Das Wiener Startup „Keego“ hat die Sport-Trinkflasche neu erfunden. Beinahe jedenfalls. Eine hauchdünne Titanbeschichtung macht die Flaschen nicht nur langlebiger, sondern hält Wasser und Getränke auch keim- und schadstofffrei: Vor allem dem Ausspülen von Mikroplastik wird hier ein Riegel vorgeschoben.
Titan also. Titan ist ein Triggerwort. Das weiß Lukas Angst. Er versucht gar nicht, sich herauszureden: Ja, sagt der Gründer des Wiener Startups „Keego“, dass das Bekenntnis zur Verwendung des teuren, raren, weißliche Metalls bei klima- und umweltbewussten Menschen zumindest Stirnrunzeln auslöst, sei ihm bewusst. „Sehr bewusst.“ Denn dass Gewinnung und Verarbeitung des aus Titaneisenerz (Ilemit oder Rutil) gewonnenen Materials oft problematisch ist, ist kein Geheimnis.
Die Frage, so Angst, laute aber auch „was ist die Alternative?“ – Ein (selbst)kritischer Zugang zum Werkstoff helfe ihm, bei Beschaffung und Verarbeitung zumindest zu versuchen, auf Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen. Obwohl der Wiener sich da wenig Illusionen macht: Die hauchdünnen Titanschichten, mit denen er „seine“ Trinkflaschen innen beschichtet, haben in Summe – metaphorisch ebenso wie tatsächlich – zu wenig Gewicht, dass seine Fragen über Arbeitsbedingungen, Umweltauflagen oder Energieeffizienz bei Gewinnung und Herstellung des bei medizinischen Implantaten ebenso wie für Industrieanlagen, Schiffsschrauben oder Kampfflugzeuge intensiv genutzten Materials nachhaltige Wirkung zeigen könnten.
Angst stellt sie trotzdem. Denn: „Egal ist uns die Diskussion nicht. Hoffentlich greifen sie irgendwann auch größere Player auf.“ Dass er – nicht nur, aber auch deshalb – ständig daran arbeite, die Titanschichten in seinen hippen Flaschen so dünn wie nur irgendwie möglich zu halten und immer noch dünner zu bekommen, „versteht sich von selbst.“ Aber: Titan wirft Fragen auf. Das ist Lukas Angst klar. Und im Gegensatz zu vielen anderen stellt er sich ihnen.
Eben auch mit der Gegenfrage: „Was ist Plan B?“ Denn genau diese Frage hat den aus der Schweiz stammenden Ex-Hockey- und Football-Liga-Spieler im Sommer 2016 auf einer Bergwanderung erstmals beschäftigt. Die Trinkflaschen, die er und seine Gruppe mithatten – und auch bei anderen Wanderern sahen – waren nämlich alles andere als Optimallösungen. Entweder waren sie schwer und starr – aus Stahl oder aus Aluminium, mitunter auch aus Glas, also zerbrechlich. Oder aber aus weichem Plastik – egal ob da Einwegflaschen aus dem Getränkeregal das Supermarktes oder Fahrradflaschen und Trinkblasen in den Taschen der Rucksäcke steckten.
Fakt ist, dass Mikroplastik ein Megaproblem ist.
Lukas Angst
Gründer von KeegoGebinde, von denen Angst – wie praktisch jeder, der sie je beim Sport verwendet – weiß, dass sie meist rasch ihren Eigengeschmack an den Inhalt abzugeben. Dass sie müffeln. Dass sie leicht Schimmel ansetzen, den man dann kaum bis gar nicht mehr weg bekommt. Dass man immer auch ein wenig Flasche trinkt: Mikroplastik nämlich. Auch wenn das meiste davon den Körper wieder verlässt, bleibt ein bisserl. Oder aber, wichtiger, landet in der Umwelt – und bleibt dort.
Die Diskussion, in welchen Tieren, in welchen Organismen und in welchen Meeren Mikroplastik überall bereits „heimisch“ ist, darüber, was es mittel und langfristig bewirkt, hier im Detail zu führen, würde zu weit führen. Fakt ist, dass Mikroplastik ein Megaproblem ist. Und in Lukas Angst Überlegungen, Trinkflaschen besser und nachhaltiger zu machen, eine zentrale Rolle spielte. Obwohl auch Anderes zählte: Leichtigkeit, Geschmacksneutralität, Langlebigkeit – und „Usability“. Denn beim Sport – vor allem beim Radfahren – sind Flaschen, aus denen man nur trinken kann, wenn man den Kopf weit in den Nacken legt, nicht bloß unpraktisch, sondern auch gefährlich.
EIERLEGENDE WOLLMILCHSAU
Auf der Suche nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ stolperte Angst da noch über andere Minuspunkte gängiger Plastik-, also PET-Flaschen: Dass Hygieniker seit Jahren empfehlen, solche Flaschen – auch wenn man sie regelmäßig im Geschirrspüler wäscht – allerhöchstens ein Jahr zu verwenden etwa: Ein hübscher Müllberg …
Oder dass in so gut wie allen Kunststoffflaschen Weichmacher und andere für den Körper und/oder die Umwelt hochproblematische Stoffe verarbeitet sind. Dass jeder Mensch pro Woche rund fünf Gramm Plastik (in etwa das Gewicht einer Kreditkarte) isst oder trinkt. Und so weiter: je länger und intensiver er sich mit der Thematik befasste, umso klarer war dem gebürtigen Ex-Football-Spieler, der schon für Hugo Boss und Red Bull im E-Commerce arbeitete, dass die Zeit reif für Neues war. Bloß: Was genau?
Auf Titan in ultraleichten, quetschbaren und innen beschichteten Flaschen kam der in Wien lebende Eidgenosse dann mit der Montanuniversität in Leoben: Gemeinsam experimentierte man mehrere Jahre – und hatte Ende 2020 erstmals ein serienreifes Produkt in der Hand. Aber kein Geld. Das kam über eine Kickstarterkampagne zusammen.
Keego an aller Influencer-Munde
Ab dann ging es Schlag auf Schlag: Dass Angst bei Red Bull gelernt hatte, wie man eine junge, hippe und sportaffine Zielgruppe anspricht, war da sicher kein Schaden: Plötzlich war die „Keego“ nicht in sondern an aller Munde. Stand bei Influencern wie zufällig im „Gym“ ebenso wie beim Yoga im Bild – und war vor allem bei Radfahrer:innen auf Social Media sehr rasch unübersehbar-omnipräsent. Obwohl die Flaschen alles andere als billig sind. Aber wer für Rennrad und Edel-Outfits tausende Euro hinlegt, den oder die schrecken 40 Euro einer Keego dann eher nicht.
Erst recht nicht, wenn man jetzt, Jahre nachdem die erste, im Vergleich zu den heutigen Flaschen noch „bockharte“ Generation auf den Markt kam (heute hält man er der verfeinerten und deutlich leichter quetschbaren vierten Generation), Userberichte und Rezensionen liest: Die Flaschen sind – innen – so gut wie unkaputtbar. Auch wenn sie außen Gebrauchsspuren haben, ist ihr Innenleben intakt: Wasser schmeckt wie Wasser, auch Iso- und andere Getränke behalten Geschmack und Geruch. Schimmel scheitert, wenn man die Flaschen regelmäßig einfach nur mit Wasser ausspült, auch nach Jahren noch an den hauchdünnen antibakteriellen Titanschichten. Und irgendwann amortisiert sich der Anschaffungspreis dann ja… Und mit 87 Gramm kann die 0,7-Liter Flasche (es gibt auch kleinere Modelle) auch was das Leer-Gewicht angeht, mit den Wegwerfmodellen durchaus konkurrieren.
Und: Vielen Leuten ist es auch nicht egal, auf einer Radtour, beim Sport oder einfach nur wenn man unterwegs ist, von anderen als „Trendsetter“ erkannt und angesprochen zu werden – obwohl das natürlich niemand zugibt.
Nachhaltigkeit vs Nachhaltigkeit
Ist die Keego – der Name steht übrigens für „Keep Going“ – also die eierlegende Wollmilchsau unter den Sport- und Unterwegs-Trinkflaschen? Die endgültig-nachhaltige und gesunde Antwort auf alle mobilen und sportlichen Hydrationsfragen? Lukas Angst schmunzelt geschmeichelt – sagt dann aber doch: Jein.
Zum einen, weil es immer noch die Titan-Debatte gibt. Aber auch, weil es mitunter vorkommt, dass Menschen dann vor lauter Begeisterung über ein (mit den oben erwähnten Einschränkungen) nachhaltiges Produkt, das Kind mit dem Bade ausschütten.
So soll die Betreiberin eines Wiener Yogastudios ihren Kund:innen verordnet haben, ab sofort keine Plastik- sondern nur noch Keegos (oder Stahl, Glas oder Alu-„Flasks“) mit zur Matte zu nehmen. Prompt landeten dutzende „klassische“ Sportflaschen im Müll. Teils waren sie neu. Teils soeben im Supermarkt gekauft, umgefüllt – und weggeworfen.
Auch wenn Lukas Angst sich freut, wenn „seine“ Flaschen das Bild prägen, schüttelt er den Kopf: Dinge, die sich schon in Verwendung befinden und ihre Aufgabe noch lange gut erfüllen können ohne ein Problem größer zu machen, als es ohnehin schon ist, in dem Augenblick wegzuwerfen, in dem ein schickes Alternativprodukt am Radar auftaucht, anstatt zu warten, bis der Nutzungs- oder Lebenszyklus des verwendeten Teils endet, ist falsch verstandenes Nachhaltigkeitsdenken.
Aber – gerade wenn es um Produkte mit hohem Trend- und Lifestyle-Faktor geht, man ein sichtbares Zeichen setzen möchte und auf die Mikroplastik-Diskussion fokussiert – doch auch wieder ein bisserl nachvollziehbar: Nur schwarz und weiß gibt es eben nicht.
Womit wir wieder bei der Titan-Frage wären: Welcher „Plan B“ der individuell richtige ist, muss jeder und jede selbst entscheiden.
Mehr Infos unter: www.keego.at
Bilder: (c) Tom Rottenberg
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