Cornelia Diesenreiter hat eine Kochausbildung sowie drei abgeschlossene Studien: Recht und Wirtschaft, Umwelt- und Bioressourcen-Management und Design and Innovation for Sustainability. Seit 2015 rettet sie gemeinsam mit ihrem Bruder Andreas Obst und Gemüse, das aus verschiedenen Gründen nicht verwendet werden kann. Was als Verein begann, ist nun ein Unternehmen mit zehn Mitarbeiter*innen. Insgesamt konnte Unverschwendet so 150.000 Tonnen Lebensmittel retten und zu Marmeladen, Sirups und Chutneys verarbeiten. In ihrem Buch „Nachhaltig gibt´s nicht!“ erzählt sie von ihrem persönlichen, nachhaltigen Zugang und welche Konsequenzen sie für ihr Leben daraus zog.

Dein Bruder, mit dem du „Unverschwendet“ gegründet hast, hat dich als Nachhaltigkeitsprofi bezeichnet. Wie bist du das geworden?

Mein Glück war, dass schon meine Mutter großen Wert auf natürliche Lebensmittel gelegt hat und damals auch so ihren Garten bewirtschaftet hat – sie ist eine großartige Köchin. Nach dem Gymnasium habe ich deshalb beschlossen Köchin zu werden und habe ein Tourismus-Kollege gemacht. Aber beim Pflichtpraktikum habe ich schnell gemerkt, dass ich mir den Umgang mit Lebensmittel romantischer vorgestellt habe. Nach einem Recht- und Wirtschaftsstudium in Salzburg und einem Bioressourcenstudium auf der BOKU, konnte ich mit einem Stipendium in London „Nachhaltiges Produktdesign“ studieren. Dort war das Konzept „Zero Waste“ schon sehr weit verbreitet.

Bei einer Restmüllanalyse wurden 1,5 Tonnen Restmüll vor uns ausgekippt. Darunter waren alleine 400 Kilo Lebensmittelabfall – noch viele original verpackte Lebensmittel, also nichts, das verdorben war – das hat mich sehr berührt.

Daraufhin habe ich meine Masterarbeit zum Thema Lebensmittelabfall geschrieben.

In ihrem ersten Buch spricht Diesenreiter über ihre Nachhaltigkeits-Dilemmas.

oekostrom AG: Ein Buch mit dem Titel „Nachhaltig Gibt's Nicht!“ von Cornelia Diesenreiter, mit dem Bild einer Person, die eine Einkaufstasche in der Hand hält.

In deinem Buch „Nachhaltig gibt´s nicht“ beschreibst du 60 Frühstücksfragen, um zu veranschaulichen wie viele Details man alleine an einem Morgen hinterfragen müsste. Das reicht von „Welche Bohnen verwende ich für meinen Kaffee“ bis „Welche Art von Stromerzeugung verwende ich“. Wie soll man da nicht verrückt werden?

Ich wollte damit die Komplexität des Themas „Nachhaltigkeit“ veranschaulichen. Auch wenn man sich vornimmt nachhaltig zu leben, der Alltag ist eine reine Überforderung. Das kann ganz schön frustrierend sein. Aber dieses Anerkennen, dass es nicht möglich ist immer nachhaltig zu leben, kann auch befreiend sein. Ich kann einfach irgendwo anfangen, und zwar mit Kleinigkeiten, die ich gern mache. Diese kleinen Erfolgserlebnisse machen dann Lust auf mehr.

In der Nachhaltigkeit hatte ich eine große Erkenntnis: Es gibt noch keinen definierten Endzustand – es ist ein Prozess, in dem laufend neue Forschungsergebnisse mit hineinspielen.

Manchmal stellt sich heraus, dass das, was bisher als nachhaltig angesehen wurde, überhaupt nicht nachhaltig ist. Deshalb brauchen wir eine dementsprechende Fehlerkultur.

Nachhaltigkeit hat – wie du auch selbst sagst – keine wirkliche Definition. Was ist deine Persönliche?

Für mich trifft es am besten das „Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit“. Dieses Modell beruht auf der Annahme, dass nachhaltige Entwicklung nur möglich ist, wenn ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig und gleichberechtigt umgesetzt werden. Die Ökologie, das Soziale und die Wirtschaft müssen also im Gleichgewicht sein. Mit diesem Ansatz leben wir nicht auf Kosten anderer. Viele ökologische Dinge werden mit Geld subventioniert, das eigentlich aus einer nicht-nachhaltigen Wirtschaftsweise kommt. Es müssen alle Aspekte bedacht werden und es sollte auch wirtschaftlich sein. Genau das machen wir mit unserem Unternehmen Unverschwendet.

Du wagst dich auch an das Thema „Plastik“ heran – Ist Plastik nicht immer böse?

Ein spannendes Beispiel sind Papiersackerl. Der Energieaufwand für ein Papiersackerl, das eine gute Tragfähigkeit haben muss für Supermarkteinkäufe, ist ungefähr vier Mal so hoch, wenn man es mit einem Plastiksackerl vergleicht. Ein Plastiksackerl wäre also, wenn man es richtig entsorgt, ressourcenschonender. Das soll jetzt kein Plädoyer für Plastik sein. Natürlich wissen wir, dass viel Plastik in die Meere kommt und dort viel Schaden anrichtet. Im Produkt Papiersackerl ist kein Rohöl, aber der Bedarf von Rohöl für die Produktion ist sehr hoch. Das ist vielen nicht bewusst.

Ich habe mir den Ausschnitt der Show „2 Minuten, 2 Millionen“ angesehen. Ihr hattet dort 2018 einen Auftritt. Mich hat gewundert, dass es so unglaublich wichtig ist, als Produzent das ganze Jahr die gleichen Produkte liefern zu können.

Das ist deshalb so wichtig, weil es viele Kund*innen erwarten. Supermärkte sind oft der Buhmann, aber im Grunde ist es der Spiegel der Gesellschaft. Sie arbeiten marktorientiert und richten sich nach der Nachfrage. Wenn die Kund*innen nicht zu der Konkurrenz abwandern sollen, muss man das ganze Jahr über ein breites Spektrum anbieten, auch Gemüse, das gerade nicht Saison hat. Nebenbei bemerkt hängen auch sehr, sehr viele Jobs davon ab. Wenn eine Kette in Konkurs geht, verlieren oft tausende Menschen ihre Arbeit.

Seit 2015 rettet sie gemeinsam mit ihrem Bruder Andreas Obst und Gemüse, das aus verschiedenen Gründen nicht verwendet werden kann. (Foto: SLKphoto)

oekostrom AG: Zwei Personen stehen vor einem Markt und halten Wassermelonen in den Händen. Um sie herum stehen Holzkisten voller Wassermelonen. Sie lächeln und scheinen zu plaudern.

Warum bleibt dann immer so viel Obst und Gemüse übrig? Wie kommt das?

Das Obst und Gemüse wird meist auf Wochenbasis ausgeschrieben. Da gibt es meist keine richtigen Verträge, die Bäuer*innen bauen auf gut Glück an. Sie hoffen, dass ihnen der Supermarkt ihre Ware abnehmen wird. Die Vorlaufzeiten sind ja sehr lange. Im Herbst kaufen sie das Saatgut ein für das Gemüse, das ihnen im Sommer der Supermarkt hoffentlich abnimmt. Manchmal wird eine Gemüsesorte zu viel angebaut, weil es Trend geworden ist. Als Konsequenz rasseln dann die Preise in den Keller.

Verlangen die Kund*innen nicht nach regionaler Ware?

Die Nachfrage nach regionalen Produkten ist gestiegen. Trotzdem kann es sein, dass es Jahre gibt, wo es in Österreich keine einzige Marille gibt. Dann muss natürlich zugekauft werden. Oft kaufen die Supermärkte schon vorab zu, damit sie die Ware sicher in ihren Regalen liegen haben. Grundsätzlich haben wir das Glück, dass wir heutzutage im Überfluss leben und keine Knappheit wie frühere Generationen erleben müssen.

Man müsste besser schauen, wie man diese Überschüsse verwerten kann, um eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig ernähren zu können, ohne die Landwirtschaft ständig intensivieren zu müssen.

Uns wurde seit unserer Firmengründung 2016 ungefähr 10 Millionen Kilo Obst und Gemüse angeboten – das meiste im Großraum Wien. Das ist ein riesiges ungenütztes Potential.

Ich stelle mir die Logistik dahinter sehr kompliziert vor…

Wir können nur einen kleinen Prozentsatz bedienen, aber wir arbeiten an Lösungen, um in Zukunft mehr Lebensmittel zu retten. Bis jetzt weiß niemand wie viele Mengen in Österreich tatsächlich auf den Feldern liegen bleibt bzw. weggeworfen werden. Wir arbeiten hier mit der BOKU zusammen. Es ist ein smartes Überschuss-Management-System und wir tragen hier Daten ein, wenn uns etwas angeboten wird. Wenn wir ganz viele Daten sammeln, könnten wir in der Zukunft vielleicht Rückschlüsse ziehen und lang- oder mittelfristig auch Überschüsse prognostizieren. Das würde die Logistik und die Verarbeitung erheblich erleichtern.

Wie sieht eure Zukunftsplanung aus?

Unsere ursprüngliche Idee war, dass wir drei Jahre hier im Großraum Wien tätig sind und uns dann um den Rest von Österreich kümmern. Aber wir haben so viel zu tun alleine im Großraum Wien, dass wir bis jetzt nicht dazu gekommen sind. Teilweise wurden uns schon überschüssiges Obst und Gemüse aus Deutschland angeboten.

Läuft die Planung besser als zu Beginn?

Ja, auf jeden Fall. Früher hat uns ein/e Marillenbäuer*in angerufen und gesagt: Holt euch die Marillen bis 15.00 Uhr, denn ich brauche den Lagerplatz. Mittlerweile haben wir gute Beziehungen und die Bäuer*innen rufen schon an, wenn sich der Überschuss abzeichnet.

Seit Firmengründung wurden Unverschwendet ca. 10 Millionen Kilo Obst und Gemüse angeboten. (Foto: Unverschwendet)

oekostrom AG: Eine Flasche Wassermelonen-Pfeffer-Sirup, ein Glas Kirsch-Gin-Gelee und ein Glas Apfel-Mohn-Senf auf einer Holzoberfläche mit Holzhintergrund.

Warum wird dieses Obst und Gemüse eigentlich nicht im Supermarkt genommen, wenn es zu klein oder zu krumm ist?

Es ist nicht nur ein Logistik-Thema – gerade Gurken passen besser in eine Kiste als krumme – es ist auch ein Haltbarkeits-Thema: Ein kleiner Apfel rollt viel herum, wenn er mit größeren abgepackt wird. Das bewirkt Druckstellen beim kleinen Apfel, aber auch bei den größeren. Wenn die Haut nur minimal verletzt ist, dann verdirbt der Apfel schneller. Ein anderer Aspekt ist, dass wir Menschen dazu tendieren bei unterschiedliche Obstgrößen auszuwählen. Das heißt, wenn kleinere und größere Äpfel nebeneinander liegen, greifen wir das Obst mehr an, weil wir uns zwischen klein und groß entscheiden müssen. Aber jedes Berühren kann eben genau diese Verletzungen verursachen. Wenn alle gleich groß sind, nehmen wir einfach einen Apfel und lassen die anderen liegen.

Wenn man dir zuhört, hat man das Gefühl, muss man in allen Bereichen Expert*in sein, wenn man ein bisschen Obst und Gemüse retten möchte.

Die Wertschöpfungskette im Lebensmittelbereich ist sehr komplex. Man muss die Landwirtschaft, die Produktionstechniken und die Logistik verstehen. Man muss wissen, wie man ein Unternehmen führt und was die Absatzmöglichkeiten sind. Wir sind sehr demütig, weil wir jeden Tag etwas Neues dazu lernen. Einen typischen Tag in meinem Leben gibt es nicht!

Habt ihr noch euren Marktstand am Wiener Schwendermarkt?

Ja – und den werden wir hoffentlich immer behalten. Dort hat alles angefangen. Mittlerweile verkaufen wir unsere Produkte auch im Supermarkt oder im B2B-Bereich. Das ist ein ganz wichtiges Standbein von uns: Firmen, die z. B. ihre Weihnachtsgeschenke für ihre Mitarbeiter*innen bei uns kaufen. Oder ein nachhaltiges Give-Away für Kongresse oder andere Veranstaltungen. Unsere Gläser und Flaschen sind wie kleine Botschafter, die wir in die Welt entsenden. Sie erzählen unsere Geschichte und fördern hoffentlich so das Bewusstsein für unsere heimischen Lebensmittel.

Mehr zu Unverschwendet:

https://www.unverschwendet.at

Buchtipp:

„Nachhaltig gibt´s nicht!“ von Cornelia Diesenreiter