Leonhard Steinbauer forscht und experimentiert an der Versuchsstation für Obst- und Weinbau der steirischen Landesregierung in Haidegg über die Auswirkung von Agri-PV-Anlagen beim Obstanbau. Sein Fazit: Solarmodule über Pflanzen schützen Bäume, reduzieren den Krankheits- und Schädlingsbefall und sichern den Ertrag – außerdem liefern sie Strom.

Doch obwohl rund ein Viertel der steirischen Obst-Agrarflächen für Agri-PV geeignet wären, tut sich wenig. Wieso? Weil der Strom vom „Obstgarten“ nicht zum Leitungsnetz kommt.

Herr Steinbauer, Agri-PV ist mittlerweile vielen, aber längst nicht allen, ein Begriff. Wollen wir zunächst einmal kurz erklären, was Agri-PV ist und was Sie damit zu tun haben?

Vereinfacht gesagt, ist Agri-PV die Doppelnutzung agrarischer Flächen. Für landwirtschaftliche Produktion einerseits, andererseits aber auch zur Produktion von Strom durch Photovoltaikanlagen. Im Obstbau in erster Linie durch PV-Module mit Ost- und West-Ausrichtung, weil die übliche Reihenausrichtung Nord/Süd erfolgt. Wir setzen also nicht auf den Mittagspeak, sondern erzeugen den Strom an den Tagesrändern.

Grob vereinfacht und laienhaft formuliert stellt man eine Art Carport über eine landwirtschaftliche Nutzflächen - sei es Weide, Acker, oder Obst- oder Weingarten - und erntet doppelt: oben Strom und landwirtschaftliche Produkte.

Leonhard Steinbauer

Forscher für Obst- und Weinbau

Das klingt ein wenig wie das Ei des Kolumbus.

Ja, die Doppelnutzung ist der erste große Vorteil. Schließlich will man wertvolle Landwirtschaftsflächen nicht mit Photovoltaik zumachen, weil diese Flächen dann ja für die Nahrungsmittelproduktion fehlen.

„Der erste“ impliziert „nicht der einzige“, oder?

Genau. Denn durch Agri-PV-Anlagen schützt man Kulturpflanzen auch vor Umwelteinflüssen. Bei uns im Obstbau ist es so, dass wir dank der Paneele über den Obstbäumen auf chemischen Pflanzenschutz bis jetzt

Als Laie hätte ich eventuell vermutet, dass die Paneele den Pflanzen Licht wegnehmen könnten …

Keineswegs, denn die verwendeten Paneele sind zu 49 Prozent lichtdurchlässig. Sie lassen genug Licht durch, schützen aber vor Regen und Feuchtigkeit: Das verringert die Anfälligkeit für Pilzerkrankungen. Der sogenannte „Carport Effekt“ (es ist unter einem Carport-Dach etwas wärmer; Anm.) schützt außerdem auch vor Spät-Frösten und anderen Extremwetterereignissen. Das Einzige, wovor die Paneele nicht schützen, ist Hagel – da ist das PV-Panel wie ein Billardtisch, von dem der Hagel abprallt und in der nächsten Reihe einschlägt.

Werden Agri-PV-Anlagen in der Literatur auch „aktiver Pflanzenschutz“ genannt?

Ja. Die meisten Pilzkrankheiten benötigen für ihre Entwicklung zwei Parameter: warmes Wetter – also höhere Temperaturen – und Feuchtigkeit auf den Blättern. Das führt beim Apfel zu Schorfinfektionen auf den Blättern und Früchten. Aber weil die Blätter unter der PV trocken bleiben, können sich Schorfpilze und andere Krankheiten auch nicht so leicht entwickeln.

Gibt es dazu Zahlen oder andere auch Laien verständliche Erkenntnisse?

Ganz so einfach, mit einer schlichten Zahl, lässt sich das nicht illustrieren. Aber die Ergebnisse sind so eindeutig, dass die Anwender:innen verstehen, was man gewinnen oder einsparen kann. Wir haben bisher Erfahrungen mit Äpfeln, Birnen, Pfirsichen und Marillen gesammelt – und auch wenn sehr wahrscheinlich ist, dass das für andere Arten, Sorten und Pflanzen auch gilt: Man muss sich natürlich jede Obstart separat anschauen.

Sie experimentieren schon eine Weile mit Agri-PV im Obstbau. Wie lange – und was sind die bisherigen Erkenntnisse? Ist das auch wirtschaftlich ergiebig?

Bei Versuchsanlage geht es um Erfahrungswerte und Erkenntnisse, nicht um lukrative Ergebnisse: Wir haben unsere Anlage seit 2022 – und natürlich ist eine Versuchsanlage kostenintensiver als eine gewerbliche Anlage, weil unter anderem die Paneele eigens für uns erzeugt worden sind.

Der Erfolg ist, dass wir heute sagen können, dass das wirklich funktioniert. Dass man Agri PV in der Landwirtschaft, eben auch im Obstbau, professionell und erfolgreich einsetzen kann.

Wir als oekostrom AG sind da ja auch dabei – allerdings stehen unter unseren Agri-PV-Paneelen in der Steiermark keine Obstbäume, sondern Schafe. Außerdem wird dort Heu gemacht. Andere bauen Gemüse und andere Pflanzen unter Agri-PV-Modulen an: Haben wir hier also die eierlegende Wollmilchsau, eine Universallösung?

Weniger oder keine Pestizide und Fungizide, höhere und besser Erträge, Bodenschutz – und erneuerbare Energie. Aber wenn etwas so gut klingt, gibt es immer auch einen Haken.

Ja. So einfach wie es klingt, ist es leider nicht: Man kann das nämlich nicht überall ausrollen.

Wieso nicht?

Das wichtigste Thema und auch das größte Problem bei der Errichtung solcher Angaben ist der Netzzugang. Wenn der nicht da ist, kann ich das schlicht und einfach nicht realisieren. In der Steiermark gehen wir davon aus, dass etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Obstbau-Flächen für Agri-PV-Nutzung geeignet wären. Das Nadelöhr heißt aber Netzzugang: Der Netzausbau müsste massiv und sehr schnell voranschreiten – sonst funktioniert das nicht.

Was genau heißt das?

Vereinfacht gesagt: Die großen, starken Leitungen gehen von zentralen großen Kraftwerken aus – und nicht von dezentral verteilten Kleinversorgern.

Unsere Netze sind Versorgungsnetze, die etwa bei großen Laufkraftwerken an den wichtigsten Flüssen wie Donau und Drau am stärksten sind. Sie sind historisch so gewachsen. Heute, in der Energiewende, würden wir aber auch Verteilungsnetze brauchen – auf engsten Raum. Ein Netz, das regionalen Strom aufnimmt und verteilt, aber nicht über große Strecken riesige Strommengen transportieren muss.

Den Strom, den wir brauchen, um bis 2030 bilanziell eine 100-prozentige Versorgung mit erneuerbarem Strom zu erreichen, könnten wir schon heute auf landwirtschaftlichen Flächen erzeugen. Nur: Wenn die Netze nicht dafür ausgelegt sind, geht das eben nicht.

Leonhard Steinbauer

Forscher für Obst- und Weinbau

Bevor wir da ins Detail gehen: Der Ausbau solcher Anlagen hat auch Kritiker. Es heißt, das würde eine höhere Bodenversiegelung in landwirtschaftlichen Gebieten bringen:  Fundamente, Steher, Zufahrten, Trafostationen …

Nein, durch Agri-PV geht weder Fläche verloren noch wird sie versiegelt: Es werden beispielsweise für die Paneele keine Fundamente betoniert, sondern lediglich Steher in den Boden gerammt. Da wird nicht versiegelt! Flächen werden durch immer neue Autobahnen versiegelt. Oder durch Parkplätze rund um Supermarktcluster und das nächste Fachmarktzentrum, das keiner mehr braucht. Durch leerstehende Hallen… Was da an Flächenfraß immer noch stattfindet, ist ein Wahnsinn. Das Problem sind wahrlich nicht ein paar PV-Anlagen!

Andere Kritiker mahnen Ästhetik, Landschaftsschutz und Landschaftsbild ein.

Man muss sich für das kleinere Übel entscheiden. Und dass wir, um die Klimaziele zu erreichen, die Erneuerbaren massiv fördern müssen, ist glaube ich, mittlerweile unumstritten.

Aber wieso bauen wir das dann über Agrarflächen – anstatt die Fachmarktcenter-Parkplätze zu überdachen? Dort stellt sich die Ästhetikfrage ja nicht.

Was spricht dagegen, beides zu tun? Was spricht dagegen, auch jede Seilbahnstation rundherum mit Paneelen voll zu pflastern? Da wären sogar die dicken Kabel schon dort – und man hätte durch den Albedoeffekt mehr Winterstrom.

Es wird aber nicht gemacht: Man sprengt halbe Gipfel weg, damit die Leute bequem aus der Seilbahn aussteigen können – aber, nein, um nachhaltige Energien zu erzeugen, fehlen Wille und Ressourcen. Warum werden nicht alle Beschneiungs-Speicherseen 11 Monate im Jahr als Pump-Speicherkraftwerke genutzt? Das wäre nicht schwer zu realisieren. Man könnte auch Lawinenverbauungen mit Paneelen ausstatten …

Kurz: Es gäbe so viele Möglichkeiten. Und bei etlichen müsste man sich viel weniger mit Fragen der Leitungs-Infrastruktur herumschlagen als bei der Anbindung an landwirtschaftliche Flächen.

Trotzdem sagen sie selbst: Sowohl als auch. Wie reagiert denn ihre Branche, die Landwirtschaft, auf ihre Ergebnisse und Studien?

Die Branche will. Und würde auch. Aber das Problem ist eben, dass die Leute keinen Netzzugang bekommen. Das ist ein Knockout-Kriterium: Wenn man den nicht kriegt, brauche ich nicht darüber nachdenken, so eine Anlage aufzustellen. Wenn ich meine Stromerträge nicht ins Netz bringen kann, ist klar, dass die Anlagen dafür nicht errichtet werden.

Wer ist da der Böse? Wer bremst?

Das Problem heißt „Transparenz“: Die gibt es erst ab Netzebene 5. Auf Deutsch: Alles über 20kV ist geheim oder wird so behandelt. Da ist es unmöglich, seriös zu eruieren, ob, wie, zu welchen Bedingungen und Kosten man mit dem Strom ans Netz kommt. Es wäre Sache der Politik, hier Transparenz zu schaffen und auch dafür zu sorgen, dass man den Netzausbau national vorantreibt, dass man sagt: „Das ist ein nationales Anliegen, das wird ab jetzt zentral gesteuert“.

oekostrom AG: Ein hohes Gebäude mit einem Fenstergitter wird teilweise von grünen, belaubten Zweigen verdeckt und steht in Kontrast zu einem klaren, blauen Himmel.

Sie sagen also, dass die Landwirtschaft „Paneel bei Fuß“ bereitstünde?

Im Großen und Ganz ja. Es gibt aber auch viele, die das Kapital mittlerweile nicht mehr aufbringen können. Auch weil es schwierig ist, Investition und Amortisation zu kalkulieren: Die Einspeisetarife ändern sich ständig – und sind gerade wieder gesunken. Das Teure an so einer Anlage sind ja nicht die Module, sondern der Trafo. Das Zweitteuerste ist die Ableitung vom Trafo zum Netz. Dann kommen die Wechselrichter, die während der Paneel-Nutzungsdauer einmal erneuert werden müssen. Erst dann die Paneele – und die werden immer effizienter und billiger.

Das heißt, das Kernproblem ist die Frage, wie man den Strom unter die Leute bringt.

Absolut. Das ist das zentrale und primäre Kriterium. Aber da gibt es keine Diskussion. Da tut sich so gut wie nichts. Ich sehe nicht, dass sich da irgendetwas tatsächlich bewegt.

Darum nochmal die Frage: Wer bremst?

Alle, die im Moment mit Strom sehr viel Geld verdienen und verlieren könnten, wenn sie in Zukunft weniger Marktanteile haben. Da gibt es viele Player, die am Status quo gut verdienen und wenig Interesse haben, dass sich daran etwas ändert