Weil Österreich keine Anstalten macht, die im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele um- oder durchzusetzen, verklagt Harvard-Anwältin Michaela Krömer die Republik nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Der Staat, sagt sie, versäumt seine „Schutzpflicht“ gegenüber den Staatsbürger*innen. Ein Präzedenzfall – der weitreichende Folgen haben kann, wie sie im Interview mit Tom Rottenberg erklärt.

Frau Krömer, Sie vertreten derzeit Herrn Mex M. bei der ersten „Klimaklage“ gegen die Republik Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Was ist das genau und was bedeutet das?

Man bringt Beschwerden beim EGMR ein, wenn man in seinem eigenen Land keine Möglichkeit hat, das zu tun oder schon gescheitert ist. Ich komme immer nur dann zu Höchstgerichten, wenn ich schon im Vorfeld etwas erfolglos probiert habe oder keine Möglichkeit dazu habe. Der Gerichtshof ist die Autorität für Fragen der europäischen Menschenrechtskonvention und wie diese auszulegen ist.

Zum Klimaschutz gibt es da noch keine Entscheidung, sehr wohl aber im Zusammenhang mit Naturkatastrophen und negativen Umwelteinflüssen – also auch lokalen Auswirkungen der Klimakrise. Deswegen ist es ein großes Bestreben, hier eine Ansage des Gerichtshofes zu haben, wie diese Fälle auszulegen sind und ob es auch hier Schutzpflichten der Staaten gibt.

Es gibt derzeit auch Klagen aus anderen Ländern – und das ist spannend, weil eine Entscheidung für alle 47 Mitgliedsstaaten Auswirkungen hat.

Herr M., der Kläger, hat eine Sonderform von Multipler Sklerose: Bei Temperaturen ab 25 Grad ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Das ist ein schwerer Schicksalsschlag, keine Frage. Aber was hat das mit Klimapolitik zu tun?

Er steht mitten im Leben und hat noch eine lange Lebenserwartung. Juristisch gesprochen ist es aber schwierig, den Kausalzusammenhang zwischen der Klimakrise und der konkreten Betroffenheit nachzuweisen.

Da braucht es eine starke wissenschaftliche Basis. Wichtig ist, dass ich sagen kann: Was sind Auswirkungen der Klimakrise? Unter anderem ein genereller Anstieg der Durchschnittstemperaturen und das Zunehmen der Hitzetage.

Beides hat für Herr M. konkrete, reale Auswirkungen: bei 25 Grad ist er auf den Rollstuhl angewiesen, bei 30 Grad kann er nicht mehr selbst schieben. Wir berufen uns auf die wissenschaftlichen Belege, dass die Hitzetage und Durchschnittstemperaturen ansteigen. Das heißt: der Zeitraum, in dem er massiv beeinträchtigt ist, nimmt zu.

Das ist eine Betroffenheit im Sinne des Artikel 8 der Menschenrechtskonvention: Dafür, dass man krank wird, kann man den Staat ja nicht verantwortlich machen – aber Artikel 8 schützt meine Privatsphäre, mein Wohlbefinden, meine generelle psychische und physische Verfassung, wenn die negativ beeinträchtigt wird.

Etwa wenn ich neben einer Fabrik lebe und einer permanenten Lärmbelästigung ausgesetzt bin. Hier ist die Beeinträchtigung die, dass er sich nicht mehr selbstständig bewegen kann.

Mex M. hat eine Sonderform von Multipler Sklerose: Ab 25 Grad ist er auf den Rollstuhl angewiesen.

Im Sommer hatte es in Österreich auch schon früher oft über 25 Grad. Wieso ist jetzt plötzlich der Staat am Sommer schuld?

Man kann belegen, dass die Tage an denen es 25 Grad und mehr hat, zunehmen. Die heißesten Sommer haben in den letzten zehn Jahren stattgefunden. Das heißt wir können beobachten, dass die Klimakrise eine Verschärfung bewirkt.

Klar: die Klimakrise ist ein globales Phänomen. Nach internationalem Recht – und so ist auch das Pariser Übereinkommen formuliert – muss jeder Staat seinen Teil beitragen und kann sich nicht darauf ausreden, dass andere ihren auch nicht erfüllt. Man wird dadurch nicht aus der eigenen Verantwortung entlassen.

Die Vertragsparteien des Pariser Abkommens haben sich auf die berühmten 1,5 und zwei Grad-Temperaturgrenzen festgelegt, die es braucht, um zu verhindern, dass aus dieser Krise keine Katastrophe wird.

Man hat vereinbart, dass jeder seinen Anteil dagegen macht. Dieser Verantwortung kommt Österreich nicht nach. Nachweislich und über viele, viele Jahre.

Nicht die letzten zwei Jahre sondern seit vielen Jahre hält Österreich seine Klimaziele nicht ein.

Nicht einmal Ziele, die sogar weniger wären als die des Pariser Abkommens. Wir haben hier eine offenkundige Verfehlung und diese offenkundigen Verfehlungen kann ein Gerichtshof aufgreifen.

Und dann?

Ein Gericht kann der Politik nicht vorschreiben, was sie konkret tun muss. Aber bei offenkundigen Verfehlungen kann das Gericht sagen „ihr kommt eurer Schutzpflicht nicht nach“.

Schon. Aber was bewirkt das?

Wenn das Gericht festhält, dass die Pariser Ziele einzuhalten sind, dann muss auch vorgelegt werden, wie. Das führt zu einer Gesetzesänderung – also Klimaziele, die wir im Moment gar nicht haben, Gesetzesänderungen im Einklang mit dem Pariser Abkommen.

Das Klimavolksbegehren hat genau diese Forderung, dass man das Treibhausgas-Budget verfassungsrechtlich verankert. Vermutlich wird der Gerichtshof nicht sagen, ‚ihr müsst das so oder so machen‘, sondern ‚ihr müsst nachweisen, die gesetzlich Grundlagen geschaffen zu haben, dass die Ziele eingehalten werden‘. Es wäre auch denkbar, dass er sagt, ‚klimaschädliche Subventionen die Österreich selbstständig abschaffen kann, sind abzuschaffen’.

Michaela Krömer mit Kläger Mex M.

Das ist viel – aber ist es alles?

Das wäre erst der erste Punkt: Die Schutzpflichten.

Der zweite Teil betrifft die Möglichkeit, mich überhaupt zu beschweren. Also die Möglichkeit, mein Recht geltend zu machen und damit vor Gericht zu gehen. Das nennt man den ‚access to justice‘-Aspekt. Und auch der wird Teil des Verfahrens sein – und auch der würde auf eine Gesetzesänderung hinauslaufen.

Aber was hat Mex M. davon, wenn Österreich verurteilt wird, Klimaziele einzuhalten? Sogar wenn Österreich verurteilt wird, wird es nicht kühler. Sollte Herr M. nicht besser nach Norwegen auswandern?

Es geht meinem Mandanten nicht um sich. Er will, dass sich für alle etwas ändert. Wenn ein Verfahren vor dem EGMR erfolgreich ist, gilt es für alle 47 Mitgliedsstaaten.

Es braucht bei gesellschaftspolitischen Veränderungen immer eine Rosa Parks. Also Personen, die sich im weitesten Sinne „opfern“ – und für alle einen Schritt setzen.

Außerdem: Auch in Norwegen gibt es Tage mit über 25 Grad – und sie werden mehr. Es ist auch eine Zumutung, Menschen zu sagen, sie mögen emigrieren. Ganz abgesehen von der Frage, ob man als Klimaflüchtling einen Aufenthaltstitel bekommt, ob das ein Asylgrund wäre.

Und was haben normale Bürger*innen davon, wenn dieser Fall durchgeht?

Ein Gerichtsurteil bringt Ihnen die Möglichkeit, dann vor Gericht einzufordern, dass es auch eingehalten wird. Da gibt es dann auch Druckmittel. Finanzielle. Politische. Strategische Verfahren muss man auch in einem Gesamtkontext sehen.

Es braucht die Zivilgesellschaft, um einzufordern und Druck zu machen.

Und man darf den Druck nicht unterschätzen, der auf einem Land ruht, wenn ein internationaler Gerichtshof dieses Land verurteilt hat: Solchen Verpflichtungen wird nachgekommen. Sie sind einklagbar – und mehr Richter werden Urteile erlassen.

Es gibt auch Fälle, wo Richter dort, wo ein Urteil nicht eingehalten worden ist – auch im Umweltbereich – Verordnungen erlassen haben. Aber der erste Schritt in dieser Kette ist ein positives Gerichtsurteil.

Machen Sie das aus Altruismus und Idealismus – oder geht es Ihnen auch darum, sich einen Namen zu machen?

Ich bin Juristin, weil ich etwas verändern will: Die Klimakrise ist keine Ego-Sache.

Es gibt noch zwei andere europäische Klimaklagen: Die Schweizer KlimaseniorInnen und eine portugiesische Klage, in der Jugendliche ihr Recht auf Zukunft einklagen: Rollt da eine Welle an?

Wir sind im Austausch, weil es wichtig ist, sich abzusprechen. Der Mehrheit der Personen, die hier beteiligt sind, ist wichtig, ist dass wir einen ersten Sieg bekommen – unabhängig in welchem Land: Wir brauchen dringend eine Judikatur.

Unsere Argumente bauen aufeinander auf, wir unterstützen einander. Da ist viel Kooperation vorhanden und die ist notwendig: Es geht hier um eine Bewegung auf europäischer Ebene.

Kommen wir zum Geld. Es gibt etliche Initiativen und Plattformen, die diesen Fall finanziell mittragen – wie etwa die oekostrom AG. Aber wie sieht es generell aus mit Unterstützung bei solchen Themen: Wie wichtig ist Crowdfunding?

Crowdfunding wird wichtiger. Die Zivilgesellschaft ist bereit, zu unterstützen, weil Bewusstsein für das Thema vorhanden ist. Wir haben aber nach wie vor die Problematik, dass wohltätige Arbeit oder Arbeit, die nicht auf Kapitalanreicherung ausgerichtet ist, oft nicht gleich wertgeschätzt wird wie Arbeit, die genau das ist. Das ist ein Problem, weil man sich oft rechtfertigen muss. Dass man sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht ‚warum machst du das nicht pro bono‘?

Wenn hier jenes Umdenken einsetzt, das es aus meiner Sicht auch braucht, wird es auch leichter, Unterstützung zu bekommen – und nicht betteln zu müssen.

oekostrom AG-CEO Ulrich Streibl erklärt das Engagement der oekostrom AG für diese Klage so: „Die Klimakrise hat bereits heute – und nicht erst in ferner Zukunft – deutliche Auswirkungen auf die Menschen. Wir müssen jetzt mutig sein und für eine klimagerechte Zukunft aufstehen!“ Gibt es solche Erklärungen von Unternehmen und Initiativen heute öfter als früher? Beginnt da ein Umbruch sichtbar zu werden?

Ich glaube, dass wir jetzt an einem Zeitpunkt sind, an dem Aufbruchsstimmung zu spüren ist – und jetzt werden wir sehen, wie nachhaltig die ist: Wir haben wahnsinnig viel zu tun.

Wir freuen uns, die Klimaklage mit 3.000 € unterstützen zu dürfen. Auch Sie können gleich jetzt aktiv werden und sich im Rahmen eines Crowdfundings an dieser Klimaklage beteiligen: https://klimaklage.fridaysforfuture.at/