Natürlich habe ich mich geärgert. Und das Vieh verflucht. Wobei: Eigentlich stimmt das nicht. Denn erstens habe ich zuerst gar nicht erkannt, dass das Vieh ein Vieh war – und zweitens habe ich mich zuerst nicht geärgert. Ich bin erschrocken.
Das wären Sie auch, wenn Sie 80 Meter vom Ufer entfernt, einen schmerzhaften Stich in die Schulter bekommen. Bei mir war es in der Mitte der „Neuen Donau“ in Wien – die ist angeblich 160 Meter breit.
Der Stich kam aus dem Nichts. Obwohl auch das nicht stimmt: Er kam aus dem Wasser. Ich kraulte. Meine rechte Schulter war unten als es „Zing“ machte. So, als hätte mich eine Wespe gestochen. Aber a) unter Wasser? Und b) (falls ich sie irgendwie mitgenommen und unter die Wasseroberfläche gedrückt haben sollte:) So weit draußen? Da sind diese Insekten kaum unterwegs – es gibt hier nichts für sie.
Aus dem Augenwinkel sah ich ein dünnes kurzes Stäbchen aus meiner Schulter ragen: Wohl ein Mini-Asterl. Irgendwas Dorniges. Blöd. Dafür, sich dieses kleine Teil so schmerzhaft in die Haut zu rammen, bedarf es fast Kunstfertigkeit. Egal. Ich wischte mit der Hand über das Dings. Weg war es . Als ich 20 Minuten später an Land ging, hatte ich die Episode schon vergessen.
In der Nacht wachte ich auf: Die Schulter brannte. Da war eine Schwellung. Eine Mitternachtswespe? Unter der Bettdecke? In der Früh zählte ich eins und eins zusammen. Weil ich keine Insektenstichcreme habe, schnitt ich ein Zwiebel auf und fixierte sie über der Schwellung. Das half rasch – dafür war ich jetzt olfaktorisch eine Herausforderung.
Doch ich hatte eine relevantere Frage: Was hatte mich gestochen?
Geht es um Kreuchen und Fleuchen habe ich einen Ansprechpartner: Peter Iwaniewicz. Der Biologe schreibt im Falter eine der schönsten Kolumnen dieses Landes, das „Tier der Woche“. Fabeln, in denen uns der Spiegel vorgehalten wird. Doch im Gegensatz zu Geschichten über „Reineke Fuchs“ und „Meister Isegrimm“ erzählt Iwaniewicz zwar auch mit liebevoll-unterhaltsamer Ironie, Anspielungen und Klugheit – aber immer wissenschaftlich fundiert.
„Gratuliere, du hast eine Wasserbiene getroffen. Auch bekannt als ‚Wasserwanze‘,“ lachte der Tierflüsterer, „das schafft nicht jeder. Ich schicke dir einen Link.“ Ich staunte: Die Beine des Tieres, das mich heimtückisch (das würde Peter nie sagen) attackiert hatte, sahen dem Dingsbums, das ich aus dem Augenwinkel kurz gesehen hatte, sehr ähnlich. Und das Tier hieß wie ich es empfand: „Gemein“ Also: „Gemeiner Rückenschwimmer“ (auf gebildet: Nononecta glauca)
Das Insekt, ein Räuber, schwimmt am Rücken, weil es sich an Bauch und Brust eine Luftblase schnallen kann, aus der es dann auf Tauch- und Pirschfahrt Atemluft holt. Mit den Hinterbeinen paddelt es, mit seinem Stachel schnappt und betäubt es Beute, bevor es sie aussaugt. Ich dürfte nicht am Speiseplan, sondern im Weg gestanden haben: Ich bin geringfügig größer als eine Kaulquappe.
Interessant ist aber, dass es allem Anschein nach nicht ganz erwiesen ist, ob Wasserbienen Menschen tatsächlich stechen – schließlich ist ihr Stachel dünn und meine Haut dick. Andererseits war meine Schulter für eine nicht verifizierte These recht geschwollen.
Noch interessanter waren die Reaktionen meiner Umwelt. Menschen, die auch sonst nicht in freie Gewässer steigen, fühlten sich bestätigt: „Im Teich lauert eben der Tod,“ lautete die Botschaft, die mir zurückgeben wurde.
Bloß: Das ist Blödsinn. Wer so denkt, geht am besten nicht mehr ins Freie. Beim Radfahren kann man mit Wespe, Biene und mehr kollidieren. In Gastgärten lauern sie auch. Wiesen sind – auch ohne Zecken – dann Mienenfelder. Auf der Straße könnte ein Reh mein Auto attackieren, im Wald ein Baum umstürzen … Kurz: Gefahren überall – wer das Haus verlässt oder keinen chemischen Panzer um sich legt, ist so gut wie tot.
Ich sehe das anders: In der Natur ist mit Natur zu rechnen. Das macht sie aus. Und schön. Wer sich in ihr bewegt, lernt nicht nur immer Neues, sondern auch Demut und Respekt vor der Schöpfung (oder den Resultaten der Evolution): Von sechs bei uns heimischen Arten des „Rückenschwimmers“ stehen drei auf der roten Liste. Daran sind wir, die Menschen, schuld – aber wohl eher nur in Ausnahmefällen Kollisionen mit Schwimmern.
Für diese Kollision bin ich heute dankbar: Davor hatte ich keine Ahnung, dass es den Rückenschwimmer überhaupt gibt. Wie er lebt. Wie er schwimmt, jagt und sich ernährt. Das ist spannend. Das ist Entdecken – gleich vor der Haustür. Und es macht neugierig. Den Stich und das Jucken nehme ich dafür gerne in Kauf – auch wenn ich das Vieh zuerst natürlich verflucht habe.
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