Greenpeace fordert einen „Finanztopf“ für Klimaschäden. Doch „klassische“ Polit-Ablenkung durch Geldgeschenke soll das keine werden, erklärt Greenpeace-Klimasprecherin Jasmin Duregger: Das Geld soll herkommen, wo die Klimakatastrophe „gemacht“ wird – und dort landen, wo sie am spürbarsten ist. Und Klimaschutz und Emissionsreduktionen auf keinen Fall ersetzen.

Jasmin, du bist bei Greenpeace für Klima- und Energiethemen zuständig. Du warst deshalb im November bei der Klimakonferenz, der COP, in Ägypten. Dort hat Greenpeace einen „Finanztopf für Klimaschäden“ gefordert. Oberflächliche Beobachter:innen könnten das so auffassen, wie es die „klassische“ Politik gerne tut: Wenn etwas passiert oder schief geht, wird ein Finanztopf erfunden. Aus dem kommt Geld – und alle Probleme sind gelöst. Zurück zur Tagesordnung.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass das der Greenpeace-Zugang zum Klimakollaps ist.

Nein, natürlich nicht. Es geht uns um Klimagerechtigkeit. Darum, dass viele Länder des Südens, die vergleichsweise wenig Schuld an der Klimawandel-Problematik haben, überproportional von den Problemen und Veränderungen des Klimawandels betroffen sind. Es geht darum, dass der industrialisierte Westen zu seiner Verantwortung steht – und Geld für diese Schäden bereitstellt. Geld – und das ist wichtig – das aber nicht aus anderen für diese Regionen bestimmen Töpfen abgezogen und einfach umetikettiert wird. Für diese Forderung haben wir, haben viele NGOs und auch die betroffenen Länder in Sharm el Sheikh gekämpft – und sie auch durchgesetzt.

Bewusst polemisch gefragt: Damit ist jetzt also alles in Ordnung – und die Klimaschutz-NGOs können in Pension gehen?

Nein, denn der Kampf um das 1,5-Grad-Ziel ist alles andere als gewonnen. Aber mit der Einigung, diesen Finanztopf zu schaffen, wurde eine gute Entscheidung im Punkt „Klimagerechtigkeit“ gefunden.

In Pension können wir leider nicht gehen. Ganz im Gegenteil! Wir bewegen uns nicht auf das 1,5-Grad-Ziel hin. Auch wenn all die bisher eingereichten Klimaschutzpläne aller Länder umgesetzt werden, rasen wir auf eine um 2,7 Grad heißere Welt zu. Und da reden wir nur über Klimaschutzpläne, das heißt nicht, dass das auch so umgesetzt ist.

Gilt das auch für Österreich?

Ja: Österreich hat von der EU Zielvorgaben bekommen. Das Ziel lautet, bis 2030 ein Minus von 48 Prozent bei den CO2-Emissionen. Das ist viel. Das wäre die Hälfte von heute. Aber auch das reicht nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das bedeutet, dass man auch diese Klimaschutzpläne noch nachbessern, verschärfen, müsste.

Zurück zum Finanztopf: Was soll und was kann der?

Vielleicht machen wir vorher nochmal einen Schritt zurück. Generell gibt es in der Klimadebatte drei große Themen. Klimaschutzmaßnahmen – also das, was wir machen können. Man wechselt zu Ökostrom, baut Wind- und Sonnenenergie aus, leitet die Verkehrswende ein und tut alles, um weniger Emissionen auszustoßen.

Nur haben wir mittlerweile so viele Emissionen in die Luft geblasen, dass man gewisse Veränderungen nicht mehr aufhalten kann. Da geht es um Anpassungen an die Klimaveränderungen. Bei Tieren und Pflanzen findet das in einem enormen Ausmaß statt: ein Viertel der Tier- und Pflanzenwelt ist quasi „in Bewegung“, die passen sich an die anderen Temperaturbedingungen an, indem sie andere Lebensräume suchen. Das ist bei den Menschen auch so: Wir brauchen beispielsweise andere Hochwasserschutzmaßnahmen. Und speziell in Österreich wird man sich überlegen müssen, wie der Wald in 100 Jahren aussehen wird: Welche Bäume können Trockenheit und Hitze überhaupt aushalten? Anpassung ist also der zweite große Punkt.

Du hast von drei Punkten gesprochen.

Der dritte Punkt betrifft Schäden und Verluste: Was passiert, wenn jegliche Hilfe zu spät kommt? Klimaschutz hat nicht gegriffen. Anpassung hat nicht gegriffen.

Die Klimakrise trifft heute schon gewisse Länder mit voller Härte – „prominentestes“ Beispiel war zuletzt Pakistan. Dort sind durch Überflutungen über 1.500 Menschen gestorben, eine Million haben ihre Häuser verloren. Diese Flut wäre ohne die Klimakrise nicht in dieser Heftigkeit möglich gewesen – gleichzeitig hat Pakistan aber kaum zur Klimakrise beigetragen. Nicht einmal ein Prozent der Emissionen kommen aus Pakistan. Trotzdem trifft es das Land mit voller Wucht. Und da kommt der Finanztopf ins Spiel.

Die Flut in Pakistan wäre ohne die Klimakrise nicht in dieser Heftigkeit möglich gewesen – gleichzeitig hat Pakistan aber kaum zur Klimakrise beigetragen.

Menschen gehen durch eine überflutete Straße, eine drastische Erinnerung an Klimaschäden, darunter ein Mann, der ein Kind trägt. Häuser und Bäume säumen die Straße, während das Wasser, das bis über die Knöchel reicht, eine düstere Realität widerspiegelt.

Trotzdem: Macht es der Hinweis auf Geld für Schäden nicht leichter vom Klimaschutzmaßnahmen abzulenken?

Für das 1,5-Grad-Ziel zu kämpfen ist alternativlos. Aber jemand, der gerade das Haus verloren hat, fragt nicht nach dem 1,5-Grad-Ziel sondern wie er den morgigen Tag überlebt.

Deshalb ist es so wichtig, dass es eine Finanzierung gibt. Eine dezidiert gewidmete Finanzierung, bei der man Geld eben nicht von woanders abzwackt, sondern wo klar ist: Mit diesem Topf wird Menschen, die betroffen sind geholfen. Schnell geholfen. Und das war bei dieser Konferenz tatsächlich ein Erfolg, dass es diesen Topf nun gibt.

Und wieviel Geld ist da drin?

Er ist noch leer. Aber es gibt ihn. Das ist zentral: Ab jetzt wird nicht diskutiert, ob man ihn braucht oder schafft, sondern wer wieviel hinein zahlen soll. Das ist ein großer Schritt.

Wie hat Österreich, die österreichische Politik, sich da verhalten?

Österreich – aber generell der globale Norden, und zwar geschlossen – war vor der Klimakonferenz der Meinung, dass es diesen Topf nicht braucht. Sie haben sich auf bestehenden Finanzinstrumente rausgeredet. Auf bestehende Gelder.

In den Verhandlungen hat der globale Süden aber sehr stark auf diesen Topf hingedrängt. Auch die Klimaschutzbewegung ist geschlossen dahintergestanden. Darum kam es zu dieser Einigung.

Österreichs Position, die Position der EU und der anderen Länder des globalen Nordens, war unhaltbar: Es ist ein großer Verhandlungserfolg. Auch weil – und das schließt an deine Eingangsfrage an – festgehalten wurde, dass das kein Freikaufen ist. Keine Ausrede für große Verschmutzer, zu sagen: Ok, wir machen weiter wie bisher und zahlen halt ein.

Um wieviel Geld geht es da?

Man kann davon ausgehen, dass die Schäden durch die Klimakrise sich jetzt schon in einer Höhe bis zu einer Trillion Euro bewegen. Es wird schwer werden und sehr viele Finanzierungswege brauchen, um überhaupt in die Nähe einer gerechten Finanzierung zu kommen. Gleichzeitig muss damit aber auch eine massiven Emissionsreduktion einhergehen: Je weniger wir vermeiden, umso schlimmer werden die Auswirkungen uns danach treffen.

Ok, jetzt richten wir diesen Topf ein. Dann diskutieren wir über Zeitrahmen und Geldmenge. Irgendwann wird der Topf dann wohl befüllt. Nicht bös sein: Als gelernter Wiener klingt „irgendwann“ für mich sehr vage und nach Zeitschinden.

Manchmal muss man strategisch agieren. Bei der Klimakonferenz in Glasgow wurde ein Arbeitsprogramm, ein Prozess in Gang gesetzt – und an den wollte man in Sharm el Sheikh dann anschließen. Die Gefahr war, dass man wieder über Jahre nur redet. Das war auch die Strategie von vielen: Zu sagen wir müssen definieren, wie groß die Lücke ist. Eruieren, ob die vorhandenen Finanzinstrumente ausreichen und so weiter: Das hätten sie gerne über zwei oder drei Jahre so gemacht – und es hätte damit geendet, dass es nach drei Jahren noch keinen Topf gibt.

Aber da waren die anderen Stimmen. Unsere, die des Südens und von kleinen Inselstaaten. Wir haben gesagt: „Wir müssen nicht mehr reden. Wir haben 30 Jahre lang nur geredet. Die Frage „ob“ ist keine Frage mehr – die Frage lautet: „wer zahlt wieviel“.

Aus dieser Perspektive war es ein Erfolg: Der Topf kommt. Und jetzt wird der nächste Schritt verhandelt.

Es geht uns um Klimagerechtigkeit. Darum, dass viele Länder des Südens, die vergleichsweise wenig Schuld an der Klimawandel-Problematik haben, überproportional von den Problemen und Veränderungen des Klimawandels betroffen sind. Es geht darum, dass der industrialisierte Westen zu seiner Verantwortung steht - und Geld für diese Schäden bereitstellt.

Jasmin Duregger

Greenpeace

Und wie könnte oder sollte es weitergehen?

Wahrscheinlich ähnlich wie bei den Klimaschutzplänen: Wir haben das zentrale Ziel 1,5 Grad. Oder zumindest deutlich unter zwei Grad. Man hat keinen Verteilungsschlüssel, wer wie viel machen muss, sondern man sagt den Ländern: „Bringt Vorschläge“. Die evaluiert man – und sieht: es ist zu wenig. Darum schickt man die Länder quasi wieder nach Hause, um Hausaufgaben zu machen.

Das ist bei der Klimafinanzierung ähnlich. Da hat man sich auf 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen geeinigt, wir stehen aber erst bei 83 Milliarden Euro: Zu wenig. Es gibt aber keine Verteilungsschlüssel, sondern jedes Land hat den Druck in der Öffentlichkeit, aber auch durch die Konfrontationen mit den Ländern auf der Klimakonferenz. Und wird so hoffentlich davon überzeugt, den eigenen Beitrag zu erhöhen.

Das klingt so, als hätten wir alle Zeit der Welt …

Die Klimakonferenz ist nicht die Lösung für die Klimakrise, sondern ein Puzzlestück in einem riesigen Puzzle. Sie ist wichtig, weil sich Entscheidungsträger hier rechtfertigen müssen: Was haben sie gemacht, was nicht. Ist es genug? Ist es nicht genug? Es ist die Bilanz – die und erfährt jedes Jahr enorme Aufmerksamkeit.

Wichtig ist aber nicht nur, was in zwei Wochen Klimakonferenz passiert, sondern was auch in den 50 im restlichen Jahr getan wird.

Aber was passiert in den übrigen 50 Wochen? Angenommen Österreich zahlt in diesen neuen Topf die Summe X Millionen Euro ein – klingt toll. Gleichzeitig gibt Österreich 4,7 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen aus. Das ist nicht einmal ein Nullsummenspiel.

Das muss und kann man weder verstehen noch gutheißen. Das zu ändern haben alle Staaten – auch Österreich – auf Klimakonferenzen unterschrieben. Also dass man sich von den fossilen Subventionen abkehrt. Aber genau das ist in Österreich nicht passiert: Es gibt irgendwann mal eine Liste, heißt es, und man braucht zuerst diese Liste, damit man weiß, was man macht oder nicht macht – da ist bis jetzt sehr wenig passiert. Aber es zeigt, dass Geld da wäre. Die Frage ist nur: wohin stecken wir es – und wo setzen wir Prioritäten.

Woher nimmst du bei all diesen Verzögerungen, bei all dem Betonieren der fossilen Politik, die Energie und den Optimismus, weiterzumachen? Ich würde davonlaufen.

Auf einem kugelförmigen Planeten? Also einmal rundherum? Und dann? (lacht).Nein, es gibt immer wieder Momente für Optimismus. Ich glaube daran, dass doch etwas weitergeht.

… aber ist das schnell genug?

Nein. Natürlich braucht es auch einen systemischen Wechsel – aber es ist schwer, im Vorhinein zu sagen, was ihn auslöst: Die aktuelle Energiekrise lässt nun Investitionen in die Erneuerbaren fließen. Nicht aufgrund der Klimakrise, sondern um unabhängiger von Kriegsherren und Despoten zu sein.

Es hätte auch niemand je gedacht, dass eine 16-Jährige, die einen Tag ihre Schule bestreikt, eine globale Bewegung auslösen könnte: Es ist schwierig zu sagen, was welchen Impact haben wird – aber gerade darum glaube ich, dass es wichtig ist, dass viele Menschen viele unterschiedliche Dinge ausprobieren und Knöpfe drücken. Sie tragen so dazu bei, dass es Möglichkeiten gibt, die die Gesellschaft verändern können.

Ja, im Moment geht Vieles zu langsam. Das prangern wir bei Greenpeace tagtäglich an – und machen es sichtbar: Das ist unsere einzige Möglichkeit, denn aufzugeben ist keine Option. Aber genau das macht auch optimistisch: Es sind so viele Menschen, die sich engagieren. Da gibt es viel Solidarität, viel Empathie. Und: Ja es macht auch Spaß sich für das Richtige einzusetzen – sogar, wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass die Blockierer mit Geld und Macht in der Überzahl sind. Aber am Ende des Tages bin ich lieber David als Goliath.