fehlen die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Danach kommt noch der Verfahrensaufwand. Davon können wir Lieder singen: Die Mühen, die es macht, zu den entsprechenden Genehmigungen zu kommen.

Und last but not least liegt es auch an Handwerkern und Planern. Da orte ich großen Aufholbedarf was das Know-How anbelangt. Aber auch bei der Motivation, große Innovationssprünge überhaupt zu machen.
Schon bei unseren Bemühungen erlebe ich da enorme Engpässe – und das schlägt sich auf das Tempo bis es zur Umsetzung kommt.

Das klingt nicht gerade ermutigend. Wie kriegt man das denn bei euch – also im Kleinen – auf die Reihe?

Wir tun uns sicher leichter, weil die Grundmotivation der Bewohner:innen eines Projektes wie unserem eine andere ist. Da gibt es einen Grundkonsens. Aber sobald es ums Geld geht, stößt der auch bei uns an seine Grenzen: Vom Kopf her ist das Interesse aber groß. Das ist ein Vorteil.
Außerdem hilft uns die Vereinsstruktur – eine Genossenschaft war zur Gründung rechtlich nicht möglich – da ist die Entscheidungsfindung leichter als bei einer Eigentümergemeinschaft: Wir haben kein Einstimmigkeitsprinzip, es genügt eine Zweidrittelmehrheit.

Die Sargfabrik ist 25 Jahre alt und du sagst, sie „kommt in die Jahre“. Der Großteil der Wiener wohnt im Altbau. Ihr steht also schon besser da – und das reicht immer noch nicht. Kommt da wenigstens ihr zur Richtung Klima-Null? Wo genau setzt ihr an?

Fangen wir beim großen Brocken an, dem Gebäude an sich. Wir haben sichtbare, der Zeit geschuldete Schäden an der Fassade. Wir werden also die Fassaden nachhaltig instandsetzen und wollen sie bei dieser Gelegenheit auch thermisch weiter verbessern: Nach heutigem Stand der Technik ist auch ein 25 Jahre altes Gebäude wärmetechnisch „alt“. Dazu kommen Fenster und Glasflächen – das gehört auch verbessert und aufgerüstet.

Damit könnten wir in etwa 30 Prozent des Heiz-Wärme-Bedarfes reduzieren. Technisch geht das, wir müssen es aber auch finanziell schaffen. Beides ist knifflig. Technisch geht es viele Details – und einen enormen finanziellen Aufwand.

Dann sind wir aber immer noch erst bei einem Drittel der 240 Tonnen CO2: 160 ist nicht null: Das ist nicht genug.

Ja. Auf die geforderte Null kommen wir nur, wenn die gelieferte Energie auch null CO2-Emissionen hat. Der zweite Bereich ist also, das Potenzial der Erneuerbaren Energien im Haus auszuschöpfen. Wir haben seit 2002 eine thermische Solaranlage auf einem unserer Flachdächer. Die liefert 50 Megawattstunden im Jahr als Beitrag für die Warmwasserbereitung. Für das Bad, aber auch für Wohnungen. Dieses Potenzial wollen wir deutlich aufstocken, die Dachfläche optimal ausnutzen. Da haben wir schon wegen der Förderungen eingereicht.

Es gibt Möglichkeiten da Photovoltaik unterzubringen: Zur Stromproduktion haben wir drei Dächer zur Verfügung.
Aber auch das bringt nur einen kleinen Teil des Stroms, den wir brauchen. Wir kommen in Summe auf 50 kW auf unseren Dächern – mehr geht nicht.

Was wäre der Bedarf?

Wir brauchen rund 600.000 Kilowattstunden Strom im Jahr – wir schaffen also knapp zehn Prozent.

Immerhin. So läppert sich doch einiges zusammen – dazu kommen dann noch Fassadenbegrünung, Beschattung, eine „coole Straße“ und so weiter. Erreicht ihr so das Klimaziel?

Nein. Warum wir das trotzdem machen? Wir wollten nie ein reines „Schöner Wohnen“-Projekt sein, sondern immer auch die Umgebung mitgestalten. Da gibt es Projekte mit Anwohnern, etwa das „lebenswerte Matznerviertel“. Da geht es etwa um Wohnstraßen in überdimensionierten Gassen und Straßen. Einer der Aspekte ist aber natürlich auch, den Grünanteil aus Klimaschutzgründen zu vergrößern. Wir begrünen Fassaden auch, um kleinklimatische Verbesserungen zu erreichen.

Aber auch da gilt: Ohne großen Aufwand ist eine fassadengebundene Begrünung im Nachhinein nicht leicht zu realisieren. Das braucht viel Idealismus – und die Bereitschaft, dafür Geld auszugeben.

Wenn du den enormen finanziellen und ideellen Aufwand allein in der Sargfabrik anführst – einem Projekt, wo die Bewohner nicht von der Notwendigkeit von Umweltschutzmaßnahmen überzeugt werden müssen – ist, dann, wenn wir ein bisserl größer denken eine Frage unvermeidlich. Die „Baumeister-Bob-Frage“: Können wir das schaffen?

Ich bin eher mäßig optimistisch. Aber: Es ist alternativlos. Es ist nicht die Frage, ob wir das schaffen können – wir müssen.
Machbar wäre es, aber dafür müssen alle Beteiligten – von Bewohner:innen bis hin zur Wirtschaft und vor allem die Politik – an einem Strang ziehen. Wir müssen Hirnschmalz einsetzen – und das betrifft natürlich auch Finanzierungen und Kosten.

Das plagt natürlich auch uns: Wenn schon für diesen Anteil, für die Sargfabrik alleine, mehrere Millionen, aufgebracht werden müssen, braucht es Unterstützung. Finanzierungsmodelle und Förderungen, die rasch und effizient greifen. Sonst ist das alles nicht möglich.

Anders gefragt: Können wir es uns leisten, uns Klimaschutzmaßnahmen im Wohnbereich nicht leisten zu können?

Nein, denn diese Kosten holen uns dann von einer anderen Seite ein – in mindestens gleicher Höhe aber bei einer deutlich geringeren Lebensqualität.

Es ist alternativlos: Wenn wir nichts tun, passiert das, was die Klimamodelle vorhersagen – und dann müssen wir damit leben. Und dann ist unser Gestaltungsspielraum viel viel kleiner. Besser wir strengen uns jetzt an.

Kommen wir noch einmal von der kleinen Sargfabrik in die große Stadt: Ihr habt vor 25 Jahren mit einem ökologischen Mindset begonnen – und seht trotzdem großen Verbesserungs- und Nachholbedarf. Was bedeutet das für größere Wohnformen, für die Kommune? Hast du das Gefühl, dass Klima-Bewusstsein in der Stadt angekommen ist?

Ich weiß es nicht. Ich bin in diesem Bereich seit 30 Jahren aktiv. Und die Ziele sind dieselben, wie vor 30 oder 40 Jahren. Man hat das damals alles schon gewusst. Aber wir entwickeln uns nicht weiter. Bestenfalls stagnieren wir.

Ich glaube, dass ein Bewusstseinswandel eingesetzt hat – aber es gibt enorme psychologische Widerstände, die ersten – oder die nächsten – Schritte zu setzen. Weil es nicht einfach ist, eigenes Verhalten zu ändern.
Da muss viel passieren, da muss endlich Dynamik rein.
Und dafür wäre es wichtig, dass die Entscheidungsträger:innen aus den unterschiedlichsten Bereichen voraus gehen – und endlich Gas geben. Wobei „Gas geben“ hier wohl genau der falsche Begriff ist.