Im Sommer wurde ein Aktivist der Lebensmittel-Rettungsorganisation Robin Foods zu einer (noch nicht rechtskräftigen) bedingten vierwöchigen Freiheitsstrafe verurteilt. Sein Delikt: Diebstahl. Er hatte weggeworfene Lebensmittel aus dem Müllcontainer eines Supermarktes geholt.
Im oekostrom AG-Talk erklären der Aktivist Christian Almeder und Robin Foods-Gründer David Sonnenbaum, was Lebensmittelrettung bedeutet, was „Dumpstern“ ist – und wieso sie nicht garantieren können, nicht weiterhin Müllräume von Supermärkten zu besuchen.
Christian, warum bist du nicht im Gefängnis? Du bist doch recht medienwirksam verurteilt worden!
Christian Almeder: Das Verfahren ist noch nicht zu Ende – wir gehen in Berufung.
Erzähl doch: Wie konnte es so weit kommen, dass ein bisher unbescholtener Elektronikentwickler eine Vorstrafe auffasst? Wofür genau wirst du bestraft?
Christian Almeder: Ja, das frage ich mich auch. Also: Ich war mit einer Bekannten mitten in der Nacht, gegen 3:30 Uhr, bei einer Hofer-Filiale im Müllraum. Wir haben uns die Müllcontainer genau angeschaut: Da waren Pflanzen samt Verpackung und Blumentöpfen drin. Verpackte Bananen und Obst. Originalverpackte Elektrogeräte samt Batterien – weil die Schachteln eine Delle hatten, lauter solche Sachen.
Die Lebensmittel habe ich rausgeholt. Meine Kollegin hat sich um die Pflanzen kümmert: Zumindest die Erde muss man nicht verbrennen, die kann man ja verstreuen.
Dann kam plötzlich die Polizei. Ich bin zur Müllraumtür gegangen und habe geöffnet und gleich meinen Ausweis rausgeholt. Die Beamten haben uns festgenommen, haben alles fotografiert und uns immerhin erlaubt, unsere Fahrräder draußen an Laternen zu hängen. Dann hat man uns sieben Stunden im Landeskriminalamt bei voller Beleuchtung in einer Ausnüchterungszelle wachgehalten, bis man uns endlich verhört hat.
Ich unterbreche kurz: Wie seid ihr in diesen Müllraum reingekommen?
Christian Almeder: Der war nicht zugesperrt. Das ist eine Filiale, bei der der Müllraum hinter einer Gittertür ist. Da kann jeder die Finger durchs Gitter stecken und die Schnalle drücken.
Dennoch betretet ihr widerrechtlich fremden Grund, oder?
Christian Almeder: Das sehe ich bei einem Müllraum anders. Vor allem wenn ich weiß, dass da drinnen die Mülltrennung im Argen liegt und nicht funktioniert.
… aber rechtlich ist Müll, solange er nicht abgeholt auf meinem Grund lagert, doch mein Eigentum.
Christian Almeder: Nein, nicht ganz: Die Mülltonne hat man von der MA 48 oder einem anderen Entsorger. Sobald du da etwas hineinwirfst, ist es theoretisch Eigentum des Entsorgers, du überlässt es ihm.
Ok, aber in jedem Fall ist es nicht deins.
Christian Almeder: Dann haben wir also die Firma Saubermacher, den Entsorger in dem Fall, bestohlen. Erstaunlicherweise wird der demnach Geschädigte in der Anzeige aber gar nicht erwähnt. Da stand Einbruch und versuchter Diebstahl.
Im Prozess ist der angebliche Einbruch auch sofort fallen gelassen worden: Die Richterin hat sich ausschließlich auf die geretteten Lebensmittel konzentriert. Sie hat argumentiert, die hätten theoretisch noch ein Wert, denn ich hätte sie weiterverkaufen können. Das ist aber Blödsinn: Abgelaufene oder entsorgte Lebensmittel darf man nicht mehr verkaufen. Aber sie war eben der Ansicht, dass sie durch das Aus-dem-Müll-nehmen wieder einen Wert bekommen hätten und sie mich deshalb bestrafen müsse. Und sie gebe mir ja eh nur eine bedingte Strafe.
Hast du dich dafür hoffentlich bedankt?
Christian Almeder: Nein, ich habe aber vorher gesagt, dass ich es akzeptiere würde, wenn ich für eine tatsächliche Schädigung der Firma Hofer bestraft würde – aber die wurde im Verfahren nicht einmal angehört.
Uns geht es da ums Prinzip: Wir retten schon länger Lebensmittel. Und wir sehen es als unsere Pflicht, nicht zuzusehen, wenn Verbrechen - eben die Vernichtung brauchbarer Lebensmittel – begangen werden.
David Sonnenbaum
Robin Foods-GründerWir gehen deshalb auch tagsüber in Supermärkte und weisen darauf hin, dass es nicht in Ordnung ist, genießbare Lebensmittel wegzuhauen. Die könnte man genauso gut anderen, bedürftigen Menschen zugutekommen lassen.
Geht es nur um Verteilungsgerechtigkeit?
David Sonnenbaum: Nein, es geht um mehr: Wir bluten unseren Boden komplett aus. Wir investieren wahnsinnig viel Energie in Bewässerung, Transport und Kunstdünger, um dann 50 Prozent der Lebensmittel wegzuschmeißen. Für diesen Irrsinn fahren LKWs voll beladen auf den Straßen durch ganz Europa – und weil sie das tun, bauen wir noch mehr Straßen und beuten Welt, Klima und Böden mehr und mehr aus. Da kann man nicht einfach zusehen! Das ist ein moralisches Prinzip, ein moralischer Imperativ.
Denn dann fahren die LKWs noch ein zweites Mal – und bringen die Lebensmittel wieder weg, zum Entsorgen. Das gelindeste Mittel, diesen Missstand etwas zu reduzieren, ist, genießbare und gute Lebensmittel aus dem Müll zu holen. Das nennt man „Dumpstern“. Genau das haben wir gemacht: Wenn ich dafür eine Türschnalle drücken muss, dann drücke ich diese Türschnalle.
Was sagt denn die Firma Hofer dazu?
Christian Almeder: Die durfte ich im Verfahren nicht einmal befragen. Ich hätte wirklich gern gewusst, wie der Schaden aus Sicht vom Hofer aussieht. Stattdessen hat der Staat, ohne den angeblich Geschädigten zu Wort kommen zu lassen, beschlossen, dass das Drücken der Türschnalle ein Delikt ist – und fertig.
Wie jetzt: Sagtest du nicht gerade, es sei genau nicht um Einbruch oder unerlaubtes Eindringen gegangen?
Christian Almeder: Das ist es ja: Die Staatsanwaltschaft hat gemeint, das sei Einbruch und versuchter Diebstahl und gehört auf das Straflandesgericht. Aber das Straflandesgericht hat befunden, das sei lächerlich, eine Lappalie. Damit wollten sie sich nicht befassen – und gaben es ans Bezirksgericht ab. Das Bezirksgericht hat dann befunden, das Drücken der Türschnalle sei kein Einbruch, es gehe nur um den theoretischen Warenwert der Lebensmittel. Und dafür gab es die vier Wochen. Bedingt.
Du bist in Berufung. Aber: kannst du versprechen, die Tat nicht zu wiederholen?
Christian Almeder: Natürlich nicht! Die Frage ist, ob man erwischt wird: Normalerweise sind wir dort, wo uns niemand sieht. Uns dürfte ein nächtlicher Passant gesehen haben – und der hat die Polizei gerufen.
Kommen wir zu Robin Foods: Seit wann gibt es euch – und was genau tut ihr?
David Sonnenbaum: Ich habe Robin Foods vor rund acht Jahren begründet. Mit ein paar anderen. Gedumpstert haben wir schon davor. Diese Lebensmittel wurden und werden in sogenannten „Volksküchen“ verkocht. Wir haben als Robin Foods dann immer mehr Aktionen im öffentlichen Raum gemacht. Bewusstseinskampagnen – meist mit Lastenrädern.
Mit einem einzigen Lastenrad plus Anhänger kann man 300 kg Lebensmittel transportieren. Wir sind fast täglich unterwegs - und retten so ungefähr drei bis fünf Tonnen pro Monat.
David Sonnenbaum
Robin Foods-GründerDu hast vorhin gesagt, dass 50 Prozent der Lebensmittel weggeworfen werden. Geht es da nur um Supermarkt-Müllräume?
David Sonnenbaum: Natürlich nicht. 50 Prozent sind eine Schätzung, die auch sehr große, globale NGOs so sehen. Wirklich genaue Daten gibt’s leider nicht.
In Supermärkten fällt zwar viel an, aber nicht der größte Teil: Es beginnt in der Produktion, wo Überschüsse oder Produkte mit minimalen Fehlern tonnenweise entsorgt werden. Es reicht nicht perfekt gedrucktes Etikett oder ein minimaler Messfehler – dann wird palettenweise weggeworfen.
Wo auch viel anfällt: In den Haushalten. Die Leute glauben, das hält nicht lang genug. Oder wenn die Mindesthaltbarkeitsangabe erreicht ist, sei etwas nicht mehr gut. Wir müssen wieder lernen, auf unsere eigenen Sinne zu vertrauen.
David Sonnenbaum
Robin Foods-GründerWie funktioniert eure Arbeit denn im Detail?
David Sonnenbaum: Wir gehen in Supermarktmülllräume, recherchieren und dumpstern, machen davon Videos und posten das in den sozialen Medien. Dann verteilen wir die Nahrungsmittel. Wir retten aber auch „offiziell“, sozusagen nach Absprache, auf Märkten, bei Schulen oder Privatpersonen, wenn viel anfällt. Sogar bei Sozialmärkten fällt recht viel an, denn die bekommen oft Überschüsse, die sie selbst nicht in vollem Umfang weiterbringen. Pflanzen und Elektrogeräte mit geringfügig kaputter Kartonage sind eher die Ausnahme: Es geht darum, dass sehr sehr viele Lebensmittel von uns wieder in den Kreislauf gebracht werden.
Wenn du sagst „offiziell“ und „nach Absprache“: Manche Supermärkte geben unverkäufliche Nahrungsmittel auch freiwillig weiter. Wieso muss man dann noch „dumpstern“?
David Sonnenbaum: Wenn Mitarbeiter:innen ausfallen oder auf Urlaub sind, fehlen Supermärkten oft die Leute, um auszusortieren – dann landet viel im Müll. Auch zu Zeiten mit hohem Arbeitsdruck – etwa zu Weihnachten – schaffen sie es oft nicht, systematisch auszusortieren. Das ist ja ein ziemlicher Zeitaufwand, alles zu analysieren. Jedes Produkt, jede Banane. Für die Mitarbeiter:innen ist es einfacher, wegzuwerfen und nur das offensichtlich Beste zu verkaufen.
Dann drehe ich die Frage um: Gibt es – auch stillschweigende – Abkommen mit manchen Filialen, dass man wegschaut, wenn ihr kommt Lebensmittelwegschmeißen findet niemand cool.
David Sonnenbaum: Ja, das gibt es auch. Das merkt man auch in Gesprächen. Wir gehen oft am Tag rein, wenn noch Betrieb ist. Manchmal schauen sie einfach weg. Manchmal kann man auch mit den Leuten reden. Und wenn sich wer aufregt, kann man das gut argumentieren und deeskalierend erklären, was mit den Sachen passiert und wer die bekommt: Wir sind nicht mit böser Absicht hier, wir machen nichts kaputt oder schmutzig. Spar, zum Beispiel, toleriert das. Da gibt es sogar eine offizielle Stellungnahme, wo es heißt, solange wir nichts schmutzig machen, passt es. Rewe möchte das dagegen nicht. Die argumentieren mit Hygiene und Gesundheitsgefahren.
Christian, war das alles bei deinem Verfahren Thema?
Christian Almeder: Die Richterin hat sich ausschließlich darauf konzentriert, dass Lebensmittel, sobald man sie aus dem Müllcontainer holt, wieder Wert haben, obwohl sie vorher – im Müll – keinen hatten. Deshalb, sagte sei, muss sie mich bestrafen.
Sie hat zwar gesagt, dass sie da Prinzip und die Idee versteht, aber laut Gesetz müsse sie eben die Strafe verhängen.
Viel Menschen sagen dennoch, dass ihr das Richtige tut. Würdet ihr aber – mit diesem rechtlichen Damoklesschwert – jedem und jeder empfehlen, auch zu dumpstern? Beziehungsweise: Gibt es eine Handlungsanweisung von euch, die nicht ins Kriminal führt?
David Sonnenschein: Es geht darum, bei solchen Irrsinnigkeiten nicht mitzumachen. Es ist nicht jedermenschs Sache, um drei in der Früh irgendwo reinzuspazieren.
Dennoch ist Aktivwerden wichtig. Auch im Kleinen, in der Nachbarschaft: Stellen wir zum Beispiel einfach ein „Nimm-und-Bring-Regal“ ins Stiegenhaus. Da kommen die Leute zusammen, es entstehen Solidaritätsgemeinschaften: Es sind solche kleinen Schritte, die allen helfen.
Und wie geht es konkret mit Christians Verfahren weiter?
Christian Almeder: Die Richterin hat ein paar Monate Zeit, das Urteil schriftlich auszustellen. Dann können wir uns darauf stürzen, was da alles nicht ordnungsgemäß abgelaufen ist. Dann gibt’s eventuell ein Berufungsverhandlung – außer das zuständige Gericht weist die Berufung ab. Dann habe ich Pech gehabt – und eine Vorstrafe.
Aber wird diese Vorstrafe Robin Foods davon abhalten, Lebensmittel zu retten und wieder in den Kreislauf zu bringen?
Christian Almeder & David Sonnenbaum: Nein, ganz bestimmt nicht.
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