Mindestens jedes dritte verkaufte Fahrrad ist mittlerweile ein E-Bike. Und die Klimavorteile der „Pedelecs“ liegen auf der Hand, wenn man sie mit Autos vergleicht. Nur: Sind es – im Alltagsverkehr – wirklich Autokilometer, die durch das E-Biken eingespart werden?  

In der Diskussion um die „Verkehrswende“ kommt irgendwann der Moment, in dem das Wort „E-Bike“ fällt. Mit guter Absicht und noch besseren Gründen. Schließlich ist das Fahrrad – als Verkehrsmittel, nicht als Sportgerät – ein zentraler Faktor, wenn Verkehrsbelastungen reduziert, Mobilität aber erhalten werden soll. Nicht nur wegen Abgasbelastung und Klimabilanz von Benzin- und Dieselfahrzeugen, sondern auch aus Park- wieder Lebensräume zu machen. Um Platz für Menschen zu schaffen und der Bodenversiegelung entgegenzutreten.

Zu erklären, wieso das Fahrrad da gut und sinnvoll ist, ist müßig. Und wenn man doch diskutieren muss, etwa weil irgendwer sagt, dass Topografie, Dresscodes, Alter oder Fitnesszustand mancher Menschen ein Problem sein könnten, und man deshalb eben weiterhin Auto fahren „müsse“, betritt das E-Bike die Bühne. Zurecht.

Und mit Erfolg: E-Bikes boomen seit Jahren. Mittlerweile ist jedes dritte, in manchen Regionen jedes zweite, verkaufte Fahrrad eines mit E vorne dran, also ein „Pedelec“.

Bei rund 400.000 jährlich in Österreich verkauften Fahrrädern ist jedes dritte ein E-Bike: Wow!

Und gut. Ja, auch wenn eingefleischte „Bio-Biker“ (den Terminus gibt es tatsächlich) dem E-Bike eine angebliche „böse“ Ökobilanz vorhalten. Nicht nur Motor und Akku werden gebrandmarkt, sondern meist das ganze Rad: Herstellung, Materialaufwand und Transport also. So, als würden nicht auch fast alle „normalen“ Fahrräder in Fernost gefertigt. Egal: Der Energieverbrauch durchs E-Biken ist ja auch Pfui. Und die Akku-Entsorgungsproblematik …

Natürlich sind das Argumente. Dennoch sind sie scheinheilig. Nicht nur weil kaum ein „Bio-Biker“ auf den Herkunfts-CO2-Imprint des eigenen „sauberen“ Hipster-Bikes hinweist, (die stammen eventuell aus der gleichen Fabrik und dem gleichen Containerschiff), sondern aus einem anderen Grund: Weil dadurch Bemühungen von Menschen, die ohne Pedelec gezwungen wären, weit schädlicheres Verhalten zu perpetuieren, pauschal schlechtgeredet werden.

Nicht nur das 75-jährige „Muaterl“, das mit dem E-Bike zum Supermarkt oder zur Kirche fahren könnte (und würde) verschreckt man so. Auch der Anwalt, der nicht verschwitzt im Anzug vor Gericht auftreten darf, sitzt dann – wenn ohnehin geschimpft wird – weiter in der vollklimatisierten Limousine im Stau. Genauso wie die Betreiber des „Elterntaxis“ ihre Kinder weiter per SUV statt per E-unterstütztem Lastenrad vor der Schule absetzen.

Die Öko-Bilanz des E-Bikes

Obwohl die Öko-Unterschiede zwischen E-Bike und Auto (ja, auch zum E-Auto) – Obacht, Sensation! – enorm sind: Über den geringeren Energieverbrauch eines Fahrrades samt Passagier*Innen und Gepäck im Vergleich zu einem PKW mit gleicher Beladung brauchen wir hoffentlich nicht zu streiten. Aber auch der Klima- und Umweltimpact der Herstellung der tatsächlich nicht unproblematischen Pedelec-Akkus ist nach 100 vermiedenen PKW-Kilometern aufgehoben. Die Entsorgung schlägt – wir ignorieren jetzt die Auto-Entsorgungsproblematik einfach gänzlich – ähnlich zu Buche. Und so weiter. Nein, überraschend ist das alles wahrlich nicht. Dennoch wird all das in Verkehrswende-Debatten oft, gerne und ausführlich referiert.

Trotzdem gibt es ein gewaltiges „Aber“. Doch erstaunlicherweise kommt das kaum je vor: Die Frage, wer im Alltagsverkehr (wieder: ungleich Sport- und Freizeitradeln) eigentlich aufs Pedelec steigt, nämlich. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich weiß der Handel genau, wer wann wo und warum plant ein E-Bike zu kaufen. Oder schon eines hat. 2020 hat der Fahrradkomponentenhersteller Shimano dazu eine europaweit angelegte, große Motiv-Studie publiziert. Kurzgefasst komprimiert: Fast überall werden als Hauptgründe für das Elektrorad höhere Reichweiten bei gleicher Anstrengung und/oder weniger Zeitaufwand und das problemlosere Hügelbewältigen angeführt. Toll. Und nachvollziehbar.

E-Bike als Auto-Ersatz?

Nur wurde da eben eines nicht abgefragt: Ob oder wie oft das E-Bike ein Auto ersetzen wird oder schon ersetzt, taucht weder in dieser noch in anderen E-Bike relevanten Studien oder Umfragen auf. Stattdessen schwärmen offensichtlich ohnehin intensiv Radfahrende von den Vorteilen eines möglichen oder angedachten Umstieges: Von „Bio“ auf „E“ also – doch genau das „nullt“ dann jene Klimavorzüge, die in Verkehrsdebatten stets zugunsten des E-Bikes vorgebracht werden.

Ich habe das unlängst anderswo angerissen. Und bekam Lob und Zuspruch aus zwei Lagern, die einander sonst spinnefeind sind: Überzeugte Autofahrer*Innen lobten mich, weil „ein Rad-Taliban endlich die Wahrheit über die E-Bike-Lüge sagt“. Ideologie-Biker*Innen (denen ich sonst immer zu konziliant bin) priesen mich mit fast identen Worten.

Ein gelbes E-Bike lehnt an einer leuchtend gelben Wand, die mit grünen Graffiti bedeckt ist. In der Nähe liegen verstreut trockene Blätter auf dem Boden.

Zwischentöne gingen da unter: Zum einen, dass es gut ist, wenn ältere, und weniger sportliche Personen, für die tägliche Wege mit dem „echten“ Fahrrad mitunter eben doch zu beschwerlich sein können, doch noch eine Option vor dem Auto (oder der Immobilität) haben.

Zum anderen, und wichtiger aber, dass es hoch an der Zeit ist, nachzufragen: Argumentieren wir hier tatsächlich stets mit den Klimavorteilen eingesparter Autokilometer – ohne zu wissen, ob sie überhaupt eingespart werden? Denn: Wie viele „Autler“ steigen für Alltagswege tatsächlich aufs E-Bike um? Sind es so wenige, dass sich die Zahl verliert – oder wird einfach falsch gefragt? Und vor allem: Was müsste geschehen, damit E-Bikes von denen, die Autofahren als Mobilitäts-Alternative (und nicht nur als Freizeit-Sportgerät) überhaupt wahrgenommen werden? Wenn wir ernsthaft von einer „Verkehrswende“ reden, werden wir uns um diese – vermutlich unbequeme – Diskussion nicht weiter herumschwindeln können.