Die Caritas ist keine Klimaschutz-NGO. Dennoch hat vor allem die Auslands- und Entwicklungsarbeit der Caritas immer öfter sehr unmittelbar mit dem Klimawandel zu tun. Christoph Riedl ist Generalsekretär der Caritas in Niederösterreich. Derzeit arbeitet er aber nicht in St. Pölten, sondern im Senegal. Er besucht und evaluiert mit drei Kolleg*innen Caritas-Partner und -Projekte in dem zentralafrikanischen Staat. Auf Videos und Blogeinträgen, erzählt und zeigt der Caritasmann da nicht nur, wie vor Ort „Hilfe zur Selbsthilfe“ und Projekte zur Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt werden, sondern weist auf massive Probleme hin, die der Klimawandel in der Region verursacht.
Wir haben ihn in der Region Tabakumba erreicht.
Christoph Riedl, was bringt den Chef der Niederösterreichischen Caritas nach Afrika?
Der Senegal ist seit vielen Jahren ein Partnerland der Caritas Österreich. Wir arbeiten mit lokalen Organisationen – vorwiegend Caritas-Organisationen – zusammen, so wie hier mit der Caritas Tambakunda. Wir schauen uns jetzt, wo wir Europäer wieder mit Sondergenehmigungen ins Land dürfen, die Projekte an und besprechen mit unseren Partnerinnen und Partnern, wie wir unsere Zusammenarbeit gerade jetzt optimieren können.
Auf Facebook und YouTube und anderen Kanälen hast Du Videos gepostet, die der Grund sind, wieso ein auf Klimafragen fokussiertes Unternehmen mit der Caritas über Entwicklungsprojekte in Afrika redet: In einigen dieser Videos geht es nämlich um Auswirkungen des Klimawandels.
Wir merken hier im Senegal, was „Klimawandel“ wirklich bedeutet. Also: Wir sehen das – aber die Menschen, die hier leben, spüren tagtäglich, dass der Klimawandel Auswirkungen auf das Leben, ja: aufs Überleben, hat. Wir waren etwa auf einer der Inseln vor der Küste im Atlantik. Da kann man zuschauen kann, wie der Strand vom Meer gefressen wird: Der Meeresspiegel steigt – und das führt dazu, dass immer mehr Boden verloren geht. Es führt darüber hinaus aber auch dazu, dass das Salz über das Grundwasser immer mehr ins Landesinnere drückt: Alle Brunnen, die bisher als Trinkwasserbrunnen verwendet wurden, haben auf dieser Insel mittlerweile einen so hohen Salzgehalt, dass es massiv gesundheitsschädlich wäre, ihr Wasser zu trinken. Daher machen wir mit der Caritas Tambakunda ein Projekt, bei dem wir eine große Zisterne errichtet haben mit einem großen Aludach. In der Regenzeit wird hier Wasser gesammelt und gespeichert – somit ist Trinkwasser für das ganze Jahr vorhanden. Damit leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Menschen weiter hier leben können.
Die Auswirkungen des Klimawandels bedeuten also, dass Ressourcen nicht mehr zur Verfügung stehen, die man über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewohnt war. Und das ist neu.
Ist dieser Anstieg des Meeresspiegel ein nachgewiesener Effekt des Klimawandels, oder ist der Klimawandel nur eine von vielen möglichen Erklärungen?
Wir sehen, dass Veränderungen rasant vor sich gehen. Etwa dass sich die Regenzeit massiv verkürzt hat und wesentlich unberechenbarer wird. Das entspricht dem, was wir auch in Österreich erleben, dass Wetterextreme immer heftiger werden und immer plötzlicher auftreten. Dasselbe beobachten die Menschen hier auch – nur mit ganz anderen Auswirkungen: Bei uns gibt es – hoffentlich – nur Sachschäden, wenn so ein Naturereignis passiert. Hier aber werden Existenzen zerstört, wenn der Regen in der Regenzeit so stark ausfällt, dass die komplette Saat aus dem Boden geschwemmt wird. Oder dass Ernten ausfallen oder vernichtet werden.
Vieles, was mit dem Klimawandel zu tun hat, hat mit den Temperaturen zu tun – aber eben vor allem geht es um Niederschlag. Fehlender Niederschlag führt dazu, dass der Grundwasserspiegel absinkt: Vor zehn Jahren war es ausreichend, Brunnen zu bauen, die ungefähr 16 oder 17 Meter tief waren. Mittlerweile muss ein Brunnen aber über 30 Meter tief sein: Das sind Auswirkungen des Klimawandels.
Es sind Auswirkungen, die weit reichen. Weil in der Landwirtschaft hier, nicht nur Menschen sondern auch die Tiere versorgt sein müssen. Ochsen, Esel, Pferde die einen Pflug ziehen: Traktoren gibt es hier keine, hier wird noch mit der Hand gearbeitet oder mit Nutztieren – und auch Nutztiere müssen versorgt und erhalten werden. Es geht nicht, dass man die Tiere schlachtet, nur weil nicht genug Nahrungsmittel da sind. Die Tiere sind die Lebensgrundlage ganzer Familie.
Die Auswirkungen des Klimawandels bedeuten also, dass Ressourcen nicht mehr zur Verfügung stehen, die man über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewohnt war. Und das ist neu. Die Menschen bemerkten das – und wir versuchen mit nachhaltigen Projekten dazu beizutragen, dass diese Lebensgrundlage erhalten bleibt.
Du hast es vorhin angeschnitten: Lebensgrundlagen erhalten heißt, dass die Menschen nicht flüchten, nicht flüchten müssen. Ich habe vor Jahren mit dem deutschen Klima- und Umweltjournalisten Franz Alt gesprochen. Alt meinte schon damals, dass das was wir als Fluchtbewegungen vor Kriegen erleben, nichts im Vergleich zu dem ist, was uns als Fluchtbewegung vor dem Klimawandel, also Dürre, Hitze oder Wassermangel, bevorsteht.
Genau deshalb versuchen wir ja dazu beizutragen, dass die Lebensbedingungen vor Ort „lebbar“ sin. Das Problem ist vielschichtiger. Weil die traditionellen Dörfer erleben das Phänomen, dass die Jungen in die Städte gehen, weil sie dort leichter Arbeit finden. Das ist ähnlich wie bei uns, dass Landwirtschaft nicht weitergeführt werden kann und in den Städten hoffen viele Junge, dass sie Arbeit finden. Darum ist Migration ein Thema: Es gibt auch aus dem Senegal Bootsflüchtlinge, die versuchen, die kanarischen Inseln zu erreichen. Auf dem Weg sterben jedes Jahr viele Menschen.
Aber das Hauptproblem ist, dass Dinge wie Niederschlag nicht beeinflusst werden können. Wenn es statt wie früher fünf Monate nur mehr drei Monate regnet, setzt das Kettenreaktionen in Gang: Die Übergangszeit zwischen dem übrigen Jahr und der Regenzeit – diese „Aushaltezeit“ – wird immer länger. Also gehen Vorräte zu Ende, es ist nicht genug Getreide da, es ist nicht genug Wasser da … Das spüren sogar wir: Wir wohnen im einzigen Hotel der Gegend – aber auch für uns gibt es am Abend oft kein Wasser, weil das System, alle Wasserleitungen in der Stadt, überfordert ist. Nur: Wir sitzen in einer Woche wieder im Flieger nach Europa – doch die Menschen hier zittern und bangen täglich, ob in diesem Jahr ausreichend Niederschlag kommen wird, um eine gute Ernte einfahren zu können und so die Lebensmittel für das nächste Jahr anbauen zu können: das macht schon nachdenklich.
Ich frage jetzt bewusst zynisch: Den Klimawandel kann man nicht innerhalb einer Woche oder zwei Monaten durch die Veränderung des persönlichen Verhaltens bremsen oder gar stoppen. Ist der Zug in Regionen wie hier daher nicht ohnehin abgefahren? Können wir in Europa durch unser individuelles Klimaverhalten tatsächlich noch etwas dazu beitragen, dass Menschen anderswo sicher leben können?
Was jeder einzelne tun kann? Es hilft zum Beispiel, fair trade-Produkte zu kaufen. Produkte, bei denen man weiß wie und unter welchen Arbeitsbedingungen sie angebaut werden. Aber das ist nur ein Aspekt. Ein anderer ist, dass es Rahmenbedingungen braucht, auf einer gesetzlichen, auf einer strukturellen Ebene, die gewisse Dinge kontrolliert und reglementiert.
Wenn uns Fischer erzählen, dass sie mittlerweile einen Monat auf See fahren müssen, weil sie so weit hinaus fahren müssen weil die großen Schiffe alle Fische aus dem Meer fangen und für die kleinen Strukturen, für die kleinen Fischereifamilien nichts über bleibt, ist das nichts was ich als Einzelperson in Österreich ändern kann.
Ich glaube es braucht Regelungen und ein Bewusstsein der Staaten Europas, aller westlicher Staaten, dass sie die Verantwortung haben, hier einzuwirken. Es braucht beides: Individuelle Verantwortung und Regelungen auf einer größeren, internationalen Ebene.
Es ist ein Gesamtpaket an Problemen - und wir brauchen ein Gesamtpaket an Lösungen!
Aber was haben Fair-Trade-Produkte und internationale Fangflotten mit dem Klima zu tun? Oder anders gefragt: Kann man sagen, das eine sind Klimafragen, das andere Gerechtigkeit- und Entwicklungsthemen?
Nein, das kann man nicht voneinander trennen. Es ist ein Gesamtpaket an Problemen – und wir brauchen ein Gesamtpaket an Lösungen!
Und Lösungen gibt es. Ein Beispiel? Wir waren gestern in einem Ort, in dem wir als Caritas eine Biogasanlage installiert haben. Da geht es um einen nachhaltigen Technologietransfer. Die Anlage funktioniert so: Man sammelt Dung, den Mist der Tiere, 180 Kilo pro Tag. Der wird mit einer mechanischen Mühle mit Wasser vermischt – und über ein Loch im Boden geht es in einen unterirdischen Tank, der ungefähr sechs Tonnen fasst. Allein durch die Hitze, die hier herrscht, entwickelt sich Gas das ausreicht, dass die Gemeinschaftsküche im Ort mit Biogas betrieben wird: Die Frauen brauchen kein Brennholz mehr, um zu kochen. Das heißt, der Alltag ist weniger aufwändig – es sind Ressourcen für andere Dinge da, alles geht schneller: Man dreht das Gas auf und kann sofort kochen, weil eine Gasflamme sofort heiß ist. Mit dem Gas werden auch Lampen, ein ganzes Lichtsystem, betrieben. Was im Tank übrig bleibt, wird wieder herausgeholt und als Dünger verwendet. Das heißt: Wir haben hier eine Biogasanlage, die komplett ohne Strom funktioniert. Ich glaube, das ist ein Beispiel wie Energie nachhaltig, ohne externe oder fossile Energieträger, produziert werden kann und Lebensbedingungen zumindest verbessert werden können: Da spielt das eine, die Hilfe zur Selbsthilfe, mit Klima-, Ressourcen- und Energiefragen Hand in Hand.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie erlebst du diesen „Clash of Cultures“, den Wechsel aus dem hochtechnologisierten Europa in Dörfer und auf Inseln in Afrika? Wie fühlt sich das an?
Das beschäftigt mich seit bei meiner ersten Reise hierher: Da war es nachhaltig beeindruckend – und es ist auch jetzt so –, dass das Leben hier für uns nicht nur nach Kilometern, sondern auch im Kopf, so weit weg ist. Die Dörfer, die wir besuchen, mit ihren Hütten mit Strohdächern, ohne Elektrizität, ohne Kanalsystem: Das sind keine Schau-Dörfer für Touristen.
Hier ist das Leben so. Menschen leben so. Diese Menschen bearbeiten ihre Felder mit der Hand, mit Ochsen und Esel – und das macht nachdenklich, was unseren Konsumdruck angeht. Das holt mich auf den Boden zurück: Was brauchen wir wirklich?
Das ist eine Frage, über die man lange philosophieren und nachdenken kann – aber es ist beeindruckend, dieser Lebensweise zu begegnen: Da nehme ich ganz viel mit nach Hause.
Mehr dazu gibt’s im Videoblog von Christoph Riedl.
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