Mit seinem Buch „INSIDE Fridays for Future” zeichnet Benedikt Narodoslawsky die junge Geschichte der Klimabewegung in Österreich fast minutiös nach. Wie entsteht eine Bewegung? Warum erreicht ein kleines Mädchen das, was vielen mächtigen Männern weltweit nicht gelungen ist?
Benedikt Narodoslawsky studierte Journalismus und Unternehmenskommunikation an der FH Joanneum in Graz und schreibt seit 2012 als Redakteur für die Wochenzeitung Falter. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. erhielt er für seinen Falter-Beitrag „Komm, heißer Tod“ den Umweltjournalismus-Preis 2018. Monatelang begleitete Benedikt Narodoslawsky Fridays For Future, führte viele Interviews, und fand heraus, wie aus einem Ein-Mädchen-Protest eine weltweite Bewegung werden konnte. Das Interview führte Ulla Unzeitig.
Im Mai 2019 haben Sie Greta Thunberg interviewt – wie war das?
Das Interview fand in der französischen Botschaft in Wien statt. Wir hatten nicht viel Zeit für das Interview, aber das war auch nicht nötig, denn jeder Satz von ihr war am Punkt. Was sich mir eingebrannt hat, war die Szene vor dem Interview. Sie stand am Fenster und sah zu, wie sich der Schwarzenbergplatz mit Fridays For Future-Aktivisten gefüllt hat. Es strömten immer mehr Menschen auf den Platz, die Autos mussten stehen bleiben. Sie hat ins Menschenmeer geschaut wie andere ins Feuer. Das hat mich berührt: Das Mädchen, das früher gemobbt wurde und sich nun von einer Außenseiterin in die Anführerin einer weltweiten Bewegung verwandelt hat. Da unten marschierten tausende junge Menschen mit selbstgebastelten Schildern, auf einigen standen ihre Zitate. Andere waren richtige Huldigungen, so wie „Great, Greater, Greta“. Man hat gesehen: Die vielen Menschen, die an diesem Tag für den Klimaschutz auf die Straße gehen, gaben ihr Hoffnung.
Was für einen Eindruck hatten Sie von ihr als Person?
Sie wirkte sehr zerbrechlich und zugleich extrem stark und mutig. Und natürlich hat mich das fantastische Englisch des jungen Mädchens beeindruckt.
Wer mit Greta spricht, merkt bald, dass sie nicht über sich selbst, sondern nur über die Klimakrise reden will.
Es geht ihr also nicht um Ruhm und Ehre, sondern darum, wirklich etwas gegen die Klimakrise zu tun. Denn sie fürchtet sich authentisch davor.
Was hat Sie an der Geschichte der Fridays so fasziniert, dass Sie ein Buch darüber geschrieben haben?
Im Jahr 2018 bin ich für ein Jahr in Karenz gegangen, gerade als die ersten Proteste stattfanden. Davor habe ich viele Jahre über den Klimawandel geschrieben und war frustriert, weil nichts weiterging. Die politische Großwetterlage war damals katastrophal: In den USA regierte Donald Trump, der den Klimawandel leugnete und ankündigte, aus dem Pariser Klimavertrag auszusteigen. In Österreich zweifelte der damalige FPÖ Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache öffentlich den menschengemachten Klimawandel an und die türkisblaue Regierung erarbeitete einen völlig unzureichenden Klimaplan. Ich war zu dem Zeitpunkt sehr pessimistisch.
Was ist dann passiert?
Ein Jahr später kam ich aus der Karenz zurück und habe eine komplett andere politische Landschaft vorgefunden. Die Parteien befanden sich im Wahlkampf und schrieben plötzlich Klimaschutz-Themen auf die Wahlplakate. Plötzlich musste ich für Klimathemen nicht mehr um Platz im Blatt kämpfen, sondern Klimaberichterstattung wurde aktiv eingefordert. Die Fridays hatten in nur einem Jahr geschafft, was niemand vor ihnen geschafft hat: Das Klimathema war plötzlich überall und wurde wahlentscheidend.
Aber das Thema war schon gut aufbereitet …
Ja, dass die Klimakrise die Zivilisation bedroht, weiß man seit Jahrzehnten. Die Wissenschaft kam seither zu immer dramatischeren Erkenntnissen. Das Thema hat also zunehmend an Dringlichkeit gewonnen. Aber der Durchbruch gelang erst Greta Thunberg und ihrer Bewegung. Was dabei sicher geholfen hat: Der Sommer 2018 und 2019 waren Hitzesommer. Jedem ist plötzlich bewusst geworden, was Hitze für Mensch und Umwelt bedeutet; Dürren, Ernteausfälle, Hitzetote; egal ob man zuhause geschwitzt oder draußen im Wärmestress gestöhnt hat, jeder hat unter der Hitze gelitten.
Warum gelang es nicht vor Greta die Massen zu mobilisieren?
Das war für mich lange ein großes Rätsel. Es gab auch schon vor Greta viele mächtige Menschen, die sich diesem Thema angenommen haben. Der Papst schrieb seine Enzyklika über die Klimakrise, UN-Generalsekretär Antonio Guterres trommelte das Thema tagein und tagaus, Hollywoodstar Leonardo Di Caprio widmete seine Oscar-Rede der Erderwärmung und drehte mit „Before the flood“ eine eindrucksvolle Doku. Aber keiner hat etwas Fundamentales bewegt. Durch die Fridays war auf einmal alles anders. Und warum? Weil sie die Botschaft verändert haben. Die Jugendlichen haben klar gemacht:
Es geht in der Klimakrise nicht um einen abstrakten Eisbären, der uns traurig von einer Eisscholle anschaut, sondern es geht um das eigene Leben, um die eigene Zukunft.
Die Protestform des Schulstreiks war dafür wie maßgeschneidert. Thunbergs Frage, warum sie für ihre Zukunft lernen soll, wenn sie keine Zukunft mehr hat, war klar und ging unter die Haut. Das hat nicht nur eine ganze Generation sensibilisiert, sondern auch deren Eltern und Großeltern. Auf einmal waren Millionen Menschen auf der Straße. So wurde aus dem Ein-Mädchen-Protest eine Massenbewegung.
Wie konnte es so schnell gehen?
Das liegt auch daran, dass die junge Generation „Digital Natives“ sind. Sie haben eine hohe Medienkompetenz, verwenden selbstverständlich WhatsApp, Instagram und Facebook. Diese Plattformen ermöglichen eine unglaublich schnelle Vernetzung. Alles, was man braucht, um eine Fridays-Gruppe in seinem Heimatort zu starten, ist eine Facebook-Gruppe. Die erstellt man mit ein paar Klicks. Die Leute, die darauf gewartet haben, dass es auch in ihrem Ort losgeht, haben damit eine Anlaufstelle. So ging die Bewegung sofort in die Breite.
Das erklärt noch nicht ganz, warum sich der Schulstreik so explosionsartig ausgebreitet hat.
Da wirkten einige Faktoren zusammen: Die Medien gaben der Bewegung Aufmerksamkeit. Sie fanden den Schulstreik interessant, weil er polarisiert hat: Die einen betrachteten die Jugendlichen als Klimaretter, die anderen als „Schulschwänzer“. Über die Fridays wurde also schon berichtet, als sie noch keine Massen auf die Straßen brachte. Dazu kam Gretas internationale Strahlkraft mit ihrer emotionalen Botschaft. In jenen Orten, in denen die Bewegung sehr schnell sehr groß geworden ist, konnte sie darüber hinaus oft auf bestehende Netzwerke aufbauen. In Österreich war das zum Beispiel in Graz der Fall, wo eine der Gründerinnen gleichzeitig die steirische Schülerorganisation Progress anführte und sich für die sozialistische Jugend engagierte. Beide Organisationen halfen bei der Mobilisierung, so brachte Graz bei seinem ersten Klimastreik deutlich mehr Leute auf die Straße als Wien. Auch in Australien – wo der erste große internationale Massenprotest stattfand – wurde der Klimastreik von einer Jugendumweltbewegung vorangetrieben.
Sind Sie jetzt optimistisch?
Zumindest optimistischer. In den USA ist mit Joe Biden ein Mann an der Macht, der glaubwürdig für den Klimaschutz eintritt. China, der weltweit größte Emittent, hat angekündigt bis zum Jahr 2060 CO2 neutral werden zu wollen. Die EU hat ihre Ambitionen nochmals verschärft. In Österreich regieren erstmals die Grünen mit und haben ein dickes Klimakapitel verhandelt, das selbst kritische Umwelt-NGOs gefeiert haben. All das wirkt auf mich so, als würde sich da gerade wirklich etwas Großes in die notwendige Richtung bewegen.
Bekommt Greta also ihre Zukunft zurück?
Das werden wir erst sehen. Der Weg dahin ist jedenfalls weit und steinig und wir müssen uns jeden Zentimeter hart erkämpfen. Was Greta aber jedenfalls gezeigt hat: Eine kleine Person kann einen riesigen Unterschied machen. Und die Bewegung hat gezeigt, dass wir alle unseren Beitrag leisten können, wenn wir unsere Stimmen erheben. Die Geschichte der Fridays ist deshalb eine, die mir sehr viel Mut macht.
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